Corona, Krieg, Inflation Alleinerziehend durch die Krisen
Noch während der Corona-Pandemie brach der Krieg in der Ukraine aus. Nach dem Homeschooling kamen Inflation und Energiekrise. Was hat das mit einer Familie mit geringem Einkommen gemacht?
"Es fühlt sich so aussichtslos an", sagt Maja Wontroba. "Wir dachten ja alle, Corona ist jetzt langsam vorbei ... und dann kam der Krieg, und dann kam die Inflation." Während die 14-Jährige das erzählt, sitzt sie auf ihrem Bett. Für sie fühle es sich an, "als würde es nie aufhören".
Mehrere Jahre Krise - das hat an den Kräften fast aller Menschen gezehrt. Für Familie Wontroba aus Thüringen war der Alltag schon zuvor nicht leicht. Bianka Wontroba lebt mit ihren drei Kindern allein in Gera. "Mein Sohn kam leider krank zu Welt. Das hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen, da bin ich lange Zeit nicht arbeiten gegangen", berichtet die Mutter. "Dann kam die Trennung von meinem Mann." Später verstarb der Vater der Kinder. Sie musste dann schauen: Wie geht es weiter?
Die Alleinerziehende entschloss sich mit Mitte 30 eine Ausbildung zur Erzieherin zu absolvieren. Dauer: drei Jahre. "Das war nicht immer einfach, Vollzeitausbildung von 8 bis 16 Uhr, mit Corona und Homeschooling und dazu noch meine drei Kinder", sagt Wontroba und versucht die Last wegzulächeln.
Bianka Wontroba auf einem Spielplatz.
Nur ein Laptop
Anfang 2021 besuchte MDR Investigativ die Familie das erste Mal - mitten im Lockdown. Mutter, zwei Töchter und ein Sohn hatten nur einen Laptop, an dem aber alle lernen müssen. Einen weiteren Computer konnten sie sich nicht leisten, das Geld war knapp.
Sohn Benjamin ist körperlich behindert. Für ihn bekommt die Alleinerziehende Pflegegeld. Außerdem bezieht sie Kindergeld und Erziehungs- sowie Halbwaisenrente - in der Summe ist das etwas mehr als der Hartz-IV-Satz. Ihre Ausbildung ist nicht berufsbegleitend, daher unbezahlt. Bafög beantragte Bianka Wontroba nicht, sie wollte sich nicht verschulden.
In der Corona-Zeit fand auch die Ausbildung zumeist online statt. Die Mutter lernte, wenn die Kinder im Bett waren - oft bis weit nach Mitternacht. "Gerade als Alleinerziehende ist man dann auch wirklich alleine", sagte sie. In dieser Zeit sei sie an ihre Grenzen gestoßen.
Inzwischen können alle an eigenen Computern arbeiten. Nach dem ersten TV-Beitrag von MDR Investigativ bekam die Familie mehrere Geräte gespendet. Maja ist jetzt in der achten Klasse auf dem Gymnasium. Doch die Folgen der Pandemie seien weiterhin spürbar, erzählt sie. Zwei Jahre lang habe sie sich kaum mit Freundinnen getroffen. Nun sei es schwer, da wieder reinzukommen. "Es ist mittlerweile normal, dass ich die ganze Zeit alleine bin", sagt sie.
Das Geld reicht kaum zum Überleben
Die Corona-Pandemie war noch nicht vorbei, da brach bereits die nächste Krise aus: der Angriff auf die Ukraine, steigende Energiepreise und Inflation. Als MDR Investigativ die Familie Ende August 2022 erneut besuchte, überprüfte Bianka Wontroba gerade den Inhalt ihres Kühlschranks: "Ich überlege natürlich: Was ist noch da?" Sie kalkulierte mit jedem Euro. Es durfte nichts zu viel gekauft werden.
Die Kinder essen erst am Abend warm. Denn die Schulspeisung für alle drei würde monatlich rund 240 Euro kosten - zu viel für die Alleinerziehende. Kostenloses Mittagessen könnten sie über das Bildungs- und Teilhabepaket erhalten, aber darauf haben nur Wohngeld-Empfänger Anspruch. Für Wohngeld ist das Familien-Einkommen knapp zu hoch. Das heißt auch: kein Zuschuss für Schulsachen oder den Schulbus. Da war das Neun-Euro-Ticket eine große Hilfe.
