INF-Abkommen vor dem Aus Angst vor einem neuen Wettrüsten
Russland und die USA zeigen wenig Interesse, das INF-Abkommen zu retten. Die Bundesregierung hofft noch auf dessen Erhalt. Im Falle eines Scheiterns droht ein neues Aufrüsten.
Eine Explosion, ein Feuerball - und dann Beifall und Umarmungen. Mit der Sprengung der letzten sowjetischen SS-20 war die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen zwischen Ost und West am 12.5.1991 erfolgreich beendet. Das nukleare Wettrüsten schien schien für immer Geschichte.
Doch wenn US-Präsident Donald Trump in der kommenden Woche den Ausstieg aus dem INF-Vertrag verkünden sollte, würden auch die Geister der Vergangenheit wieder lebendig. Moskau verletze das Abkommen schon seit Jahren, sagt die NATO. Stimmt nicht, antwortet die russische Seite und wirft dem Westen vor, nur einen Vorwand zu suchen, das Abkommen selbst aufzukündigen.
"Europäer sind nur noch zweite oder dritte Priorität"
Außenminister Heiko Maas hat bei Kurzbesuchen in Moskau und Washington vor allem eines gespürt: Beide Seiten haben das Interesse an dem historischen Abkommen längst verloren. Für Jan Techau vom German Marshall Fund ist das kein Wunder. Der Blick richte sich längst nach China, das in den zurückliegenden Jahren mächtig aufgerüstet habe: "Der INF-Vertrag stört da nur. Für die Europäer ist das deswegen so schwierig, weil sie nur noch eine zweite oder dritte Priorität sind."
Polen dringt auf nukleare Nachrüstung
Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter warnt vor einer neuen Erpressbarkeit und sieht vor allem Europa vor einer Zerreißprobe. Denn Polen drängt schon länger auf eine nukleare Nachrüstung - notfalls im Alleingang mit den USA. Eine solche Debatte will Kiesewetter um jeden Preis verhindern: "Europa ist der Fels in der Brandung. Wir müssen alles tun, dass er nicht ins Meer gespült wird."
Ein Ausweg könne ein neuer Doppelbeschluss sein, der eine massive konventionelle Aufrüstung für den Fall androht, dass Russland seine nuklearen Marschflugkörper nicht verschrottet. Die FDP denkt in eine ähnliche Richtung. Es käme jetzt darauf an, Russland klar zu machen, dass es in einem neuen Rüstungswettlauf nur verlieren könne, meint der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff. Schon in den 1980er-Jahren sei es Ronald Reagan gelungen, "Russland quasi kaputt zu rüsten: Ein solches Szenario kann Wladimir Putin nicht wollen. Daran müssen wir ihn immer wieder erinnern."
Eine Debatte, die Deutschland nicht führen will
Ein solches Vorgehen werde aber nur erfolgreich sein, wenn Europa auch ohne den Schutzschild der USA eine glaubwürdige nukleare Abschreckung aufbaue, meint Jan Techau. Davon sei Europa heute meilenweit entfernt. Die Konsequenz: Deutschland komme nicht an der Debatte über eine eigene nukleare Aufrüstung vorbei - auch wenn das den Ausstieg aus dem Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen bedeute. Politischen Rückhalt gibt es für solch einen Tabubruch nicht. Es gehe darum, nicht nur für Deutschland, sondern global einen neue Rüstungsspirale zu verhindern, heißt es unisono.
Doch die Ratlosigkeit ist groß. Außenminister Maas lädt für März zu einer Konferenz nach Berlin und hofft, dass auch die Außenminister aus Russland und den USA dazukommen. "Der Ball liegt im Feld Moskaus", wiederholt er beharrlich. Eine Stationierung neuer Atomwaffen lehnt Maas entschieden ab. Doch es fehlt an Ideen, zumal US-Präsident Trump nicht nur in Rüstungsfragen keinen Zweifel lässt, dass er sich nicht mehr in Verträge einbinden lassen will.
Dabei gehörten im Kalten Krieg atomare Abschreckung und Rüstungskontrolle untrennbar zusammen - ein unkontrolliertes Wettrüsten wäre das Albtraumszenario auch derer, die nach einer militärischen Antwort auf die neuen russischen Atomwaffen suchen.
Die Grünen und ihr striktes Nein
Für die Grünen gehört das kategorische Nein zu Nuklearwaffen dagegen zur DNA. Die Parteivorsitzende Annalena Baerbock stammt aus einer friedenspolitisch engagierten Familie und war schon als kleines Mädchen bei den Protesten der Friedensbewegung dabei.
Fast 40 Jahre später sind die Grünen freilich nicht mehr Protest-, sondern Regierungspartei in Lauerstellung. "Für mich ist das kein Widerspruch, auf der Straße zu demonstrieren und auf der anderen Seite mitzuregieren", meint Baerbock. In beiden Bereichen könne man für Abrüstung eintreten. "Es ist schon eine gewisse Doppelmoral, an andere zu appellieren, Abrüstungsverträge beizubehalten, aber selber die Verträge zum Verbot von Atomwaffen nicht zu unterzeichnen."
Ein letzter Funken Hoffnung
Und auch die noch immer in Deutschland stationierten amerikanischen Atombomben müssten endlich abgezogen werden. Doch das werden wohl kaum die Themen sein, bei denen sich zukünftige Bundesregierungen gegenüber ihren NATO-Partner positionieren müssen. Eine neue Aufrüstungsdiskussion dürfte deshalb vor allem SPD und Grüne vor eine Zerreißprobe stellen. Deshalb klammern sich viele immer noch an den letzten Funken Hoffnung, dass der INF-Vertrag doch noch gerettet werden könnte - oder man mit Gesprächen zumindest etwas Zeit kaufen kann.