Faeser zu politischen Delikten "Es hat sich etwas verschoben in der Gesellschaft"
Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hat 2023 den höchsten Stand seit der Einführung der Statistik erreicht. Besonders gestiegen sind antisemitische Fälle sowie Angriffe auf Mandatsträger.
Es sind nachdenkliche Worte, mit denen Bundesinnenministerin Faeser direkt am Anfang ihrer Präsentation die Statistik zusammenfasst: "Diejenigen, die in unserer Gesellschaft Wut und Hass säen, sind lauter geworden." Wie stark die Demokratie in Deutschland unter Druck steht, dafür sollen die Zahlen ein Gradmesser sein. Und in diesem Jahr sind die Ausschläge nach oben deutlich.
Es sind Zahlen aus den Polizeidienststellen des Landes: Meldet dort jemand einen Fall, der den Diensthabenden politisch veranlasst scheint, wird dieser Teil der Statistik. Alles fein sortiert nach den Bereichen "links", "rechts", "ausländische Ideologie", "religiöse Ideologie" oder "Sonstiges". Viele Straftaten in Zusammenhang mit Corona fielen in den vergangenen Jahren unter "Sonstiges". Wenig überraschend, dass diese Fälle nun um 30 Prozent zurückgegangen sind.
Rechtsextremismus "die größte extremistische Bedrohung"
Stark gestiegen dagegen die rechts motivierte Kriminalität. Hier gab es im vergangenen Jahr 23 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr, insgesamt 28.945. Für Faeser ist der Rechtsextremismus deshalb die "größte Bedrohung", hier wurden auch die meisten Gewalttaten verzeichnet. 714 Menschen seien von rechts motivierten Tätern im vergangenen Jahr verletzt worden: "Wenn man das umrechnet, sind das zwei Menschen am Tag," so die Innenministerin: "In keinem anderen Bereich ist die Opferzahl so hoch."
Allerdings sei auch in der linken Szene die Hemmschwelle gesunken. Hier werde mit äußerster Brutalität gegen Polizisten und Gegner vorgegangen, so Faeser, jeder vierte Linksextremist sei als gewaltorientiert einzuschätzen.
Anschläge auf kritische Infrastruktur
Faeser verwies auf den Brandanschlag auf die Stromversorgung des Tesla-Werks in Brandenburg. Der Anschlag habe ganze Ortschaften vom Strom abgeschnitten. Das schade nicht nur dem Wirtschaftsstandort, sondern gefährde Menschenleben: "Wenn in Krankenhäusern oder der Pflege der Strom ausfällt, dann kann das lebensgefährlich sein," so Faeser.
Brandanschläge und Sachbeschädigungen, beides käme schwerpunktmäßig aus dem linken Spektrum, ergänzte der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: "Die setzen bewusst diese Straftaten ein, weil die Aufklärungswahrscheinlichkeit geringer sein kann."
Münch forderte, dass die Betreiber kritischer Infrastruktur an ihren Schutzmaßnahmen arbeiten müssten. "Sie werden nicht jeden Strommast in Deutschland schützen können, aber man muss gucken: Wo sind die Ausfallrisiken am höchsten?"
Faeser kündigte an, zusätzlich neue Handhaben gegen vermeintliche Klimaschutz-Aktionen wie die Blockade des Münchener Flughafens am vergangenen Samstag zu schaffen: Sie werde vorschlagen, dass das unberechtigte Eindringen auf ein Flughafengelände bestraft werden könne, und zwar mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug. Dazu solle ein neuer Straftatbestand in das Luftsicherheitsgesetz aufgenommen werden.
Starke Zunahme bei Antisemitismus
Auch auf das Thema Judenhass müsse man gucken, so Faeser. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat es laut Statistik einen massiven Anstieg politisch motivierter Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt gegeben. Die Zahl der polizeibekannten Taten aus diesem Kontext betrug mit 4.369 im vergangenen Jahr mehr als das Siebzigfache der 61 Delikte des Vorjahrs.
"Seit dem 7. Oktober haben wir eine völlig andere Situation", sagte Münch. Insgesamt 1.927 dieser Taten gelten als antisemitisch, die allermeisten davon wurden ab dem 7. Oktober begangen.
Mehr als die Hälfte der knapp 4.400 Taten ordnete die Polizei dem Bereich "ausländische Ideologie" zu. Sie sieht also Anhaltspunkte dafür, dass eine aus dem Ausland stammende, nicht religiöse Ideologie entscheidend für die Tat war. Faeser sprach von "widerwärtigem Judenhass".
Angriffe auf Mandatsträger
Besonders gestiegen sind laut der Statistik auch die Angriffe auf Mandatsträger und Vertreter politischer Parteien. Die Betroffenen würden bedroht, ihre Büros angegriffen, ihre Wohnungen belagert, ihr privates Eigentum beschädigt. "Wir erleben eine Eskalation der politischen Aggression," so Faeser: "Immer stärkere Grenzüberschreitungen, Einschüchterungsversuche und Übergriffe."
Diese Gewaltspirale gegen Amts- und Mandatsträger sei erstaunlich, da habe sich etwas verschoben in der Gesellschaft: "Wir müssen zu einem respektvolleren Umgang zurückkommen. Es darf keinerlei Akzeptanz von Hass und Gewalt geben."