Debatte um Maßnahmen Wie die Ampel um ihre Wirtschaftspolitik ringt
Für Kanzler Scholz zeigen die Investitionen großer Chiphersteller, dass Deutschland weiterhin ein guter Wirtschaftsstandort ist. Doch die Sorge vor Deindustrialisierung ist groß. Was unternimmt die Bundesregierung?
Bundeskanzler Olaf Scholz ist gerade aus dem Sommerurlaub zurück. Am Dienstag besuchte er seinen Wahlkreis in und um Potsdam - wohlgemerkt als Bundestagsabgeordneter. Wahlkreispflege. Scholz im dunklen Jacket, mit weißem Hemd, aber ohne Krawatte. Umgeben von Sicherheitsleuten, wie ein Bundeskanzler eben.
Gleich bei zwei Wahlkreis-Terminen geht es um das Thema Wirtschaft. Das Thema, das den Bundeskanzler derzeit am meisten beschäftigen dürfte. Denn ein Wort geht um in Deutschland. Ein Begriff, der vielen Sorge macht: Deindustrialisierung. Aus der Wirtschaft werden die Stimmen immer lauter, dass die industrielle Basis wegbricht.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Sommerreise durch den Wahlkreis auch das Unternehmen AneCom AeroTest im Zentrum für Luft- und Raumfahrt besucht.
Verbandschef warnt vor Verlust von Arbeitsplätzen
Beispielsweise in der wichtigen Chemie-Industrie. Der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VCI, Wolfgang Große Entrup, verweist darauf, dass viele Unternehmen der Branche die Investitionen am Standort Deutschland zurückfahren würden: "Das heißt, wir reden nicht nur über eine Deindustrialisierung, sondern sie findet tagtäglich statt."
Der Verbandschef warnt vor dem Verlust von tausenden gut bezahlten Arbeitsplätzen. "Das ist das, was droht. Das heißt: Wir müssen jetzt handeln." Die chemische Industrie fordert vor allem Staatshilfen, um die hohen Strompreise auszugleichen.
Nicht nur viele Branchen klagen. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds wird Deutschland in diesem Jahr unter den Industrieländern fast das Schlusslicht sein. Angestaute Probleme werden nun immer offensichtlicher: hohe Steuern, fehlende Fachkräfte, marode Infrastruktur, digitaler Rückstand und hohe Energiepreise. Wo also ansetzen? Die Bundesregierung ringt um die richtigen Antworten. Und offenbart erneut die großen Unterschiede innerhalb der Ampelkoalition.
Habecks Industriestrompreis
Wirtschaftsminister Robert Habeck wirbt dafür, dass der Staat in den kommenden Jahren die Strompreise wichtiger Unternehmen subventioniert - mit rund 30 Milliarden Euro bis 2030. Dann, so die Hoffnung des Grünen-Politikers, hat Deutschland ausreichend günstige Erneuerbare Energie, damit die Preise von allein fallen.
Bis dahin will Habeck Großunternehmen der Chemie- oder Metallbranche bei den Stromkosten subventionieren - finanziert über neue Schulden, wie er kürzlich in den tagesthemen einräumte: "Die Frage ist: Keine Gelder aufnehmen oder keine Industrie mehr haben? Und ich werbe dafür, dass wir uns für die Industrie entscheiden."
Kritiker warnen vor Dauersubventionierung. Und viele Wirtschaftswissenschaftler verweisen darauf, dass Milliardenhilfen für ganz bestimmte Unternehmen den Wettbewerb verzerren. Benachteiligt würden dadurch die Unternehmen, die nichts bekommen. Auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft befürchtet, dass ein Industriestrompreis kleinere Unternehmen benachteiligen würde.
Lindners "Wachstumschancengesetz"
Finanzminister Christian Lindner drängt auf weniger statt mehr Staat. Der FDP-Politiker arbeitet an einem Gesetz, das Steuererleichterungen und Bürokratieabbau vorsieht. Wichtigster Punkt ist eine Prämie für Investitionen vor allem in den Klimaschutz.
