Aiwanger weist Vorwurf zurück "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst"
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger wehrt sich gegen den Vorwurf, als Schüler ein antisemitisches Pamphlet verfasst zu haben. Allein der Verdacht sorgte für Empörung über die Grenzen des Freistaats hinaus. Am Abend hieß es dann: Aiwangers Bruder war der Urheber.
Rund 24 Stunden lang hat Bayerns Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) den in der "Süddeutschen Zeitung" erhobenen Vorwürfen öffentlich nicht persönlich widersprochen, er habe als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst. Nach mehreren Aufklärungs-Aufforderungen äußerte er sich am späten Nachmittag ausführlich zu dem Fall, der sich vor mehr als 35 Jahren an seinem damaligen Gymnasium im niederbayerischen Mallersdorf-Pfaffenberg zugetragen haben soll.
Das Flugblatt existiert, das bestreitet Aiwanger nicht. Es liegt auch dem Bayerischen Rundfunk vor. Doch Aiwanger wies zurück, es geschrieben zu haben. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", erklärte Aiwanger schriftlich. "Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären." Weder damals noch heute sei es seine Art gewesen, "andere Menschen zu verpfeifen", erklärte Aiwanger.
Am Abend berichteten dann die Mediengruppe Bayern und die Nachrichtenagentur dpa übereinstimmend, Aiwangers Bruder sei der Urheber gewesen. "Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes", heißt es laut dpa in einer persönlichen Erklärung des Bruders. "Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig."
"Ein oder wenige Exemplare" in der Schultasche
Fakt ist aber, dass auch Bayerns heutiger Vize-Ministerpräsident damals zumindest involviert war. "Ein oder wenige Exemplare" des Flugblattes seien damals in seiner Schultasche gefunden worden, räumte Aiwanger ein. "Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre." Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. "Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt."
Er könne sich aber nicht erinnern, ob er damals "eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben" habe, fügte Aiwanger hinzu. Er distanziere sich jedoch "vollends von dem Papier".
Flugblatt auf der Schultoilette
Die "SZ" hatte in ihrer Samstagsausgabe unter Berufung auf Augenzeugen, die anonym bleiben wollten, berichtet, Aiwanger sei als Urheber des Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden. Er war damals in der elften Klasse. Demnach traf sich deswegen der Disziplinarausschuss der Schule. Aiwanger habe seine Urheberschaft nicht bestritten und sei "bestraft worden".
Die Schrift tauchte dem Bericht zufolge im Schuljahr 1987/88 in der Schultoilette auf. Verfasst wurde sie offenbar anlässlich des "Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten", an dem das Burkhart-Gymnasium teilnahm. Das Flugblatt wurde aber nicht zu dem Wettbewerb eingereicht, sondern verspottete ihn. Es ruft zur Teilnahme an einem angeblichen Bundeswettbewerb auf: "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Bewerber sollten sich "im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch" melden, hieß es darin. Als erster Preis wurde "Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" ausgelobt. Weiter zu gewinnen sei "Ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab".
SZ: "Sehr wahrscheinlich" auf derselben Schreibmaschine
Am Abend meldete die "SZ" in ihrer Online-Ausgabe dann, es gebe weitere, belastende Indizien: Ein Gutachten eines Sachverständigen im Auftrag der Zeitung komme zu dem Ergebnis, dass Aiwangers Facharbeit am Gymnasium aus dem Jahr 1990 und das besagte Flugblatt aus dem Schuljahr 1987/88 auf Schreibmaschinen gleichen Typs geschrieben wurden - und "sehr wahrscheinlich" auf ein und derselben Schreibmaschine.
Vorwürfe kurz vor der Landtagswahl
Die Vorwürfe treffen Aiwanger mitten im Wahlkampf zur Landtagswahl am 8. Oktober. Und sie sorgten in Bayern und darüber hinaus für empörte Reaktionen. Ministerpräsident Markus Söder, dessen CSU gemeinsam mit Aiwangers Freien Wählern koaliert und bislang erklärt hat, diese Koalition auch fortsetzen zu wollen, sprach von "schlimmen Vorwürfen", die vollständig ausgeräumt werden müssten. Die Opposition drängte auf eine Sondersitzung des Landtags und fordert Aiwangers Entlassung, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Wie sie sich nun angesichts der Erklärung Aiwangers positionieren, bleibt abzuwarten.
Klingbeil: Söder müsse handeln
Auch aus der Bundespolitik wurde noch vor Aiwangers Erklärung der Ruf nach Konsequenzen laut. SPD-Chef Lars Klingbeil forderte Söder zum Handeln auf. "Was sitzen da eigentlich für Leute in der bayerischen Landesregierung?", fragte Klingbeil auf einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Münster. "Solche Leute gehören nicht in Verantwortung in diesem Land." Söder dürfe dazu nicht schweigen.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der "Bild am Sonntag": Sollten die Vorwürfe zutreffen, sei Aiwanger als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern oder für andere Ämter "untragbar." Derartige menschenverachtende Äußerungen über Opfer des Holocaust dürften von niemandem - auch nicht Jugendlichen - geäußert werden. Dies müsse Konsens aller demokratischen Parteien sein.
Prien: Schwere Anschuldigungen
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien schreibt im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter), die Anschuldigungen gegen Aiwanger seien brisant und wögen sechs Wochen vor der Landtagswahl schwer. Für Aiwanger gelte die Unschuldsvermutung. Es komme jetzt entscheidend darauf an, "ob die Anschuldigungen den Tatsachen entsprechen und belegbar sind". Sollte Aiwanger an dem "widerlich antisemitischen" Pamphlet beteiligt gewesen sein, "dann ist er politisch nur noch zu retten, wenn er unverzüglich und überzeugend sein damaliges Verhalten erklärt, heute ehrliche Einsicht und Reue zeigt".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schrieb auf X: "Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen." Auch Parteichefin Saskia Esken forderte Konsequenzen. "Wenn die Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger zutreffen, muss Markus Söder umgehend Konsequenzen ziehen und seinen Stellvertreter entlassen", sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag). Selbst, wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst habe, es aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, ließen die Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem Blatt zugrunde gelegen hätten.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich ebenfalls auf X: "Der Vorwurf, jemand sei Antisemit, wiegt schwer. Man sollte ihn nur erheben, wenn man seiner Sache sicher ist und die Beweise eindeutig sind. Wenn das der Fall ist, ist aber eines klar: Für Antisemiten gibt es keinen Platz in der Politik - weder in Mandaten, noch in Staatsämtern!"
Immer wieder Populismus-Vorwürfe an Aiwanger
Aiwanger ist bekannt für heftige Attacken auf seine politischen Gegner, immer wieder wird ihm Populismus vorgeworfen. Zuletzt hatte er im Juni für Aufsehen gesorgt, als er bei einer Demonstration in Erding gegen die "Heizungsideologie" der Bundesregierung gewettert hatte. Die schweigende Mehrheit müsse sich die "Demokratie zurückholen", hatte er damals gesagt.