Urteil zum Vaterschaftsrecht Elternverantwortung - auch für den leiblichen Vater
Seit Jahren versucht der leibliche Vater eines Kindes vor Gericht, sich auch die rechtliche Vaterschaft zu erstreiten. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm nun zum Teil recht und stärkte damit die Position von Trennungsvätern.
Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt eine große Bedeutung zu, denn sie betrifft viele Fälle in Deutschland, die ähnlich gelagert sind wie die des Klägers. Kurz nachdem dieser Vater eines Sohnes wurde, trennte sich seine Lebensgefährtin von ihm. Sie ging eine neue Partnerschaft ein. Mit Zustimmung der Mutter übernahm der neue Lebenspartner die rechtliche Vaterschaft für das Kind. Mit einer rechtlichen Vaterschaft sind wichtige Befugnisse mit Blick auf Kinder verbunden. So darf nur ein rechtlicher Vater das Sorgerecht für ein Kind ausüben.
Kläger will rechtliche Vaterschaft
Der Kläger versuchte, die rechtliche Vaterschaft des neuen Lebenspartners gerichtlich anzufechten, da er selbst rechtlicher Vater seines Kindes werden möchte. Dabei trug er unter anderem vor, dass er sich von Anfang an intensiv um seinen Sohn gekümmert und bemüht habe.
Er hatte mit seinem Anfechtungsantrag aber keinen Erfolg. Sein Anliegen wurde zuletzt vom Oberlandesgericht Naumburg in Sachsen-Anhalt zurückgewiesen. Das Gericht verwies dabei auf eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch. Nach Paragraf 1600 BGB hat ein leiblicher Vater kein Anfechtungsrecht, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind eine "sozial-familiäre Beziehung", also eine engere Bindung entstanden ist. Ist dies der Fall, ist eine Anfechtung ausgeschlossen. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nicht.
Verstoß gegen das Elterngrundrecht
Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht nun beanstandet und die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch für verfassungswidrig erklärt. Sie verstoße gegen das Elterngrundrecht nach Artikel 6 Grundgesetz, auf das sich auch jeder leibliche Vater berufen könne, so Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Ersten Senats: "Eltern im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz müssen grundsätzlich die Möglichkeit haben, Elternverantwortung für ihre Kinder zu erhalten und auszuüben."
Und diese, so das Verfassungsgericht, gelte grundsätzlich auch für einen leiblichen Vater. In ihrem Urteil verweisen die Richterinnen und Richter auf den Umstand, dass im konkreten Fall die enge Bindung des Klägers zu seinem Sohn rechtlich bisher überhaupt keine Beachtung gefunden hatte, eben weil die derzeitige Rechtslage dies nicht zulasse. Dies sei verfassungsrechtlich betrachtet nicht akzeptabel, so Gerichtspräsident Stephan Harbarth:
Das geltende Familienrecht trägt dem Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung. Denn es schließt leibliche Väter sogar dann durchgängig von der rechtlichen Vaterschaft aus, wenn sie selbst eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind haben und sich beständig um die rechtliche Vaterschaft bemühen.
Gesetzgeber muss bis Mitte 2025 handeln
Mit seinem Urteil verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, bis spätestens zum 30. Juni 2025 eine Neuregelung zu verabschieden. Bis dahin darf die verfassungswidrige Vorschrift noch in Kraft bleiben, um biologischen Vätern weiterhin ein Recht auf die Anfechtung einer rechtlichen Vaterschaft zu ermöglichen. Laufende Verfahren vor den Familiengerichten müssen aber auf Antrag ausgesetzt werden.
Von dieser Möglichkeit wird höchstwahrscheinlich auch der Kläger aus Sachsen-Anhalt Gebrauch machen. Seine Rechtsanwältin erklärte, man müsse dann abwarten, bis der Gesetzgeber eine neue Regelung zur Vaterschaftsanfechtung verabschiedet habe.
Entsprechend zurückhaltend fiel auch die Reaktion des Klägers auf das Urteil aus. Wirkliche Freude war ihm nicht anzumerken. Ob ihm am Ende ein Anfechtungsrecht zugestanden wird, ist nämlich noch völlig offen.
Zwar will Bundesjustizminister Marco Buschmann das Anfechtungsrecht ändern und dabei auch die Rechte von leiblichen Vätern stärken. Dabei sollen die Familiengerichte künftig eine Abwägung treffen. Sie sollen in jedem Einzelfall entscheiden, ob im Sinne des Kindeswohls "das Interesse an der Anfechtung das Interesse an dem Fortbestand der bisherigen Zuordnung überwiegt". Vorrang soll in Zweifelsfällen allerdings weiterhin "das Interesse am Erhalt der gelebten Familie haben".
Buschmann will also daran festhalten, dass nach einer Trennung eine neu entstandene Familie rechtlich stark geschützt bleibt. Dies könnte dann wiederum zu Lasten von vielen leiblichen Vätern gehen, die sich vor Gericht auch die rechtliche Vaterschaft erstreiten wollen.
Künftig drei rechtliche Elternteile möglich
Bei der Neugestaltung des Familien- und Kindschaftsrechts hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum eingeräumt, und dafür sogar seine bisherige Rechtsprechung geändert. Bisher hatte Karlsruhe vorgegeben, dass es zum Wohle des Kindes immer nur zwei rechtliche Elternteile geben darf. Nach dem jetzigen Urteil könnte der Gesetzgeber es erlauben, dass sowohl der leibliche Vater als auch ein neuer Lebenspartner der Mutter die rechtliche Vaterschaft übernehmen und es dann zusammen mit der Mutter drei rechtliche Elternteile geben würde.
Bundesjustizminister Buschmann, der die heutige Entscheidung des Verfassungsgerichts begrüßte, verwies aber darauf, dass eine solche Änderung von der Ampelkoalition nicht geplant sei. Es wird also auch künftig dabei bleiben, dass ein Kind nur zwei rechtliche Elternteile hat.
Aktenzeichen: 1 BvR 2017/21