Ausblick des Verfassungsschutzes Migration wird wieder zum Protestthema
Corona, Energiepreise, Krisenpolitik: Diese Themen mobilisierten im Herbst Tausende Demonstranten. Aktuell gewinnt laut Verfassungsschutz das Thema Migration an Gewicht als Faktor zur Mobilisierung von Protesten - vor allem aus dem rechten Spektrum.
Der Verfassungsschutz rechnet damit, dass zu Beginn des neuen Jahres das Thema Zuwanderung zur Mobilisierung von Protesten im rechten Spektrum wieder stärker an Bedeutung gewinnen wird. Die Proteste gegen hohe Energiepreise und die Krisenpolitik der Bundesregierung sind demnach in den letzten Wochen des Jahres abgeebbt.
Die schlimmen Szenarien von einem "heißen Herbst" oder "Wutwinter", wie sie von vielen skizziert worden seien, habe er so nicht kommen sehen, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der Nachrichtenagentur dpa. Tatsächlich sei "das, was aktuell an Protesten läuft, eher ein laues Lüftchen" - ein solches, das hauptsächlich in Sachsen und Thüringen wehe, fügt Haldenwang hinzu. Doch auch in diesen beiden Bundesländern sind die Teilnehmerzahlen laut Haldenwang rückläufig.
Linke und AfD riefen zu "heißem Herbst" auf
Im September und in der ersten Oktober-Hälfte sah das noch anders aus: Da hatten sich mitunter mehrere Tausend Teilnehmer zu Demonstrationen versammelt, bei denen teilweise auch gegen die Russland-Sanktionen und gegen Waffen-Lieferungen an die Ukraine protestiert wurde.
Sowohl die Linke als auch die AfD hatten als Reaktion auf hohe Energie- und Lebensmittelpreise zu einem "heißen Herbst" aufgerufen. Den größten Widerhall fand dies in Ostdeutschland. An einer von der AfD beworbenen Kundgebung in Berlin im Oktober beteiligten sich laut Polizei rund 10.000 Menschen.
Bürgerliches Milieu zieht sich zurück
Festzustellen sei laut Haldenwang auch, dass sich das bürgerliche Milieu, das bei den Corona-Protesten noch stark vertreten gewesen sei, mehr und mehr zurückziehe.
Haldenwang erklärt: "Aktuell tummelt sich da eine Mischung aus Rechtsextremisten, wie Vertretern der Neuen Rechten, Verschwörungstheoretikern, 'Reichsbürgern' und 'Selbstverwaltern', Delegitimierern, aber auch Teilen des Landesverbandes der AfD in Thüringen, der als erwiesen extremistisch eingestuft ist oder rechtsextremistischen Parteien wie die Freien Sachsen." Das Problem: Eine Abgrenzung der einzelnen Gruppen voneinander sei kaum noch vorhanden, erklärt Haldenwang.
Themen zur Mobilisierung "nach Gusto"
Der Verfassungsschutz hatte 2021 einen neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" definiert. Die verbindende Klammer all dieser Gruppen sei "das Ziel, dieses politische System zu überwinden", sagte Haldenwang.
Die zur Mobilisierung genutzten Themen würden dabei offensichtlich "nach Gusto ausgetauscht"- je nachdem, was gerade funktioniere. Aktuell gewinnt das Thema Migration stärker an Gewicht, sagte der Präsident des Bundesamtes.
Anstieg an Asylanträgen in Deutschland
In den ersten elf Monaten dieses Jahres wurde für rund 190.000 Menschen erstmals in Deutschland ein Asylantrag gestellt, ein Anstieg von rund 43 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Da als Folge des russischen Angriffskrieges seit dem 24. Februar rund eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wurden, gibt es in einigen Kommunen Engpässe bei der Unterbringung.
Stärker in den Fokus gerückt war das Thema Migration zudem durch mehrere Reformvorhaben der Bundesregierung - etwa zum sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht.
Klimaproteste werden nicht beobachtet
Die Klimaproteste bieten auch Sicht des Verfassungsschutz-Präsidenten bislang keinen Anlass für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Zu den Protestaktionen von Fridays for Future sagte Haldenwang:
Ihre Protestaktionen verlaufen friedlich und bewegen sich auf dem Boden der Legalität.
Mit Blick auf die Aktionen der "Letzten Generation" ergänzte er: "Die 'Letzte Generation' ist eine zahlenmäßig kleine Gruppe, die jetzt zu drastischeren Methoden des Protests greift." Die Gruppe begehe inzwischen auch schwere Straftaten, wie Blockaden auf Flughäfen. Diese müssten von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten verfolgt und geahndet werden.
Klimaschutz "legitimes Anliegen"
Klimaschutz sei jedoch ein legitimes Anliegen, betonte Haldenwang. Er sagte: "Nicht nur wir, sondern auch die Landesämter für Verfassungsschutz sehen bei der 'Letzten Generation' aktuell noch keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung."
Der Verfassungsschutz komme erst ins Spiel, wenn es eine Radikalisierung oder eine Beeinflussung der Proteste durch Extremisten gebe. Was die "Letzte Generation" angehe, so sehe er eine gewisse Gefahr darin, "dass es linksextremistische Gruppierungen gibt, die versuchen, diese Bewegung zu unterwandern".