FDP-Finanzpolitiker Christoph Meyer erhofft sich dadurch neue Impulse für Unternehmen. Denn es gehe darum, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken: "Insgesamt müssen wir darüber reden, dass wir wieder mehr erwirtschaften müssen und weniger verteilt werden muss. Und da gibt Herr Habeck momentan noch nicht die richtigen Antworten."
Lindners Pläne würden die Wirtschaft schrittweise um rund sechs Milliarden Euro jährlich entlasten. Das sei zu wenig, um große Effekte zu erzielen, sagen Kritiker. Sie fordern von Lindner, nicht länger die Schuldenbremse zu verteidigen.
Investitionsagenda der Grünen-Fraktion
In diese Richtung zielen auch die Vorschläge aus der Grünen-Bundestagsfraktion: Demnach soll der Staat 30 Milliarden Euro in die Bauwirtschaft investieren - finanziert über Schulden. Die Grünen fordern, den "Wirtschaftsstabilisierungsfonds" zur Bewältigung der Energiekrise für mehr Investitionen zu nutzen. Der Fonds ist ein sogenanntes Sondervermögen, ein kreditfinanzierter Milliardentopf neben dem regulären Bundeshaushalt.
Allerdings gibt es bereits ein weiteres Sondervermögen für Investitionen vor allem in den Klimaschutz, der zum Teil schuldenfinanziert ist. Der "Klima- und Transformationsfonds" (KTF) soll bis 2026 rund 177 Milliarden Euro bereitstellen - auch um Ansiedlungen in der Mikroelektronik zu subventionieren.
So sollen die neuen Halbleiterwerke von Intel in Magdeburg und von TSMC in Dresden mit Milliardensummen aus dem KTF gefördert werden. Der taiwanesische Halbleiterkonzern TSMC hat gerade erst verkündet, bis 2027 das Werk in Dresden errichten zu wollen. Von den zehn Milliarden Euro Investitionskosten wird der Bund wohl bis zu fünf Milliarden Euro übernehmen.
Bundeskanzler Scholz legt sich noch nicht fest
Der Bundeskanzler ist nach seinem Sommerurlaub so, wie man ihn kennt. Bei seinem Wahlkreisbesuch versucht er vor der Presse, Zuversicht zu verbreiten. "Es geht voran in Deutschland", betont Scholz. Die Herausforderungen seien lösbar.
Aus Sicht des Bundeskanzlers zeigen die Investitionen der Chip-Hersteller, dass Deutschland ein guter Wirtschaftsstandort sei. Scholz verweist auf den Klima- und Transformationsfonds, der Investitionen fördere und an dessen neuen Wirtschaftsplan die Regierung derzeit auf den Weg bringt.
Bei Fragen zu einem möglichen Industriestrompreis legt sich Scholz weiterhin nicht fest. In der Energiekrise des vergangenen Jahres seien die subventionierten Preisbremsen sehr erfolgreich gewesen, so Scholz. Nun gehe es darum, alles dafür zu tun, dass die strukturellen Preise für Strom sinken - durch den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energie und den Aufbau eines Wasserstoffnetzes.
"Es werden alle erforderlichen Entscheidungen getroffen, um strukturell günstige Energiepreise in Deutschland zu gewährleisten", so Scholz. Ob zwischenzeitlich Preishilfen notwendig sind, lässt der Bundeskanzler offen, auch wenn es in der SPD-Fraktion ebenfalls viel Unterstützung für einen befristeten Industriestrompreis gibt.
Keine offene Schlacht um die Wirtschaftspolitik
Aus Koalitionskreisen heißt es, dass derzeit viel über Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes gesprochen wird. Und obwohl insbesondere Grüne und FDP erneut teils grundverschiedene Ansätze haben, laufen die meisten Gespräche hinter verschlossenen Türen.
Ein Debakel wie bei der offenen Schlacht ums Heizungsgesetz will sich die Ampelkoalition diesmal ersparen. Dafür ist das Thema Wirtschaftsstandort wohl allen zu heikel und zu wichtig - Bundeskanzler Scholz vorneweg.