Solingen Wie der Anschlag die Landtagswahlen prägt
Der Messeranschlag in Solingen platzt in ohnehin aufgeheizte Wahlkämpfe in Sachsen und Thüringen. Aus CDU und SPD vor Ort kommen Forderungen nach schärferen Maßnahmen. Aber auch die Sorge, dass die AfD nun profitiert, geht um.
Kurz wird es still. Nur noch Gemurmel und das Plätschern eines Brunnens sind auf dem Marktplatz im thüringischen Sömmerda zu hören. Die AfD unterbricht ihr "Sommerfest" am vergangenen Samstag für eine Schweigeminute.
Eine Stunde später tritt AfD-Landeschef Björn Höcke auf die Bühne. Diejenigen, die "immer die Toleranz, die Weltoffenheit und die Vielfalt wie eine Monstranz vor sich her tragen" würden, hätten den "Nährboden" bereitet für Solingen, ruft Höcke. "Das sind geistige Brandstifter."
Im nordrhein-westfälischen Solingen hatte am Vorabend ein Attentäter drei Menschen mit einem Messer getötet und weitere schwer verletzt. Der tatverdächtige Syrer handelte offenbar aus islamistischen Motiven. Zum Zeitpunkt von Höckes Rede wird noch nach ihm gefahndet. Der Islamische Staat wird erst am Abend den Anschlag für sich reklamieren.
Höcke spricht vom vermeintlichen "Staatszerfall" und einem drohenden "Bürgerkrieg". Mit Blick auf die Landtagswahl am kommenden Sonntag sagt er: "Wir ziehen hier den Schlussstrich. Ende der Durchsage."
Wiederholt sich Mannheim?
Der Messeranschlag überschattet die Endphase der Landtagswahlkämpfe in Sachsen und Thüringen. Viele Wahlkämpfer mutmaßen, Solingen könnte einen ähnlichen Effekt haben wie der Anschlag von Mannheim kurz vor der Europawahl. Damals schnitt die AfD fast zwei Prozentpunkte besser ab als in den letzten Umfragen. Dort steht sie in Sachsen und Thüringen bislang noch stabil bei 30 Prozent.
Auch bei Protesten gegen die AfD und einen Rechtsruck werden deshalb am Wochenende Schweigeminuten abgehalten. Hier ist der Ton ein anderer. Jetzt gelte es, "sich der Instrumentalisierung durch die extreme Rechte entgegenzustellen", so ein Redner auf dem Erfurter Anger am Sonntagmittag.
Thüringen will Waffenverbotszonen errichten
Die, die Verantwortung tragen, wollen reagieren. Laut Thüringens Innenminister Georg Maier wird die Landesregierung am Dienstag eine Regelung beschließen, die es kreisfreien Städten und Landkreisen ermöglicht, Waffenverbotszonen einzurichten. Das Vorhaben war kurz nach Mannheim entstanden.
Maier, der auch Spitzenkandidat der SPD zur Landtagswahl ist, sagt im Gespräch mit tagesschau.de: "Es ist jetzt wichtig, die richtigen Schlüsse zu ziehen." Die Landesregierung tue, "was für Thüringen möglich ist".
Die Polizei werde die Waffenverbote durchsetzen und mehr Präsenz auf den traditionellen Thüringer Volksfesten im Herbst zeigen. "Diese Aufgaben nehmen wir an", so Maier. "Und deshalb wäre es wichtig, die Polizei auch in Zukunft weiter aufzustocken."
Der Tatverdächtige von Solingen sollte 2023 nach Bulgarien zurückgeführt werden. Die Abschiebung scheiterte. Hier stünden alle staatlichen Ebenen in der Pflicht, so Maier: Kommunen, Länder, Bund. "Der Rechtsstaat muss funktionieren."
Maier: "Populisten hoffen, dass wir übereinander herfallen"
Maier fordert mehr Migrationsabkommen mit anderen Staaten und die Einstufung der nordafrikanischen Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Und er fordert Maßnahmen zu Prävention.
"Wir müssen Migranten unmissverständlich klar machen, dass man Messer bei uns nicht bei sich trägt", sagt Maier. Vom sogenannten Warnschussarrest müsse häufiger Gebrauch gemacht werden. Die Forderung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, das Waffenrecht zu verschärfen, sei ebenfalls richtig.
Aber auch Maier warnt vor den Folgen der Debatte. Populisten würden jetzt hoffen, dass die Demokraten nun der parteipolitischen Profilierung willen übereinander herfielen, sagt Maier. "Wer aber Wahlkampf mit Vorschlägen macht, die schon rein verfassungsrechtlich nicht gehen, nutzt nur einer Partei, aber nicht der eigenen."
Schuster: "Haben zu lange geschlafen"
Damit richtet sich der SPD-Politiker vor allem gegen die CDU, die nach Solingen weiter auf eine Einschränkung des Rechts auf Asyl drängt. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer erneuert am Sonntag auf X entsprechende Forderungen seinerseits.
"Jetzt ist Schluss mit Beschwichtigungen und Aussitzen: Die Bundesregierung muss endlich handeln", schreibt Kretschmer. "Damit dem Hass Einhalt geboten wird", müsse die Politik entschlossen reagieren. Laut Kretschmer sollen künftig nur noch 50.000 Asylsuchende pro Jahr in Deutschland neu aufgenommen werden dürfen.
Kretschmers Innenminister, CDU-Landtagskandidat Armin Schuster, flankiert das mit drei weiteren Forderungen an den Bund: Grenzkontrollen mit Zurückweisungen, das Aussetzen des Familiennachzugs für Personen mit subsidiärem Schutz - davon wären viele Syrer und Afghanen betroffen - und Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. "Wir haben viel zu lange geschlafen", zitiert sein Ministerium Schuster.
Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt bringt gar das Ende der Bundesregierung ins Spiel. Solingen sei eine Zäsur, teilt Voigt am späten Samstagabend mit. "Die Ampel muss jetzt endlich fundamental etwas ändern oder zurücktreten."
Offenheit für Gespräche
Vor allem versammelt sich die CDU hinter ihrem Parteichef Friedrich Merz und seiner Formel "Es reicht". So betitelt Merz seinen wöchentlichen Newsletter am Sonntagmorgen. Merz bekräftigt den Satz dann am Abend im ARD-Brennpunkt.
Er richtet dort ein Angebot an die gesamte Ampelkoalition nun "gemeinsame Lösungen" zu erarbeiten. Mit den Landtagswahlen in einer Woche habe das "gar nichts zu tun", so Merz.
Frage an den SPD-Spitzenkandidaten Georg Maier in Thüringen: Sollte Olaf Scholz auf das Angebot eingehen? Das müsse der Kanzler selbst entscheiden, sagt Maier. "Aber es hilft immer, miteinander zu reden."
Auch Björn Höcke meldet sich am Sonntagabend nochmal zu Wort. Auf Facebook teilt er ein Bild mit roter und weißer Schrift: "Damit Suhl nicht zu Solingen wird" - dahinter ein Kreuz bei der AfD. In Suhl steht die Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung. Das I in Solingen ist durch ein blutgetränktes Messer ersetzt.
Meinungsforscher zeigen sich derweil skeptisch, dass der Anschlag von Solingen noch große Auswirkungen auf die Landtagswahlen hat. Die Tat sei "sicher Wasser auf die Mühlen der AfD", sagt etwa Stefan Merz von infratest-dimap. Die Partei mobilisiere aber ohnehin schon mit diesem Thema. "Ich glaube eher nicht, dass der Anschlag besonders große Auswirkungen haben wird."
Mit Material von Reuters.