Reformen und mehr Geld Wie die Bundeswehr "kriegstüchtig" werden soll
Bundeskanzler Scholz hat der Bundeswehr dauerhaft höhere Verteidigungsausgaben zugesichert. Sie soll verstärkt auf Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet werden. Und "kriegstüchtig" werden.
Mit der Aussage, dass die Bundeswehr wieder "kriegstüchtig" werden müsse, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius zuletzt für Aufsehen gesorgt. In Interviews hat er den Begriff in der vergangenen Woche eingeführt. Jetzt ist klar, warum. Kriegstüchtigkeit soll zur Handlungsmaxime, zum neuen Selbstverständnis der Bundeswehr werden. Gleich sechsmal fällt der Begriff in den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien.
Was sperrig klingt, ist die verbindliche, konzeptionelle Grundlage der deutschen Verteidigungspolitik und wird nur alle zehn bis 15 Jahre neu aufgestellt. Die letzte Ausgabe stammt noch von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière aus dem Jahr 2011.
Der Ton wird zugespitzt
In dem neuen Papier wird die russische Föderation als "dauerhafte größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum" bezeichnet. Entsprechender Schwerpunkt der Bundeswehr: die Landes- und Bündnisverteidigung. Mit Blick auf Russland spricht Generalinspekteur Carsten Breuer davon, dass sich Deutschland und seine NATO-Partner wieder mit der militärischen Bedrohung durch einen ebenbürtigen Gegner auseinandersetzen müssen.
Und auch der Bundeskanzler selbst geht bei der Bundeswehrtagung davon aus, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine "sehr lange" gehen könnte. Er sieht "unsere Friedensordnung" in Gefahr und gibt zu, dass man sich zu lange gedrückt habe. Übersetzt heißt das, es wurde zu wenig in Verteidigung investiert.
Deutschland als "Anlehnungspartner"
In diesem Zusammenhang ist interessant, welche Rolle Verteidigungsminister und oberster Soldat der Truppe im neuen Leitpapier selbstbewusst zusprechen. Sie wollen die Bundeswehr zum "Rückgrat der europäischen Sicherheit" machen, sie soll "dauerhaft und verlässlich zum Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung in Europa" werden. Deutschland soll seiner militärischen Verantwortung als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas gerecht werden.
Andere, traditionelle Bündnispartner wie die USA, Frankreich oder Großbritannien spielen im deutschen Grundlagenpapier keine Rolle. Stattdessen wird der Bundeswehr selbst etwas ungelenk die Rolle eines "Anlehnungspartners" zugesprochen. Das heißt, sie soll zum militärischen Vorbild und zur Hilfsnation für kleinere NATO-Partnernationen werden. Konkret wird das beispielsweise bei der geplanten gemeinsamen Luftverteidigung, dem "European Sky Shield", den Deutschland allerdings ohne die direkten Nachbarn Frankreich und Polen angekündigt hat.
Mehr Zusammenarbeit bei Waffensystemen
Dem Kanzler geht es bei solchen Projekten auch um die gemeinsame Beschaffung von Waffensystemen. Auf der Bundeswehrtagung lädt er andere Nationen ausdrücklich dazu ein. Beispiel gibt es in der Praxis: So wurde das in der Ukraine erfolgreich eingesetzte Flugabwehrsystem IRIS-T SLM im Spätsommer europäischen Partnern bei der Bundeswehr in Todendorf/Panker an der Ostsee präsentiert. Bereits im September unterzeichnen dann Estland und Lettland Beschaffungsverträge. Mit Norwegen baut man gemeinsam U-Boote. Deutschland will mit gleichen, untereinander austauschbaren Waffensystemen die Hürden bei der Zusammenarbeit künftig senken.
Die viel beschworene Zeitenwende, für den Kanzler bedeutet sie auch, die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie zu intensivieren. Er habe keine Hemmungen, sich mit der Industrie zu unterhalten und sie zu fragen, was sie denn könne. Zumal nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ein langfristiges Umsteuern in der Verteidigungspolitik nötig sei, so der Kanzler. Und das setze auch langfristige Beschaffungsaufträge für die Industrie voraus. Die darf sich über volle Auftragsbücher freuen.
Was kommt nach dem 100-Milliarden-Sondervermögen?
Bis zum Jahresende werden voraussichtlich noch bis zu 50 Beschaffungsvorhaben durch den Bundestag gehen. Dann dürften zwei Drittel des Bundeswehr-Sondervermögens vertraglich gebunden sein. Spätestens bis 2027/2028 könnte das kreditfinanzierte Geld aber komplett ausgegeben sein.
Und dann? Diese Frage ist längst nicht beantwortet, denn der eigentliche Verteidigungshaushalt steigt in der mittelfristigen Finanzplanung bislang nicht. Und ist das Sondervermögen ausgegeben, klafft noch immer eine jährliche Lücke von rund 25 Milliarden Euro im Verteidigungsetat.
Druck auf künftige Bundesregierungen
Trotzdem lehnt sich der Bundeskanzler vor den Generälen auf der Bundeswehrtagung ziemlich weit aus dem Fenster. Man werde es definitiv so lösen, dass die Bundeswehr die Mittel bekommt, die sie braucht - auch nach Auslaufen des Sondervermögens, sagt Scholz. Konkret arbeite man an einem "Anpassungspfad", was immer das in Zahlen ausgedrückt heißen mag.
Der Bundeskanzler erklärt zwar nicht, wo das Geld herkommen soll. Er verspricht aber gleichzeitig, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dauerhaft für die Bundeswehr gewährleistet würden - bis in die 2030er-Jahre. Eine politische Legitimation hat er für solch langfristigen Entscheidungen allerdings nicht. Er kann lediglich den Druck auf künftige Bundesregierungen erhöhen, an der Ausstattung der Bundeswehr nicht wieder zu sparen.
Mentalitätswandel in Truppe und Gesellschaft
Um "kriegstüchtig" zu werden, braucht es in der Bundeswehr einen "Mentalitätswandel", heißt es in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien. Denn von dem erklärten Ziel "jederzeit einsatz- und kampfbereit" zu sein, ist die Truppe noch immer entfernt. Sie ist auch zu bürokratisch. Auch, weil aus Angst vor Fehlern Entscheidungen nicht getroffen oder aber endlos delegiert wurden.
Kanzler und Verteidigungsminister wünschen sich deshalb eine andere Fehlerkultur. Es geht ihnen aber auch um einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft. Denn an der Widerstandsfähigkeit Deutschlands gibt es erhebliche Zweifel.
Als Beispiel nennt ein hoher Offizier aus dem Sanitätsbereich NATO-Berechnungen, wonach im Kriegsfall tagtäglich 200 bis 300 schwer verwundete Soldaten von der Ostflanke nach Deutschland verlegt und operiert werden müssten. Die Bundeswehr hätte nicht ausreichend Kapazitäten, und zivile Krankenhäuser seien auch nicht darauf vorbereitet. Im Bundesgesundheitsministerium trifft sein Anliegen bislang auf wenig Gehör. Bei der Umsetzung der viel zitierten "Zeitenwende" geht es also nicht nur um die Bundeswehr, ihr Personal und ihre Ausrüstung.
Auch die Gesellschaft muss widerstandsfähiger werden, beispielsweise bei Cyber-Attacken und Desinformationskampagnen. Der Kanzler sagt, er sei hier "nicht so pessimistisch". Die allermeisten hätten verstanden, was die "Zeitenwende" bedeutet. Die Zukunft wird es zeigen.