Selbstbestimmungsgesetz in Kraft "Wichtig für meinen Seelenfrieden"
Viele Jahre haben Betroffene dafür gekämpft: Heute tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Eine einfache Erklärung beim Standesamt reicht nun aus, um Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern.
Mit den Zuschreibungen "männlich" und "weiblich" kann Janboris Rätz nichts anfangen. Schon früh habe Rätz gemerkt, dass "dieses festgelegte Raster nicht passt". Rätz ist nicht-binär, also nicht männlich, nicht weiblich, sondern irgendwie beides und auch nichts davon.
Das will Rätz jetzt auch offiziell machen, den Geschlechtseintrag streichen lassen und den Vornamen Janboris um den Namen Ann-Kathrin erweitern.
"Meine Mutter dachte bis zum Moment meiner Niederkunft, dass ich ein Mädchen werde mit dem Namen Ann-Kathrin", erzählt Rätz. Und so ganz Unrecht habe die Mutter damit wohl nicht gehabt. Das solle sich künftig auch im Pass widerspiegeln.
Rätz ist jetzt 47, moderierte einst beim SWR und ist jetzt freiberuflich tätig.
Änderung des Geschlechtseintrags seit heute möglich
Grundsätzlich können alle Personen, die volljährig sind, ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern oder ganz streichen lassen. Das ging bisher auch schon - allerdings waren dafür zwei selbst bezahlte psychologische Gutachten, ärztliche Untersuchungen und ein richterlicher Beschluss nötig. Dieser Weg entfällt ab heute. Der Antrag kostet je nach Standesamt um die 30 Euro.
Rätz hat auch schon früher darüber nachgedacht, die Identität offiziell eintragen zu lassen. Doch der bisherige Weg habe zu große Hürden gehabt: "Mir war klar, das dauert ewig. Ich hätte menschenverachtende Fragen über mich ergehen lassen und Tausende Euro in die Hand nehmen müssen für Gutachten, damit am Ende eine Richterin oder ein Richter darüber entscheidet, wer ich bin und wer ich sein darf?"
Janboris Rätz will den Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern lassen.
Bisheriger Weg teilweise verfassungswidrig
Immer wieder hatte das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren Nachbesserungen beim Umgang mit queeren Menschen gefordert, auch beim seit 1981 geltenden sogenannten Transsexuellengesetz, dem umstrittenen Vorgänger des jetzt geltenden Selbstbestimmungsgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hatte dabei immer wieder auf demütigende Situationen für Betroffene hingewiesen.
Die Ampelkoalition verständigte sich auf ein Selbstbestimmungsgesetz und schrieb es als Vorhaben in den Koalitionsvertrag, es wurde schließlich im April im Bundestag verabschiedet.
Tausende Anträge seit August
Seit Anfang August haben trans- und intergeschlechtliche Menschen die Möglichkeit, einen Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags beim Standesamt zu stellen. Tausende Menschen nutzten das nach Zählungen der Nachrichtenagentur dpa allein in den ersten drei Monaten. Und damit deutlich mehr Menschen als nach dem bisherigen Verfahren. Die Standesämter wussten jedoch oft nicht damit umzugehen, offen waren vor allem die konkreten Verfahren.
Drei Monate müssen zwischen Antrag und Termin beim Standesamt weiterhin liegen, quasi als gesetzlich festgelegte Bedenkzeit. "Ich kenne keine einzige Person, die aus einer Laune heraus ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändert. Und selbst wenn - für medizinische Eingriffe ist ja weiter eine enge medizinische und oft auch therapeutische Begleitung nötig", sagt Rätz.
Eigenes Verfahren für Minderjährige
Tatsächlich geht es beim Selbstbestimmungsgesetz an keiner Stelle um medizinische Maßnahmen, also darum, ein Geschlecht hormonell oder operativ zu verändern. Es geht ausschließlich um den Eintrag beim Standesamt.
Minderjährige bis zum Alter von 14 Jahren können nur in Begleitung der Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten eine Geschlechtseintragsänderung beantragen. Dazu muss das Kind zustimmen und es muss beim Standesamt dabei sein.
Minderjährige können ab 14 die Änderungserklärung selbst abgeben, aber nur mit Zustimmung der Eltern oder Sorgeberechtigten. Wenn die nicht zustimmen sollten, können Minderjährige ab 14 mit ihrem Anliegen zum Familiengericht. Dieses legt den Maßstab des Kindeswohls an, hinterfragt also, was für die Person besser wäre, worunter sie mehr oder weniger leiden würde. Folgt das Familiengericht dem Wunsch eines oder einer Minderjährigen ab 14, kann es die Eltern oder Sorgeberechtigten überstimmen.
Klagen nicht ausgeschlossen
Für Rätz ist mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz zwar noch nicht jede Diskriminierung abgeschafft, "für meinen Seelenfrieden sind die Namens- und Geschlechtseintragsänderung aber sehr wichtig".
Dennoch sind weitere Klagen gegen das Gesetz nicht ausgeschlossen, so könnten Betroffene, denen die Regelungen nicht weit genug gehen, etwa gegen die Bedenkzeit oder andere politische Kompromisse vorgehen.