Laden für "gerettete" Ware Zweite Chance für Lebensmittel
Viele Lebensmittel werden weggeworfen, obwohl sie eigentlich noch genießbar wären - zu viele, findet eine Jungunternehmerin aus Saarbrücken. Sie hat einen Laden für "gerettete" Lebensmittel eröffnet.
Ihre Mission: Lebensmittel vor dem Mülleimer retten. Der Laden "Rettich" in Saarbrücken ist ihre Einsatzzentrale. Dort verkauft Inhaberin Fabienne Ebertz gerettete Lebensmittel zu vergünstigten Preisen. Das "Rettometer" hinter der Kasse steht auf 86.577. So viele Produkte hat Ebertz bisher in ihrem Laden gerettet. Ansonsten wären sie im Müll gelandet, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum entweder überschritten oder beinahe erreicht war. Die Inhaberin des Ladens "Rettich" hat sich diesen Titel nicht ausgesucht, trägt ihn aber gerne: Lebensmittelretterin von Saarbrücken.
Bundesweiter Trend
Jedes Jahr landen in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Hier im Überfluss vorhanden, woanders Luxus. Diese Sorglosigkeit wollte Ebertz nicht mehr akzeptieren. Sie studierte Verpackungstechnik, wollte einen Laden gründen, der Gutes tut. Den hat sie nun seit einem Jahr. "Corona hat definitiv die Sensibilität für das Thema erhöht. Wie gehe ich mit meinen Ressourcen um? Das fragen sich immer mehr Leute", sagt die 26-Jährige.
Sie hat damit auch einen bundesweiten Trend erkannt: In fast jeder Stadt gibt es solche Lebensmittelretter-Läden oder andere Projekte, die sich gegen Verschwendung von Nahrung einsetzen. Aus der Hilfe ist auch ein lohnendes Geschäft geworden - mit einem Restrisiko: Bei bereits abgelaufenen Lebensmittel haftet der Verkäufer. Bisher habe sich aber noch niemand bei ihr beschwert, sagt Ebertz. Neben vielen jungen Kunden, die etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun möchten, kommen auch viele einige Senioren, bei denen das Geld knapp ist.
Fabienne Ebertz bestückt ihren Laden. Sie verkauft ausschließlich Lebensmittel, die sonst weggeworfen worden wären.
Familiäres Einkaufserlebnis
"Bei einer Kundin geht die Rente fast komplett für die Miete drauf. Sie ist froh hier ihre Dinge für günstig kaufen zu können", sagt Ebertz. Teilweise sind die Preise rund 50 Prozent niedriger als bei gängigen Supermarktketten. Es entsteht aber schnell der Eindruck, dass nicht nur Geld und Ideale wichtig sind, sondern auch das Soziale. Die Inhaberin kennt jeden Kunden und die Geschichten hinter den Menschen.
"Hast du Nala heute nicht dabei?", fragt Psychologiestudentin Sophia Jansen und meint Ebertz' Hündin. "Nee, die ist zu Hause. Manchmal habe ich das Gefühl, dass alle nur wegen meines Hundes kommen", antwortet die Jungunternehmerin und lacht. Die Auszubildende Antonia Netter kommt seit gut einem Jahr ins "Rettich". Sie liebt vor allem die Atmosphäre hier - und dass sie immer wieder neue Produkte für sich entdeckt. "Letztens waren es die Cappelletti mit Kürbisfüllung", sagt sie. "Die hätte ich mir im Supermarkt nie gekauft."
Kooperation mit der Tafel
Inzwischen hat sich das Modell herumgesprochen. "Firmen rufen mich nach Events an, fragen, ob wir die übrig gebliebenen Getränke möchten. Das ist cool." Bauern, Großhändler und Bäckereien unterstützen sie regelmäßig. Lebensmittel, die kalt gelagert werden müssen, kommen per Kühlwagen, andere Produkte holen sie und ihr Team selbst ab. Drei Werksstudenten arbeiten für Ebertz, die inzwischen von ihrem Laden leben kann. Wichtig ist ihr eines: Die 26-Jährige achtet darauf, nur mit Abnehmern zusammenzuarbeiten, die nicht mit der Tafel in Saarbrücken kooperieren.
Die sieht den Laden "Rettich" nicht als Konkurrenz. Eine Sprecherin der Tafel würde sich sogar noch viele weitere solcher Läden wünschen. Ursprünglich sei die Idee der Tafel auch gewesen, Lebensmittel vor dem Mülleimer zu retten. Das Ganze unter dem Aspekt der Bedürftigkeit zu machen, sei erst später dazugekommen. Wenn die Tafel mal geschlossen ist, nimmt Ebertz auch Ware an und lagert sie. Was im "Rettich" übrig bleibt, geht beispielsweise an Food-Sharing-Initiativen, die Lebensmittel an Privathaushalte vermittelt. "Wir werfen hier nichts weg", verspricht sie.
Rechts neben dem Eingang stehen Holzstühle und Tische, die Kaffeeecke. Wer will, kann hier Heißgetränke für andere kaufen - bezahlen, aber nicht selbst trinken. Das Getränk wird aufgeschrieben, ein anderer Kunde kann es dann kostenlos trinken. Ihre Mission will Fabienne Ebertz nun auch über die Stadtgrenzen von Saarbrücken hinaustragen. Ein zweiter Laden im Saarland ist geplant.