Ansonsten, sagt Wontroba, hätten sie nicht viel von den Entlastungspaketen der Bundesregierung profitiert. Natürlich haben sie den Kinderbonus von insgesamt 300 Euro bekommen. Aber das sei ein Tropfen auf den heißen Stein. "Das sind Einmalzahlungen", sagt die Mutter. "Damit stopft man einen kleinen Teil von diesem Riesenloch. Es muss was Dauerhaftes her."
Entlastungen waren nicht zielgenau
"Gerade diese unteren Einkommensgruppen haben ein echtes Problem", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom ifo-Institut in Dresden. Arbeitnehmer, Rentner oder Studierende hätten Schwierigkeiten, deshalb hätten die Entlastungsmaßnahmen zielgenauer sein müssen - etwa durch ein höheres Bafög, Sozialtransfers für ärmere Rentner und Wohngeld, "um dann gezielt die unteren Einkommensgruppen zu entlasten", sagt Ragnitz.
Anfang September verkündete die Bundesregierung das dritte milliardenschwere Entlastungspaket. Doch Bianka Wontroba ist wieder enttäuscht. Sie bekommt zwar die Einmalzahlung von 300 Euro für Rentnerinnen, weil sie Erziehungsrente bezieht, und monatlich 48 Euro mehr Kindergeld. Doch das sei zu wenig. "Ich habe wirklich Sorgen, dass ich irgendwann ins Minus rutsche und nicht mehr rauskomme und dieser Schuldenberg dann vielleicht immer weiter anwächst." Und das, obwohl sie gar nichts dafür könne. Sie fühlt sich im Stich gelassen: "Weil man eben immer durchs System rutscht und wenig abbekommt."
Dazu kommt: Die Betriebskosten für ihre Wohnung in Gera wurden gerade um 200 Euro erhöht. Im Spätsommer 2022 reichte das Geld für die Familie gerade so zum Überleben. Aber zu mehr auch nicht. Kultur, Konzerte oder Reisen - für die Kinder und ihre Mutter ist das nicht drin.
Endlich mal die gute Leberwurst
Als MDR Investigativ Ende Januar 2023 wieder bei der Familie zu Besuch war, hatte sich die finanzielle Situation entspannt. Bianka Wontroba hatte ihre Ausbildung mit 39 Jahren als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Seit vier Monaten arbeitet sie als Erzieherin im Hort einer Grundschule. Die Familie hat damit rund 500 Euro mehr im Monat.
Das spüren auch die Kinder. Benjamin sagt: "Seitdem meine Mutter die Arbeit hat, haben wir uns ein bisschen mehr gegönnt." Statt der billigen gebe es auch mal die gute Leberwurst. Außerdem sei die Familie in Dresden im Verkehrsmuseum und mehrfach in Erfurt auf kleinen Ausflügen gewesen.
Auch wenn nun etwas positivere Aussichten auf die Zukunft bestehen - in den vergangenen Jahren habe Bianka Wontroba nur geschaut, wie sie da zusammen wieder herauskommen: "Wie kommen wir durch diese Zeit alle zusammen, ohne Schaden zu nehmen, psychisch wie auch finanziell, wie auch familiär?"
Maja Wontroba in ihrem Zimmer.
Maja sitzt auf ihrem Bett über den Hausaufgaben und sinniert: "Früher haben sich die Leute in meinem Alter Gedanken darüber gemacht, was sie am nächsten Tag anziehen. Und ich mache mir darüber Gedanken, ob nächsten Monat nicht vielleicht Krieg in Deutschland ist."
Bianka Wontroba kennt die Ängste ihrer Kinder. Sie versucht, sie aufzufangen, aber dabei auch realistisch zu bleiben. Denn keiner wisse, wie die Situation sich ändere. Immerhin: Ihre Arbeit als Erzieherin im Hort ist sicher - und wird nach Tarif öffentlicher Dienst bezahlt. Das heißt, ihr Gehalt steigt mit der Zeit automatisch. "Ich bin innerlich beruhigter. Einfach weil ich weiß, die Ausbildung ist beendet. Ich habe den Job", sagt Wontroba. Sie sehe insgesamt positiv in die Zukunft - auch für ihre Familie.