Visa für Erdbebenopfer "Seit drei Wochen keine Antwort"
Kurz nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien hat die Bundesregierung vereinfachte und beschleunigte Visa-Verfahren angekündigt. Doch in der Praxis gibt es immer noch viele Hürden.
Sema Tiras versucht verzweifelt, Familienangehörige aus Antakya nach Deutschland zu holen. Diese haben das Erdbeben in der Türkei überlebt, aber dabei sämtliches Hab und Gut verloren. Seit Wochen harren sie in Behelfsunterkünften aus. Vor allem nachts werde es sehr kalt, die Lage sei sehr schlimm, sagt Tiras. "Die haben kein Haus mehr, die haben gar nichts mehr. Die leben in Zelten; Hilfe kommt sehr spät und nicht genug", beschreibt sie die Lage.
Nun sitzt Tiras im Kreisamt Siegen-Wittgenstein, doch von den angekündigten Visa-Erleichterungen spürt sie hier nur wenig. Die Einreise nach Deutschland scheitert immer wieder an der Bürokratie - in der Türkei und in Deutschland. Voraussetzung für eine Einreise in Deutschland ist ein gültiger Reisepass, doch die Ausweise der Familie Tiras liegen irgendwo in Antakya unter den Trümmern. Ihre Schwester habe nun einen Pass beantragt, sagt Sema Tiras, "aber seit drei Wochen, wenn sie da anruft, kriegt sie keine Antwort".
Originaldokumente müssen in die Türkei geschickt werden
Neben dem Pass gibt es weitere strenge Voraussetzungen für ein Visum, so muss unter anderem auch eine Verpflichtungserklärung unterschrieben werden, in der die Einladenden garantieren, für anfallende Kosten - derzeit bis zu 500 Euro pro Gast pro Monat - aufzukommen.
Sema Tiras hat mehrere Wochen auf einen Termin im Kreisamt warten müssen, um diese Verpflichtungserklärung erst einmal einreichen zu können. Doch damit nicht genug. "Die Personen, die die Verpflichtungserklärung hier abgegeben haben, bekommen ein Original und sind selbst dafür verantwortlich, dieses dann an die Antragsteller im Heimatland zu versenden", erklärt Vivien Krämer, die im Kreisamt Siegen-Wittgenstein für Ausländerangelegenheiten zuständig ist. Das gehe meistens mit einer Expresslieferung per Post. "Natürlich muss man eine Adresse angeben, die dort auch noch existiert. Dadurch, dass dort viel zerstört wurde, stellt das auch noch eine Herausforderung dar", so Vivien Krämer.
Kritik an zu langen Verfahren
Viele Menschen, die ihre Familien nach Deutschland holen wollen, scheitern bereits an dieser Hürde. Außerdem gibt es zahlreiche Beispiele von Familienangehörigen, die Tausende Kilometer mit ihrem Auto in die Erdbebenregion fahren, um das Dokument persönlich vorbeizubringen.
Doch insgesamt dauere alles immer noch viel zu lange, beklagen sich viele verzweifelte Angehörige. Schneller gehe es eben nicht, sagt Krämer. Man habe schon die Verfahren beschleunigt. "Man muss die Menschen vertrösten und bitten, geduldig zu sein, wir arbeiten alles möglichst schnell ab. Wir verstehen die Situation, aber wir sind an die Bürokratie gebunden."
Erleichterungen vor allem für türkische Familien
Auf der Website des Auswärtigen Amtes wird mittlerweile in erster Linie von Erleichterungen für türkische Familien gesprochen. Für Angehörige aus Syrien ist es wie vor dem Erdbeben: Sie müssen nach Jordanien, in den Libanon oder in die Türkei reisen, um dort ein Visum zu beantragen. Der Weg dorthin war auch schon vor dem Erdbeben schwer zu bewerkstelligen und dürfte nun noch schwieriger sein. Die Terminvergabe soll nun aber schneller gehen.
Das Auswärtige Amt teilt mit, dass die Stellen in der Türkei und in Beirut bisher mehr als 500 Visa für Personen ausgestellt haben, die von dem Erdbeben betroffen sind.
Die Dokumente, die vorgelegt werden müssten, seien "auf ein Minimum" reduziert worden, so das Auswärtige Amt. Zudem gebe es einen Bus in der Erdbebenregion, der Visa-Anträge entgegennehme und von Stadt zu Stadt fahre, wo der Bedarf am größten sei.
Visa nur für Verwandte ersten und zweiten Grades
Neben der Bürokratie gibt es Kritik an der Beschränkung auf Verwandte des ersten und zweiten Grades. Vereinfachte Visaverfahren kommen also nur für die Ehepartnerin oder den Ehepartner, Eltern, Kinder, Großeltern, Enkelkinder und Geschwister infrage; Tante oder Onkel scheiden aus. Die hier in Deutschland lebende und einladende Person muss entweder die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen dauerhaften deutschen Aufenthaltstitel haben.
Viele Türkinnen und Türken sind frustriert über die unterschiedliche Behandlung zwischen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und türkischen Erdbebenopfern. Flüchtlinge aus der Ukraine bekamen sofort eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Den Ukrainern wurden keine bürokratischen Hindernisse in den Weg gelegt.
Die in Deutschland lebenden Türken, von denen die meisten deutsche Staatsbürger sind, haben diesen Prozess sehr genau verfolgt. Nun mit der Visa-Bürokratie zu kämpfen, um ihre Verwandten aus der Türkei nach Deutschland zu bringen, empfinden sie als Diskriminierung. Auch Sema Tiras kann das ganze Prozedere nicht verstehen. Man würde hier doch gut für die Familie sorgen, beteuert sie. Wenn man sie nur ließe.