Dörfer am Tagebau Garzweiler Was ist mit denen, die bleiben?
Lützerath muss dem Kohleabbau weichen - trotz heftiger Proteste. Andere bereits abgeschriebene Dörfer am Tagebau haben wieder eine Zukunft. Nur wie soll diese aussehen? Das sollen auch die Bewohner entscheiden.
Ein Eukalyptusbaum, Palmen und über 50 Arten von Schneeglöckchen: Der Garten von Waltraud Kieferndorf hat viel zu bieten. Seit mehr als 25 Jahren pflegt sie ihn. Damals ist sie mit ihrem Mann von Leverkusen nach Kuckum gezogen - ein Dorf, das zu Erkelenz gehört.
Das Ehepaar befürchtete zwar, dass der Ort eines Tages dem Kohletagebau Garzweiler weichen muss. Als 2016 die ersten Menschen umgesiedelt wurden, war Waltraud Kieferndorf trotzdem fassungslos: "Wir waren damals überzeugt, dass Deutschland in 25 Jahren keine Braunkohle mehr braucht. Und wir wurden nicht von der Wissenschaft enttäuscht, sondern von der Politik und RWE, die es nicht geschafft haben, auf alternative Energien umzustellen."
Waltraud Kieferndorf wohnt seit mehr als 25 Jahren in Kuckum.
Die meisten sind längst weggezogen
Bis 2038 will Deutschland den Kohleausstieg geschafft haben. Im rheinischen Revier soll aber schon 2030 Schluss sein. Das vereinbarten die schwarz-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und RWE im Oktober vergangenen Jahres. Teil der Vereinbarung ist auch: Lützerath wird noch abgebaggert. Dafür sollen die übrigen fünf noch nicht geräumten Ortschaften, die ursprünglich auch einer Tagebauerweiterung weichen sollen, nun doch erhalten bleiben. Konkret: Kuckum, Berverath, Keyenberg, Oberwestrich und Unterwestrich.
Etwa 1500 Menschen lebten einst in den fünf Dörfern. Die meisten sind längst weggezogen. Nur 200 Bewohner sind geblieben und haben sich der Umsiedlung widersetzt. Auch Waltraud Kieferndorf wollte ihr Haus nicht aufgeben, vor allem nicht ihren Garten. "Den hätten wir in diesem Leben nicht mehr aufgebaut bekommen. Aber je mehr wir uns mit dem Klimawandel beschäftigt haben, war klar: Unsere Kohle bleibt unter der Erde!"
Waltraud Kieferndorf ist in Kuckum geblieben - auch wegen ihres Gartens.
Viel Potenzial für fast leere Dörfer
Nachdem die Menschen weggezogen sind, haben andere in den Dörfern zeitweise eine neue Heimat gefunden. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 sind einige Betroffene in leerstehende Häuser, die mittlerweile dem Tagebaubetreiber RWE gehören, gezogen. Auch Geflüchtete aus der Ukraine sind nach Kuckum gekommen. So kamen etwa 300 neue Bewohner in die Dörfer.
Die gebliebenen Einwohner setzen sich dafür ein, dass das Leben in die Dörfer zurückkommt. Sie wollen, dass die ehemaligen Bewohner die Möglichkeit bekommen, ihre Häuser von RWE zurückzukaufen. Sie fordern, dass die Ackerflächen nicht zugebaut werden und keine denkmalgeschützten Häuser abgerissen werden. Viele können sich vorstellen, Modelldorf für klimaneutrales Wohnen zu werden. Als ehemalige Sozialarbeiterin wünscht sich Waltraud Kieferndorf soziale Projekte wie zum Beispiel einen Straßenzug für ein "Dorf im Dorf", in dem an Demenz erkrankte Menschen leben können.
Wirtschaftlicher Totalschaden
Während Waltraud Kieferndorf erleichtert ist, dass ihr Dorf erhalten bleibt, gibt es wenige Kilometer weiter in Holzweiler gemischte Gefühle. Seit mehr als 36 Jahren betreibt Toni von Wirth hier seine Tankstelle. Er wusste schon früh, dass er seine Rente woanders verbringen muss. Auch Holzweiler sollte für den Kohleabbau abgebaggert werden. Das ganze Dorf hatte sich lange darauf eingestellt, doch 2014 kam die Nachricht: Holzweiler bleibt.
Toni von Wirth freut sich, dass seine Heimat nicht abgerissen wird. "Ich bin ein Ur-Holzweiler, nur finanziell ist es schwierig", sagt der 63-Jährige. Denn wirtschaftlich ist es für ihn ein Totalschaden. Weil viele Orte abgerissen wurden oder weggebaggert werden sollten, sind viele seiner Kunden weggezogen.
Gewerbetreibende wie Toni von Wirth kämpfen mit Umsatzeinbußen.
Im Vergleich zu der Zeit vor den Umsiedlungen verkauft er nur noch die halbe Menge an Kraftstoff. Eigentlich hatte er mit der Entschädigung von RWE gerechnet. Das Geld sollte seine Rente sein. Die Tankstelle bleibt weiter geöffnet. Bis in die geretteten Dörfer aber neue Kunden ziehen, wird möglicherweise noch viel Zeit vergehen.
Bürger sollen über Zukunft mitentscheiden
Wie sich das Umfeld des Tagebaus tatsächlich verändern wird, soll in den nächsten Wochen und Monaten diskutiert werden. Die Stadt Erkelenz startet ein Bürgerbeteiligungsverfahren. Hier sollen die Bewohner der Dörfer die Möglichkeit bekommen, ihre Visionen und Ideen für das Umfeld des Tagebaus mitzuteilen.
Auch Waltraud Kieferndorf wird sich beteiligen und hofft, dass die Wünsche der Menschen vor Ort respektiert werden. Wie die Dörfer aber in Zukunft aussehen werden, ist wie vor wenigen Jahren als es um den Abriss ging ungewiss.