Tod in Polizeirevier Warum verbrannte Oury Jalloh?
Oury Jalloh starb 2005 durch einen Brand in einer Dessauer Polizeizelle. Wie konnte das geschehen? In einer ARD-Doku-Serie äußert sich nun erstmals ein Polizist des Reviers vor der Kamera.
"Es kam ja dann recht schnell der Vorwurf: Oury Jalloh, das war Mord!", erinnert sich Hanno Schulz. Er war damals Leiter des Revierkriminaldienstes in Dessau. "Das war schon keine einfache Situation für die Beamten, weil von den weit über 100 Beamten, die im Polizeirevier sind, hatten 99 Prozent eigentlich mit dem Fall Jalloh nichts zu tun. Und auf einmal schießen alle auf die Polizisten in Dessau."
Von fahrlässiger Tötung bis zu hin zu einem rassistischen Mord - die Vorwürfe gegen die Dessauer Polizei sind massiv, vor allem, weil bis heute nicht geklärt ist, was im Fall Oury Jalloh genau passiert ist. Die beteiligten Polizisten aus dem Dessauer Polizeirevier haben sich öffentlich bisher nie zu diesen Vorwürfen geäußert. Und auch ihr Aussageverhalten vor Gericht wurde häufig als "Mauer des Schweigens" bezeichnet.
Der damalige Leiter des Revierkriminaldienstes in Dessau, Hanno Schulz.
Seit Jahren Zweifel an Hergang
Hanno Schulz - inzwischen pensioniert - will dem in der ARD-Doku-Serie "Warum verbrannte Oury Jalloh" nun etwas entgegensetzen. Als der Brand am 7. Januar in einer Zelle im Keller des Reviers ausbricht, ist er selbst im Dienst: "Es war irgendwann kurz nach zwölf. Ich saß im Bereich der Kriminaltechnik und habe Kaffee getrunken. Und irgendjemand kam und rief: es brennt!".
Die Zellen sind gefliest, lediglich ein Podest mit einer feuerfesten Matratze befindet sich darin. Wie konnte es trotzdem zum Brand und zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh kommen? Für Schulz steht fest: Jalloh hat sich trotz Fesselung mit einem Feuerzeug selbst angezündet. Ein tragisches Unglück - bis heute ist das die Erklärung von Polizei und Justiz für den Brand. Doch zahlreiche Ungereimtheiten, Brandrekonstruktionen und rechtsmedizinische Befunde ziehen das in Zweifel.
Woher kam das Feuerzeug?
Ein Punkt, der viele Fragen aufwirft, ist das Feuerzeug, mit dem sich Oury Jalloh angezündet haben soll. Der Mann aus Sierra Leone wird von zwei Polizisten durchsucht bevor er in die Zelle gebracht wird. Ein Feuerzeug findet man bei ihm nicht.
Auch die Spurensicherung findet nach dem Brand kein Feuerzeug in der Zelle. Erst als der Brandschutt in einem Labor des Landeskriminalamts untersucht wird, wird ein verkohltes Feuerzeug gefunden. Woher kam das Feuerzeug? Schulz glaubt, dass es von einem Polizisten stammt, der Oury Jalloh in der Zelle kontrolliert hat: "Bei der Kontrolle der Zelle beugt man sich ja automatisch immer nach vorne. Da muss es ihm aus der Brusttasche gefallen sein."
Das Polizeirevier in Dessau.
"Unser erster Gedanke war, die haben ihn umgebracht"
Erst sieben Jahre später wird das Feuerzeug im Rahmen des zweiten Prozesses am Landgericht Magdeburg untersucht. Dabei werden keine Übereinstimmungen zwischen den Fasern auf dem Feuerzeug und den Vergleichsfasern aus der Zelle gefunden. Die Anwälte der Nebenklage gehen deshalb davon aus, dass nie ein Feuerzeug in der Zelle gewesen sei.
Auch deshalb konnten Freunde und Familienangehörige von Oury Jalloh nie glauben, dass Oury Jalloh das Feuer selbst gelegt haben soll. "Unser erster Gedanke war, die haben ihn umgebracht", sagt Indjai Amadi, der damals ein Zimmer mit Oury Jalloh in einem Wohnheim für abgelehnte Asylbewerber teilte. "Kann man sich vorstellen, dass Polizeibeamte einen in Gewahrsam Genommenen vorsätzlich anzünden und zu Tode kommen lassen? Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland möchte man diesen Gedanken eigentlich nicht haben", sagt der damalige Anwalt der Familie, Felix Isensee.
Zweite Obduktion zeigte gebrochenes Nasenbein
Oury Jalloh hatte am frühen Morgen des 7. Januar 2005 zwei Frauen auf der Straße mehrfach angesprochen, weil er telefonieren wollte. Die Frauen hatten Angst, riefen den Notruf und zwei Polizisten brachten Oury Jalloh ins Polizeirevier.
Nach seinem Tod wird Oury Jallohs Leiche im Auftrag der Dessauer Staatsanwaltschaft obduziert. Dabei wird lediglich die Brandeinwirkung als Todesursache festgestellt. Freunde des Toten fordern, dass die Leiche geröntgt wird: "Um sicher zu gehen, dass Oury Jalloh nicht misshandelt wurde", sagt Mouctar Bah, ein Freund von Oury Jalloh. Doch die Staatsanwaltschaft lehnt das ab. Daraufhin organisieren die Freunde eine zweite privat finanzierte Obduktion. Das Ergebnis: Oury Jallohs Nasenbein war gebrochen.
Beamter nimmt Kollegen in Schutz
Seitdem steht der Verdacht im Raum, dass Oury Jalloh durch die Polizisten, die ihn ins Revier brachten, verprügelt wurde. Der Polizeibeamte, Hanno Schulz, nimmt seine Kollegen in Schutz: "Das kann ich ruhigen Gewissens behaupten, dass das beides zwei ganz ruhige, zurückhaltende Vertreter waren." Er verweist auf die Zeugenaussagen der Beamten, wonach Oury Jalloh bei seiner Durchsuchung mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen und sich dabei selbst verletzt haben soll.
Die letzten Ermittlungen im Fall wurden 2017 eingestellt. Angehörige von Oury Jalloh haben deshalb Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Denn in verschiedenen Brandversuchen wurde das Feuer nachgestellt und festgestellt, dass sich ein solcher Brand ohne Zuhilfenahme von Brandbeschleuniger nicht habe entwickeln können.
Hanno Schulz weist diese Mord-Vorwürfe als Verschwörungstheorien zurück. Für ihn haben die ermittelnden Kollegen nichts unversucht gelassen: "Wenn nicht wirklich einer die goldbringende Idee hat, was jetzt die Sache lösen noch könnte, muss irgendwann auch mal Schluss sein."
Mehr dazu sehen Sie in der sechsteiligen ARD-Doku-Serie "Warum verbrannte Oury Jalloh?" in der ARD-Mediathek.