Weniger Weihen Kirchen ohne Priester
In den fünf katholischen Bistümern Nordrhein-Westfalens gibt es in diesem Jahr nur sieben Priesterweihen. In Ostdeutschland sind es sogar nur zwei. Was kann die Kirche gegen den Priestermangel tun?
Carl Severin Seibert muss momentan sehr viel lernen. Der 19-Jährige steht kurz vor dem Studium, das ihn zum Priester machen soll. Bevor es im Oktober losgehen kann, muss er Sprachprüfungen bestehen: Alt-Griechisch und biblisches Hebräisch wird abgefragt. Das Große Latinum hat er bereits aus der Schule mitgebracht.
Diese Sprachen sind Grundvoraussetzung für das Theologie-Studium; egal, ob man Priester werden will, oder nicht. Es sei ein "notwendiges Übel, das man in Kauf nimmt", sagt Carl Severin Seibert. "Es ist aber noch niemand vor Freude in die Luft gesprungen", ergänzt er süffisant. Im Alltag werden ihm diese Sprachen wohl nicht sehr viel bringen. Es gibt viele Aspekte in der katholischen Kirche, bei denen immer mehr junge Menschen die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellen. Auch das Stichwort Zölibat fällt dabei immer wieder.
"Frohe Botschaft an die Menschen weitergeben"
Carl Severin Seibert ist jedenfalls überzeugt davon, dass es eine gute Entscheidung ist, Priester zu werden. Seelsorger sei ein unfassbar spannender und vielseitiger Beruf, man müsse viel Organisationstalent mitbringen und an vielen Stellen in der Kirche Verantwortung übernehmen. Als seine Aufgabe sieht Seibert es an, "die frohe Botschaft, die wir von Jesus Christus bekommen haben, an die Menschen weiterzugeben; sie zu den Menschen zu bringen".
Damit ist er allerdings einer von wenigen, die diesen Weg noch gehen wollen, und so dürfte das Wort Krise immer wieder genannt werden, wenn heute die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Erfurt zusammen tritt. Das ZdK ist das höchste repräsentative Gremium der katholischen Laien.
Für ihn ein spannender und vielseitiger Beruf: Carl Severin Seibert will Priester werden.
Immer weniger Priesterweihen
Die Umfrage, die die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) Mitte Mai veröffentlichte, machte das Ausmaß deutlich. Zwei Priesterweihen in diesem Jahr in ganz Ostdeutschland. So wenige waren es noch nie. Im vergangenen Jahr waren es drei, 2020 noch sieben. Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Zahlen rückläufig. Sieben Priesterweihen in diesem Jahr. 2022 und 2023 gab es landesweit jeweils zwölf neue Priester. Im Jahr 2013 waren es 13.
Bundesweit lassen sich seit Langem immer weniger Männer zu katholischen Priestern weihen. Die jüngste Statistik der Deutschen Bischofskonferenz erfasste für 2022 insgesamt 45 Priesterweihen in den 27 Bistümern.
Studie über das Priesteramt
Mitte Mai hat die katholische Bischofskonferenz eine Studie veröffentlicht. Sie behandelt die Profile der Männer, die in den Jahren von 2010 bis 2021 neu ins geistliche Amt gekommen sind.
Für die Studie wurden zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 847 Männer angefragt, die zwischen 2010 und 2021 zum Priester geweiht wurden, sowie 1.668 Männer, die während der Ausbildung aus dem Priesterseminar ausgetreten sind. Geantwortet haben lediglich 153 Priester und 18 ehemalige Kandidaten.
Die Umfrage kann also nur ein Stimmungsbild wiedergeben. Demnach spielen bei der Entscheidung für das Amt vor allem individuell-spirituelle Faktoren eine Rolle. Ein großes Motivationspotenzial liege auch in der Feier der Liturgie. Die Aspekte Organisation oder Management spielten nur eine untergeordnete Rolle.
Ehelosigkeit und Zölibat schrecken junge Männer ab
Die Untersuchung zeigt aber auch auf, warum sich junge Männer gegen das Amt des Priesters entscheiden. Hier spielen Ehelosigkeit und Zölibat eine große Rolle. Etwa 73 Prozent der Befragten gaben an, dass die Ehelosigkeit ein sehr großes oder eher großes Hindernis für junge Männer darstellt, ins Priesterseminar zu gehen. Bei der mangelnden Akzeptanz des Zölibats in der Gesellschaft sind es mit 72,4 Prozent ähnlich viele.
Carl Severin Seibert sieht das aber nicht als Hauptgrund. "Die Priesterseminare wären nicht in Scharen mit jungen Menschen gefüllt, wenn es das Zölibat nicht mehr gäbe", ist er überzeugt. "Ich glaube, wir müssen eher schauen, was kann das katholische Amt alles bieten." Wichtig sei es, Frauen mehr in die Kirchenarbeit zu integrieren, vielleicht sogar irgendwann Frauen ins Priesteramt zu berufen. "Wir müssen als Kirche schauen, wie können wir Möglichkeiten schaffen", so Seibert.
"Taktgefühl" bei Reformen
Hier warnt Kardinal Jean-Claude Hollerich allerdings vor übertriebener Ungeduld. "Wenn man zu groß angreift, wird man nicht viel erreichen", sagte er jüngst in einem Interview des Portals kath.ch. Kardinal Hollerich ist Erzbischof von Luxemburg und zugleich Generalrelator, also eine Art Moderator oder Geschäftsführer im synodalen Prozess der Weltkirche. "Man muss behutsam sein, einen Schritt nach dem anderen machen, und dann kann man vielleicht sehr weit gehen", so der Luxemburger Erzbischof.
Demonstrationen oder zu großer Druck könnten aus seiner Sicht "zu einer Polarisierung und schlussendlich zum Tod der Kirche führen". Die anstehenden Fragen müssten ausführlich und umfassend diskutiert werden, mahnt der Jesuit und Papstvertraute. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Frauenfrage als etwas gesehen werde, das "von liberalen Katholiken durchgeboxt werden will". Er fordert "Taktgefühl".
Raus aus den Kirchen - hin zu den Menschen
Carl Severin Seibert blickt mit Spannung auf die Herausforderungen, die auf ihn zukommen. "Was ganz wichtig ist, dass wir uns aus den Kirchengebäuden heraus bewegen, auf die Straße zu den Menschen gehen, dorthin gehen, wo sie sind. Natürlich kommen die Menschen in die Kirche, aber wir müssen auch auf sie zugehen, zuhören und fragen: Was können für Euch tun", so Seibert.
Der angehende Theologiestudent ist jedenfalls überzeugt, dass auch in der heutigen Zeit noch genügend Platz für die Kirche ist, wenn sie sich öffnet und auf die Menschen zugeht.