Digitalisierungvorhaben der Ampel Digitalverbände ziehen kritische Zwischenbilanz
Die Bundesregierung hatte sich ein ambitioniertes Programm zur Digitalisierung Deutschlands vorgenommen. Die Zwischenbilanz zweier Branchenverbände fällt jetzt gemischt aus: Vieles wurde angeschoben, wenig bislang umgesetzt.
Nach der Regierungsübernahme der Ampelkoalition sollte sich beim Thema Digitalisierung vieles ändern: Im Koalitionsvertrag im Dezember 2021 und einer gesonderten Digitalisierungsstrategie vor einem Jahr wurden nicht nur eine flächendeckende Breitbandversorgung via 5G-Mobilfunknetz und Glasfaserleitungen in Aussicht gestellt. Versprochen wurden unter anderem auch verbesserte Technik in den Schulen, die elektronische Patientenakte und komplett digitalisierte Verwaltungsvorgänge. Allein im Koalitionsvertrag kommt die Buchstabenfolge "digital" 178-mal vor.
Inzwischen ist fast die Hälfte der Legislatur verstrichen. Dies nahmen die Digitalverbände Bitkom und eco zum Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die fällt in etlichen Bereichen verheerend aus, auch wenn es einzelne positive Ausnahmen gibt. Der Bitkom-Studie zufolge hat die Ampelkoalition nur elf Prozent der insgesamt 334 versprochenen Digitalvorhaben bislang umgesetzt. Jedes vierte Projekt wurde dem "Monitor Digitalpolitik" zufolge noch nicht angepackt. Zwei Drittel der Vorhaben befänden sich in der Umsetzung.
Finanzierung für Digitalisierung der Schulen fehlt
Die größten Defizite machte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst bei der Digitalisierung des Bildungswesens und der Verwaltung aus. So habe die Bundesregierung bislang nicht ihr Versprechen eingelöst, einen "Digitalpakt 2.0" auf den Weg zu bringen, um die Finanzierung von digitaler Technik für Schulen weiterhin gewährleisten zu können.
Im Haushaltsentwurf 2024 sei bislang keine Anschlussfinanzierung für den "Digitalpakt 1.0" vorgesehen. "Inzwischen hinken unsere Schulen Ländern wie Dänemark 20 Jahre hinterher", beklagte Wintergerst.
Ist Deutschland ein "failed state"?
"Bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sind wir weltweit und auch in Europa nur im Mittelfeld", sagte der Bitkom-Präsident der Nachrichtenagentur dpa. "Also: kein Schlusslicht, aber auch weit entfernt davon, gut zu sein."
Bei der Digitalisierung der Verwaltung sei Deutschland überspitzt gesagt ein "failed state" - ein gescheiterter Staat. Dabei gehe "es ja nicht nur darum, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Geburtsurkunden und Reisepässe digital beantragen können", sagte Wintergerst. Es gehe vor allem auch darum, Genehmigungs- und Berichtsverfahren für die Wirtschaft zu digitalisieren und zu vereinfachen. "Die Bürokratie ist aktuell der größte Bremsklotz für das digitale Deutschland."
Fortschritte bei Telekommunikation und im Gesundheitswesen
Im europäischen Kontext gebe es aber einen Bereich, wo Deutschland in den vergangenen Jahren rasant aufgeholt habe: Etwa beim Aufbau der Infrastruktur im Telekommunikationssektor. Große Fortschritte verzeichnete Bitkom auch im Gesundheitswesen. Der Verband lobte die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), bei der nach den Plänen der Bundesregierung das sogenannte Opt-out-Verfahren vorgesehen ist. Das heißt: Die ePA wird für die Versicherten automatisch freigeschaltet, sofern sie nicht widersprechen.
Positiv sieht Bitkom auch die durch die Ampelkoalition angestoßene Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung für digitale Infrastruktur. Bereits im vergangenen Jahr habe der Ausbau der Mobilfunk- und Breitbandnetze große Fortschritte gemacht. "Deutschland steht im europäischen Vergleich inzwischen auf Rang vier, was die Versorgung mit Telekommunikationsleistungen angeht." Im Jahr 2021 habe Deutschland beim Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) noch auf Platz elf gestanden.
"Mangelhafte Koordination in der Bundesregierung"
Eine kritische Bilanz zum ersten Jahrestag der Verkündung der Digitalstrategie durch die Bundesregierung zog auch der Verband der Internetwirtschaft (eco). Geschäftsführer Alexander Rabe bemängelte ebenfalls die schlechten Ergebnisse im Bereich digitale Verwaltung. Effizient und schnell arbeitende Behörden seien die Grundvoraussetzung für den modernen Staat und entscheidend im Umgang mit Krisen, wie die Corona-Pandemie deutlich gemacht habe.
Als eine der Ursachen für den schleppenden Fortschritt machte Rabe eine "mangelhafte Koordination in der Bundesregierung" aus, wenn es um Themen der digitalen Transformation gehe. "Wir haben eine Vielzahl von Projekten in allen Ministerien, für deren Umsetzung bis zum Ende der Legislaturperiode am Ende alle und keiner verantwortlich sind. So kommt man eben langfristig nicht weiter."