Nach Vorwürfen gegen Lindemann Fans feiern Rammstein fast unverändert
Gegen Rammstein-Frontmann Lindemann stehen Vorwürfe wegen des Umgangs mit weiblichen Fans im Raum. Gestern fand das erste deutsche Konzert der aktuellen Tour statt. Was hat sich geändert?
Die Vorwürfe wiegen schwer: Nach dem Rammstein-Konzert in der litauischen Hauptstadt Vilnius am 22. Mai machte die Irin Shelby Lynn über Instagram und Twitter öffentlich, in der Konzertpause in einen Raum unter der Bühne geführt worden zu sein. Sänger Till Lindemann habe nach ihrem Eindruck erwartet, Sex mit ihr zu haben und aufgebracht reagiert, als sie ablehnte. Sie sei dann in den Backstagebereich zurückgegangen. Später sei sie mit Erinnerungslücken und blauen Flecken am Körper in einem Hotel aufgewacht.
Im Anschluss berichteten weitere Frauen, auch gegenüber einem Rechercheteam von NDR und Süddeutscher Zeitung, von weiteren Erfahrungen. Die Influencerin und Modedesignerin Kayla Shyx schilderte in einem YouTube-Video ausführlich, wie sie für eine private Party mit Lindemann "gecastet" worden sei.
Hinter den Erfahrungen der Betroffenen könnte ein regelrechtes System stehen, das junge weibliche Fans zunächst mit Plätzen in der sogenannten "Row Zero" unmittelbar vor der Bühne lockt, sie dann auf eine Aftershowparty einlädt und schließlich Lindemann "zuführt".
Keine "Row Zero" beim Münchner Konzert
Die Band selbst wies die Vorwürfe zurück, soll aber Medienberichten zufolge inzwischen eine Anwaltskanzlei mit der Aufklärung beauftragt haben. Aus Kreisen der Band erfuhr der BR, Alena M., die die "Castings" der jungen Frauen durchgeführt haben soll, sei nicht mehr im Umfeld der Band tätig. M. tauchte immer wieder in den Vorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann auf. Die Frau habe aber nicht im Auftrag des Band-Managements gehandelt, hieß es gegenüber dem BR.
Für das Münchner Konzert verzichtete die Band auf die "Row Zero" mit gezielt ausgesuchtem weiblichen Publikum, nachdem im Stadtrat die Grünen zusammen mit der Rosa Liste, Die Linke und der ÖDP/München-Liste einen entsprechenden Antrag gestellt hatten.
Rammstein sagte stattdessen auf Druck der Stadtratsfraktionen zu, einen Safe Space für Fans einzurichten, die sich unsicher fühlen. Außerdem teilte die Band mit, ein sechsköpfiges Awareness-Team für mehr Sicherheit in die Arena zu schicken, das nach Auffälligkeiten Ausschau halten und für Fans ansprechbar sein sollte.
Proteste vor dem Konzert
Das Münchner Konzert im Olympiastadion war das erste in Deutschland seit Beginn der öffentlichen Debatte um Rammstein. Wie die anderen drei Termine in München in den kommenden Tagen war es ausverkauft, insgesamt wurden 240.000 Tickets verkauft. Vor dem Konzert hatte es auf dem Olympiagelände kleinere Proteste gegen den Auftritt der Band gegeben, berichten BR-Reporter. "Till Täter" war auf einem Schild zu lesen, "Das System Einzelfall" hieß es auf einem Banner. Vereinzelt kam es zu Wortgefechten mit Rammstein-Fans, eine größere Konfrontation jedoch blieb aus.
Im Stadion selbst dann war die wichtigste Änderung: Die umstrittene "Row Zero" blieb als Teil der sogenannten "Feuerzone" frei von Fans - dafür stand in der Feuerzone selbst umso mehr Publikum. Ein Safe Space allerdings war nicht als solcher erkennbar und auf Nachfrage von BR-Reportern einzelnen Ordnungs- und Sicherheitskräften des Olympiastadions auch nicht bekannt. Ebenso wenig fiel die Präsenz eines Awareness-Teams auf.
Aktivisten demonstrieren vor Beginn des Konzertes der Band Rammstein vor dem Olympiastadion München.
Solidarität der Fans
Rammstein selbst lieferte den Fans die gewohnte Feuer-, Licht- und Pyroshow der Superlative. Sänger Lindemann bezog sich bei seinem Auftritt nicht auf die Vorwürfe, auch nicht in Anspielungen. Nur als er zum Schluss seinen Fans dankte, dass sie gekommen waren, ließ sich das dann doch im Kontext der Vorwürfe verstehen. Das Publikum dankte ihm seinen Auftritt mit Standing Ovations, begeisterten La-Ola-Wellen durchs Stadion - und ungebrochener Solidarität.
Vor und nach dem Konzert äußerten sich einige Fans gegenüber dem BR zu den Vorwürfen, zumeist kritisch gegenüber den mutmaßlichen Opfern: Was da geschrieben werde, sei ein Medienhype. Frauen wollten mit Vorwürfen gegen die Band selber berühmt werden. Und dass weibliche Fans zu Privatpartys mit Stars eingeladen würden, habe es schon immer gegeben.
Debatte um Machtmissbrauch in der Musikbranche
Dennoch geht die öffentliche Debatte um Machtmissbrauch im Musikbusiness weiter. Sie betrifft nicht nur Rammstein, eine Band, die ein globales Millionen-Unternehmen ist, sondern könnte Auswirkungen auf die Branche insgesamt haben - vergleichbar mit der #MeToo-Bewegung, die ab Herbst 2017 vor allem in den USA Missstände im Filmgeschäft aufzudecken begann.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus forderte bereits im Vorfeld des Münchner Konzerts Änderungen im Konzertbetrieb. "Gerade junge Menschen müssen hier vor Übergriffen besser geschützt werden", sagte Paus und trat für ein "Bündnis gegen Sexismus" ein. "Eine ernsthafte Debatte über die Verantwortung von Künstlern und Veranstaltern gegenüber ihren Fans ist sinnvoll", so die Ministerin gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Ähnlich äußerte sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie verurteilte Übergriffe in der Kultur scharf. "Patriarchales Mackertum und sexuelle Übergriffe haben in der Musikbranche, wie überhaupt in Kunst und Kultur und auch überall sonst, nichts mehr zu suchen", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Sie begrüße den Mut vieler junger Frauen, offen über ihre teilweise traumatischen Erlebnisse zu sprechen.