Umfrage bei Ärzten Klinikärzte an der Belastungsgrenze
Personalmangel, Überstunden, Zeitdruck: Eine Umfrage des Ärzteverbands Marburger Bund zeigt, unter welchen Bedingungen Ärzte in deutschen Krankenhäusern arbeiten. Viele Mediziner sind längst an ihrer Belastungsgrenze.
Kinderarzt, das war schon immer ein Traumberuf für Johannes Knierer. Den kleinen Patienten helfen, sie gesund machen, sich Zeit für sie nehmen. Doch die schöne Vorstellung junger Medizinstudenten trifft im Alltag auf die harte Krankenhaus-Realität. Und die sieht leider oft ganz anders aus.
Knierer arbeitet im Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmsstift in Hamburg. Selbst in einer verhältnismäßig ruhigen Nachtschicht in der Notaufnahme schafft er es nicht, eine Pause zu machen: "Wir sind natürlich in reduzierter Besetzung nachts. Wenn jetzt zwei Krampfanfälle auf einmal kommen oder auf Station einem Kind schlecht ist und unten in der Notaufnahme ein Kind akut Hilfe bedarf, ja dann wird’s manchmal natürlich knapp."
Umfrage zeigt hohe Arbeitsbelastung
So wie ihm geht es vielen Ärzten, das zeigt eine aktuelle Umfrage des Ärzteverbands Marburger Bund. Alle zwei Jahre werden Mitglieder auch zur Arbeitsbelastung befragt. Die Ergebnisse von 2022 machen deutlich, unter welchem Druck die Mediziner stehen: 28 Prozent der befragten Ärzte bewerten ihre Arbeitsbedingungen als schlecht oder sehr schlecht.
57 Prozent, also deutlich mehr als die Hälfte gaben an, mindestens 49 Stunden pro Woche zu arbeiten. 66 Prozent beurteilen die personelle Besetzung im ärztlichen Dienst ihrer Einrichtung als eher schlecht bis schlecht.
Eine Kinderärztin schildert der Team UPWARD-Redaktion des ARD-Mittagsmagazins: "Wenn wir so wenige sind, geht auch manchmal was schief. Wir haben auch schon mal falsche Chemo bestellt oder Medikamente beim Bettnachbarn angeordnet. Wenn man Ärzte und Ärztinnen fragt, würde jeder sagen, dass so was schon mal passiert ist, weil man ständig unter enormem Druck arbeitet."
Die Folge: Jeder vierte Befragte denkt über einen Berufswechsel nach. Auch weil sich die Ärzte nicht so um ihre Patienten kümmern können, wie sie gerne würden. 57 Prozent gaben an, mehr als drei Stunden täglich für reine Verwaltungstätigkeiten, also Datenerfassung und Dokumentation einrechnen zu müssen.
Gesundheitssystem an Gewinn orientiert
Dahinter steht ein Gesundheitssystem, das sich am Gewinn orientiert: das DRG-System (Diagnosis Related Groups-System). Danach erhalten Krankenhäuser Geld pro Diagnose beziehungsweise Behandlung, unabhängig von der Dauer des Klinikaufenthalts - eine sogenannte Fallpauschale. Um rentabel zu sein, heißt das für die Krankenhäuser, dass sie möglichst viele Patienten in kurzer Zeit behandeln müssen.
Verpflichtend eingeführt für alle Kliniken wurde das DRG-System schrittweise ab 2004 unter Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD. Ihr engster Berater damals war Karl Lauterbach, der heutige Gesundheitsminister. Durch das neue System sollten die Krankenhäuser effizienter arbeiten.
Doch das hat auch dazu geführt, dass überlastete Ärzte protestieren oder sogar ihre Jobs kündigen. Frieder Hummes von den "Bunten Kitteln", einer Vereinigung von Ärzten, die sich gegen das DRG-System ausspricht, fordert deshalb auch die Abschaffung der Fallpauschalen: "Unserer Meinung nach sind Fallpauschalen nicht reformierbar. Seit ihrer Einführung wird ständig reformiert und darüber gesprochen was besser wird, aber dabei wird alles schlechter."
Will die Bundesregierung etwas ändern?
Karl Lauterbach (SPD), der das System mitzuverantworten hat, könnte als Bundesgesundheitsminister gegensteuern. Doch auf Anfrage heißt es aus seinem Ministerium: "Ein von Fallpauschalen unabhängiges Finanzierungssystem, das die Anforderungen an eine leistungsbezogene, transparente Vergütung stationärer Krankenhausleistungen erfüllt, existiert nicht, sodass eine reine Abschaffung des DRG-Systems, ohne eine geeignete Alternative zu haben, nicht möglich ist."
Mediziner Frieder Hummes von den "Bunten Kitteln" meint, dass der Gesundheitsminister gar nicht wisse, wie die Situation in den deutschen Krankenhäusern tatsächlich ist: "Ich würde ihn gerne fragen, ob er in so einem System noch gerne arbeiten würde oder ob er als Patient im Krankenhaus behandelt werden würde."