Rückkehr russischer Athleten Ein "Flickenteppich" in der Sportwelt
Noch immer ist unklar, ob Russen und Belarusen an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Aus der deutschen Sportwelt kommt Widerspruch. Die Bundesregierung beschließt sogar Einreiseverbote.
Der Schwimmer Mychajlo Romantschuk hat schon oft gewonnen in seinem Leben: Europameisterschaften, WM-Medaillen, Bronze und Silber bei Olympia. Er hält Rekorde, darunter einen olympischen: sieben Minuten, 41 Sekunden, 28 Hundertstel für 800 Meter Freistil. Es war eine andere Zeit, damals bei den Spielen in Tokio 2021. Mehrere Monate danach begann Russland mit einem Angriffskrieg, der ihm seine Trainingsstätten, seinen Alltag und seine Heimat nahm.
Seit eineinhalb Jahren lebt Romantschuk, 27 Jahre alt, nun in Deutschland. Das Leben sei anders hier, sagt er - eine neue Kultur, eine fremde Sprache. Der Ukrainer trainiert in Magdeburg, zusammen mit deutschen Schwimmern. Dort, wo er einst seine Bahnen zog, hat der Krieg zugeschlagen. "Es hat sich viel verändert, viele Schwimmbäder wurden zerstört", sagt er. Vor ein paar Wochen traf es offiziellen Angaben zufolge einen Sportkomplex in Dnipro, wo Romantschuk sich auf die Olympischen Spiele vorbereitet hatte. Laut der Ukraine sind bislang 343 Sportanlagen zerstört oder beschädigt worden, 340 Sportler und Trainer kamen ums Leben.
Romantschuk nimmt weiter an Wettkämpfen teil und reiste auch zu den diesjährigen Weltmeisterschaften nach Japan. Aber der Krieg begleitet ihn, egal, wo er ist. "Es ist mental schwer, meinen Job zu machen und die ganze Zeit zu überlegen, wie ich der Ukraine helfen kann", sagt er. "Du denkst immer: Was wird heute passieren?" Niemand wisse, wohin die nächste Rakete fliege.
Schwimmer Romantschuk startete noch im Juli bei den Weltmeisterschaften in Fukuoka, Japan.
Wiederzulassung mit Folgen
Bei seinen Wettbewerben musste Romantschuk bislang nicht gegen Russen und Belarusen antreten. Der Schwimm-Weltverband hatte beide Länder ausgeschlossen. Vergangene Woche gab er aber bekannt, sogenannte neutrale Athleten wieder starten zu lassen. Voraussetzung sind unter anderem: keine aktive Unterstützung der russischen Invasion, keine Hymnen, keine Nationalflaggen. Zudem dürfe nur jeweils eine Athletin oder ein Athlet aus Russland und Belarus in einem Wettbewerb starten.
Den Ausschluss hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) kurz nach Kriegsbeginn empfohlen - nach mehr als einem Jahr folgte die Abkehr. Russische und belarusische Athleten können seitdem unter Auflagen wieder antreten. Die Empfehlungen setzen die Weltverbände eigenständig um, sie sind dazu also nicht verpflichtet.
Welche Folgen das haben kann, zeigte die Rückkehr im Fechten: Nach einem Sieg verweigerte die Ukrainerin Olha Charlan ihrer russischen Gegnerin den Handschlag, wenig später wurde sie dafür disqualifiziert. Ein Aufschrei folgte. Der Weltverband hob die Suspendierung auf, IOC-Präsident Thomas Bach garantierte Charlan sogar einen Olympia-Startplatz.
"Das ist einfach nur noch Chaos"
An den IOC-Empfehlungen gibt es Kritik, auch aus Deutschland. Léa Krüger, Fechterin und Athletenvertreterin, spricht sich gegen eine Wiederzulassung aus. "Es geht grundsätzlich darum, dass der russische Sport in den vergangenen Jahren enorm vom Staat ausgenutzt worden ist", sagt sie. Und zählt auf: das russische Staatsdoping, die Missachtung des olympischen Friedens, die Propaganda während des Kriegs. "Wir haben Athletinnen und Athleten gesehen, die mit dem 'Z' auf der Brust bei politischen Veranstaltungen aufgetreten sind", sagt Krüger, die im Präsidium der Vereinigung Athleten Deutschland sitzt. Unter diesen Aspekten sei eine Grenze überschritten, die einen Ausschluss rechtfertige.
