Bundestag beschließt neues Sexualstrafrecht Heißt "Nein" jetzt wirklich "Nein"?
Nach monatelangem Hin und Her hat der Bundestag das neue Sexualstrafrecht beschlossen. Was ändert sich konkret durch die Reform? Warum kommt die Reform erst jetzt? Und was sagen Kritiker? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was steht im Gesetz?
Über allem schwebt das Prinzip "Nein heißt Nein". Künftig macht sich nicht mehr nur strafbar, wer Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, droht auch Tätern bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, die sich über den "erkennbaren Willen einer anderen Person" hinwegsetzen. Das heißt: Das Opfer muss sich nicht mehr wehren, damit eine Vergewaltigung auch vor Gericht als solche gewertet wird. Es reicht, wenn widersprochen oder anderweitig deutlich gemacht wird, dass sexuelle Handlungen unerwünscht sind.
Teil des Gesetzes ist auch die Einführung des sogenannten "Grapschparagraphen". Das unerwünschte Berühren etwa an Brust oder Po soll künftig mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden können. Bislang wurden solche Griffe unter dem Straftatbestand der Beleidigung verfolgt, die Schwelle für sexuelle Nötigung liegt höher. Jetzt wird ein eigener Straftatbestand Sexuelle Belästigung geschaffen.
Der Bundestag beschloss außerdem die Einführung eines neuen Paragraphen zu "Straftaten aus Gruppen". Künftig sollen alle Mitglieder einer Gruppe bestraft werden können, wenn von einzelnen Gruppenmitgliedern sexuelle Übergriffe ausgegangen sind. Soll heißen: Sind etwa fünf Männer gemeinsam unterwegs und einer begrapscht eine Frau, dann können künftig alle Gruppenmitglieder dafür zur Verantwortung gezogen werden. Der Paragraph ist eine Reaktion auf die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht.
Gleiches gilt für die Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Ausländer, die das Parlament ebenfalls verabschiedete. Bereits im Frühjahr hatte die Große Koalition beschlossen, dass künftig ausgewiesen werden kann, wer wegen Körperverletzung, Sexualdelikten, Eigentumsdelikten und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, sofern diese Taten mit Gewalt und schweren Drohungen verbunden waren. Künftig fallen auch Verurteilungen nach den jetzt beschlossenen neuen Regeln des Sexualstrafrechts unter die möglichen Ausweisungsgründe.
Welche Punkte sind umstritten?
Einstimmig verabschiedete der Bundestag heute den Grundsatz "Nein heißt nein". Dem gesamten Gesetzentwurf von Schwarz-Rot stimmte die Opposition jedoch nicht zu, sondern enthielt sich. Die Gründe sind die Einführung des Gruppenstraftatbestands und die Verschärfung des Aufenthaltsrechts.
"Die CDU/CSU hat ein Gruppendelikt eingeführt, das wir für verfassungswidrig halten", so die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Renate Künast. Die Regelungen seien zu ungenau gefasst, hebelten das Schuldprinzip aus "und sind auch rechtspolitisch Irrsinn", kritisierte Künast.
Sie könnten dazu führen, dass beispielsweise alle an einem Handyraub beteiligte Jugendliche auch wegen eines Sexualdelikts angeklagt würden, weil einer aus ihrer Gruppe das Opfer sexuell belästigt habe, erklärte Künast. Ihre Parteifreundin Katja Keul kritisierte zudem die Verschärfung des Aufenthaltsrechts als "schlicht unverhältnismäßig".
Müssen unschuldige Männer jetzt mit massenhaft erfundenen Anzeigen rechnen?
Entsprechende Bedenken gibt es nicht nur in einigen deutschen Redaktionen. Auch in der Politik wurde immer wieder das Horrorszenario von unschuldigen Männern vor Gericht beschworen, wenn der Grundsatz "Nein heißt Nein" gesetzlich verankert wird.
Richtig ist, dass die Beweisführung in Vergewaltigungsprozessen durch die jetzt verankerten Regeln nicht einfacher wird. Das war sie allerdings noch nie. Hinzu kommt: Vor Gericht gilt selbstverständlich auch weiterhin die Unschuldsvermutung. Das heißt: Ist eine Vergewaltigung nicht zweifelsfrei bewiesen, darf das Gericht den Angeklagten nicht verurteilen.
Warum hat es so lange gedauert, bis die Reform verabschiedet wurde?
Der Streit um die Reform zog sich über Jahre hin. Im Mai 2011 verabschiedete der Europarat die Istanbul-Konvention, in der auch der Grundsatz "Nein heißt Nein" enthalten ist. Deutschland ratifizierte sie jedoch erst jetzt durch das neu verabschiedete Sexualstrafrecht.
Erst im vergangenen Jahr forderte Justizminister Heiko Maas schließlich, dass das Strafrecht härter gegen Vergewaltiger vorgehen müsse. Vorher sah man in seinem Haus keinen Handlungsbedarf, was die Umsetzung der Istanbul-Konvention anging - weder unter Maas, noch unter seiner Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Der erste Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium war dann auch eher vorsichtig formuliert. Das Prinzip "Nein heißt nein" kam darin nicht vor - auch weil auf das Problem der Beweisbarkeit verwiesen wurde. Das Kabinett stimmte diesem Entwurf im März zu. Doch nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht von Köln wurde der öffentliche Druck größer, einen schärferen Gesetzesentwurf vorzulegen. Hinzu kam der Fall Gina-Lisa Lohfink, der eine öffentliche Debatte darüber auslöste, was eine Vergewaltigung sei und was nicht.
Wann tritt das Gesetz in Kraft?
Vermutlich im Herbst. Zwar hat der Bundestag das Gesetz nun verabschiedet, der Bundesrat wird sich jedoch erst nach seiner Sommerpause mit ihm befassen – voraussichtlich am 23. September.