Foodsharing Ein Café gegen Lebensmittelverschwendung
Eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung war Thema im Bundesrat. Ein Café in Stuttgart macht vor, wie es klappen kann, dass Lebensmittel wieder mehr wertgeschätzt werden.
Es ist bereits der 30. Kaffee, den Barista Aileen Gedrat an diesem Nachmittag aus der Siebträgermaschine im Foodsharing-Café "Raupe Immersatt" in Stuttgart presst. Gekonnt zieht die junge Frau mit dem Espresso eine Blume auf den Schaum des Cappuccino.
Der Vereinsvorstand des ersten Foodsharing-Cafés in Deutschland steht neben seiner Kollegin und testet die neue digitale Kaffeewaage. "An Sonntagen geben wir wohl so um die 400 Heißgetränke aus", schätzt Maximilian Kraft. Vor der Glasscheibe des Cafés sitzt bei der Kälte zwar kaum jemand, aber rund 20 Erwachsene und Kinder machen es sich an Tischen und auf Sofas gemütlich, genießen ihre Getränke und essen Croissants, Brötchen oder Donuts.
Der Unterschied zu anderen Cafés: Für das Essen muss man hier nicht bezahlen. Alle Lebensmittel wurden gespendet - beziehungsweise gerettet, wie sie hier in der "Raupe" sagen. Heute sind vor allem Brötchen im "Fairteiler"-Schrank, aus dem sich jeder hier bedienen darf. "Im Moment bekommen wir von unseren ehrenamtlichen Lebensmittelrettenden der Initiative Foodsharing vor allem Backwaren geliefert. Obst und Gemüse gibt es gerade eher selten." Alles, was hier landet, wurde im Handel oder der Gastronomie nicht verkauft und wäre sonst entsorgt worden.
Maximilian Kraft ist Vereinsvorstand der "Raupe Immersatt".
Am häufigsten landen Obst und Gemüse im Müll
Pro Kopf werden in deutschen Haushalten etwa 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weggeworfen. Das hat das Statistische Bundesamt im Jahr 2022 erhoben. Das ist deutlich mehr als in Restaurants oder in der Verarbeitung entsorgt werden. Vieles davon landet im Müll, obwohl es noch genießbar wäre. Am häufigsten betroffen sind demnach mit 35 Prozent der Abfälle Obst und Gemüse, danach folgen Brot und Backwaren mit 13 Prozent, Getränke mit zwölf Prozent und Milchprodukte mit neun Prozent.
Mit der Lebensmittelverschwendung beschäftigt sich heute auch der Bundesrat. Ein Grund für die vorzeitige Entsorgung von Nahrung ist der Vorlage zufolge: das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) in seiner bestehenden Form. Während das Verbrauchsdatum ein Datum angibt, nach dem ein Lebensmittel weggeworfen werden sollte, gibt das MHD das Datum an, bis wann sich ein verpacktes Lebensmittel mindestens lagern und verzehren lässt, ohne etwa den Geruch, den Geschmack oder die Farbe zu verändern. Bei korrekter Lagerung können Lebensmittel aber auch über dieses Datum hinaus noch verzehrt werden.
Der Handel haftet
Die Vernichtung von Lebensmitteln, die nahezu unbegrenzt haltbar seien, solle künftig verhindert werden, heißt es jetzt in der Entschließung des Bundesrats. Darin bittet er die Regierung darum, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass weitere Nahrungsmittel wie Reis, Salz, Nudeln und Honig auf die Ausnahmeliste für das Mindesthaltbarkeitsdatum kommen. Sie wären dann von der Pflicht zur Angabe eines MHD befreit, wie bereits frisches Obst, Zucker oder etwa Wein. Auch zusätzliche, erklärende Aufschriften wie zum Beispiel "Oft länger gut" sollen den Konsumentinnen und Konsumenten künftig mehr Sicherheit beim Verzehr geben.