Mit Blick auf das IOC sagt die Fechterin: "Priorität Nummer eins ist es jetzt, den Schutz der ukrainischen Athletinnen und Athleten zu gewährleisten". Es müsse darauf geachtet werden, dass sie keinen Situationen ausgesetzt würden, die unzumutbar seien - wie etwa im Fall Charlan. "Das hätte vermieden werden können und müssen."
Krüger sagt, es sei ein "Flickenteppich" in der Sportwelt entstanden. Das heißt: Mal sind Sportlerinnen und Sportler zugelassen, mal nicht. Bei den Weltverbänden beobachtet sie "ein Stück weit Überforderung", weil es keine klaren Definitionen gebe. Den Verantwortlichen müsse etwas Konkretes an die Hand gegeben werden, womit sie arbeiten könnten. "Das, was wir gerade erleben, ist einfach nur noch Chaos."
"Minderheit im internationalen Sport"
Auf Anfrage teilt der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Thomas Weikert, mit: Man sehe wenige Monate nach Veröffentlichung der Empfehlungen, dass die Weltverbände teils sehr unterschiedlich agierten. Das führe zu Unsicherheiten und stelle insbesondere für die Athletinnen und Athleten eine besondere emotionale Belastung dar, so Weikert.
Er betont, dass der DOSB frühzeitig einen Ausschluss von russischen und belarusischen Athletinnen und Athleten gefordert habe. "Gleichwohl haben wir zur Kenntnis genommen, dass wir mit dieser unveränderten Haltung als eines von weltweit 206 Nationalen Olympischen Komitees einer Minderheit im internationalen Sport angehören und dass eine Entscheidung des IOC immer auch das weltweit gespaltene Meinungsbild berücksichtigen muss", so Weikert.
Ministerien beschließen Einreiseverbote
Auch das Innenministerium, in Deutschland für den Sport zuständig, spricht sich gegen eine Teilnahme russischer und belarusischer Athletinnen und Athleten aus. Solange Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Krieg fortsetze, sei die Zulassung der völlig falsche Weg, heißt es schriftlich.
Die Behörden ergreifen dabei eigene Maßnahmen. Gegenüber tagesschau.de erklärt das Innenministerium, man habe sich mit dem Auswärtigen Amt darauf verständigt, dass russische und belarusische Athletinnen und Athleten nicht an internationalen Wettkämpfen in Deutschland teilnehmen dürften, wenn sie eine Nähe zum Staat aufwiesen. Konkret bedeutet das: Es werden keine Schengen-Visa vergeben. Von Staatsnähe sei auszugehen, wenn die antragstellende Person etwa staatlichen Institutionen zugehörig sei oder finanzielle Zuwendungen von Staatsunternehmen erhalte. Nur wer "nachweisbar" nicht mit staatlichen Strukturen im Zusammenhang stehe, soll teilnehmen können.
Deutscher Boykott ausgeschlossen
Einig sind sich das Innenministerium und der DOSB, dass es keinen eigenen Olympia-Boykott geben soll. Leidtragende sind laut Präsident Weikert ausschließlich die Athletinnen und Athleten. Dem Verband sei aber wichtig, dass Ukrainerinnen und Ukrainer an den Spielen in Paris teilnehmen. "Auch, um ein starkes öffentliches Zeichen für den Überlebenswillen des ukrainischen Volkes auszusenden", so Weikert. Nach Angaben des Innenministeriums habe es bei der Frage eines Boykotts bereits mehrere Gespräche mit der ukrainischen Seite gegeben.
Die Ukraine selbst schließt einen Verzicht nicht aus, sollten Russland und Belarus bei den Spielen dabei sein. Derzeit können Ukrainer zwar an Wettkämpfen teilnehmen - wenn Russen und Belarusen als sogenannte neutrale Athleten antreten - ob dies aber eine Variante für Olympia ist, bleibt offen.
Der Schwimmer Romantschuk hat sich schon für die Spiele qualifiziert. Er sei aber nicht bereit, den Aufwärmbereich mit Russen zu teilen oder sie im Olympischen Dorf zu sehen, sagt er. "Meiner Meinung nach sollten sie nicht am Wettbewerb teilnehmen dürfen." Trotzdem würde der Schwimmer gegen neutrale Athleten antreten, sofern sie den Krieg nachweislich nicht unterstützen. "Wenn ich muss, werde ich ihnen zeigen, dass ich auch ohne Zuhause mein Bestes geben kann."