In Deutschland ist es so geregelt, dass der Handel dafür haftet, wenn er Lebensmittel nach Erreichen des MHD in den Verkehr bringt. Das gilt auch dann, wenn er die Lebensmittel verschenkt statt verkauft. Dieses Haftungsrisiko will kaum ein Supermarkt oder Discounter eingehen. Dazu sieht die Vorlage im Bundesrat keine Änderungen vor.
Nahrungsmittel für soziale Zwecke freigeben
Die aktuelle Initiative zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung kommt aus Rheinland-Pfalz. Dazu sagt Ministerpräsidentin Malu Dreyer: "Bedenkenlos konsumierbare Nahrungsmittel können beispielsweise in Tafeln an bedürftige Menschen weitergegeben werden. Lebensmittelverschwendung ist insbesondere auch unter sozialen Gesichtspunkten und dem Aspekt der hohen Inflation für einkommensschwache Haushalte nicht akzeptabel."
Die Freigabe von unverkauften, für den Verzehr noch geeigneten Lebensmitteln für soziale Zwecke solle von der Bundesregierung geregelt werden, um Verluste und Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden, heißt es in dem Entwurf, über den heute im Bundesrat diskutiert wird.
Im "Fairteiler"-Schrank des Café "Rauper Immersatt" finden sich im Moment vor allem Backwaren.
Verbraucherschutz: Riechen und Schmecken reicht nicht
Ob mit Hilfe dieser Maßnahmen weniger Lebensmittel verschwendet werden, bezweifelt Vanessa Holste von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Obst und Gemüse müssten schon jetzt nicht mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen werden und würden trotzdem am häufigsten in der Tonne landen, sagt sie. Vielmehr sei das Mindesthaltbarkeitsdatum ein wichtiger Hinweisgeber. "Natürlich können viele Verbraucherinnen und Verbraucher auch durch Riechen und Schmecken entscheiden, was noch genießbar ist. Diese Mündigkeit haben sie bereits jetzt. Das MHD ist aber neben der Zusage der Genießbarkeit auch eine Qualitätszusage und damit für Verbraucherinnen und Verbraucher eine wichtige Information beim Kauf."
Beispielsweise ältere Menschen, die nicht mehr vollständig auf ihre Sinne vertrauen könnten, seien auf das MHD angewiesen. Außerdem würden laut einer Studie auch viele am Vortag selbstgekochte Gerichte von den Konsumierenden weggeworfen werden. Auch darauf hätten die angedachten Maßnahmen im vorliegenden Antrag keinerlei Effekt. Vielmehr sollte die Politik auch andere Akteure der Wertschöpfungskette - wie den Handel - dazu anregen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
Orientierung an anderen EU-Ländern
Wenn es nach der Eingabe des Bundesrats geht, sollen auch die Betriebsabläufe bei Kooperationen zwischen Einzelhandel und Organisationen wie den Tafeln verbessert werden. Die Wohltätigkeitsorganisationen sollen bei der Entwicklung der neuen Maßnahmen auch beteiligt werden.
Orientierung könnten der deutschen Regierung auch schon bestehende Regelungen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten geben. Maximilian Kraft vom Foodsharing-Café in Stuttgart würde das begrüßen. "In unserer Welt macht man sich erst Gedanken, wenn es finanzielle Konsequenzen gibt", sagt er. In Frankreich etwa dürfen Händler per Gesetz seit 2016 keine Lebensmittel mehr entsorgen.
"Die Politik macht es sich zu leicht, wenn sie dem Verbraucher allein die Verantwortung zuschiebt", sagt Kraft. Dazu wünscht er sich außerdem eine neue Studie, die der Lebensmittelverschwendung in Deutschland in der gesamten Wertschöpfungskette auf den Grund geht. Dass weitere Produkte auch ohne Mindesthaltbarkeitsdatum verkauft werden können, findet er grundsätzlich sinnvoll. Er glaubt, das würde mehr Menschen anregen, über ihren Konsum nachzudenken. "Und klar sollten die Menschen in Deutschland Lebensmitteln wieder mehr Wertschätzung entgegenbringen. Aber daran werden wohl die angedachten Änderungen beim Haltbarkeitsdatum nichts ändern."