Zehn-Punkte-Plan der Union Auftanken für den Wahl-Herbst
100 Tage vor der Wahl in Hessen und Bayern schärfen CDU und CSU in einem Strategiepapier ihr konservatives Profil - und wollen mehr bieten als Ampel-Bashing. Die K-Frage verfolgte CDU-Chef Merz bis nach München.
Nach der Wurst ist vor der Wurst: Am Donnerstagabend haben Markus Söder und Friedrich Merz noch Fotos vom einträchtigen Bratwurst-Grillen verbreitet, am Freitagmorgen lächelten sie beim Weißwurst-Frühstück in die Kamera.
Schon vor der gemeinsamen Präsidiumssitzung von CSU und CDU in München wollten die beiden Parteivorsitzenden Harmonie demonstrieren - und als Zeichen dieser Geschlossenheit präsentieren Söder und Merz am Mittag auch ein frisch beschlossenes gemeinsames Zehn-Punkte-Programm. Auf Nachfrage bestreiten sie zwar nicht, dass es im Grunde keine Neuigkeiten enthält - sie wollen aber die bloße Existenz des Papiers als Erfolg und Signal verstanden wissen.
Abkehr von der Merkel-Zeit
Söder betont bei der Pressekonferenz in der CSU-Zentrale, dass 2017 eine solche Erklärung mit klaren Forderungen zu Innerer Sicherheit und Migration "nicht ganz so möglich gewesen" wäre. "Das ist schon ein Statement in der Deutlichkeit." Merz hebt hervor, dass im Kampf gegen illegale Migration ein Schutz der nationalen Grenzen verlangt werde: "Das hätten Sie vor sechs Jahren in einem gemeinsamen Beschlusspapier von CDU und CSU so noch nicht gefunden."
2017 hieß die CDU-Chefin noch Angela Merkel, und die Schwesterparteien stritten damals erbittert über die Flüchtlingspolitik. Mit dem neuen fünfseitigen Papier zementiert die Union jetzt einmal mehr die Abkehr von der Merkel-CDU der Jahre bis 2018 und auch von Söders "grünem" CSU-Kurs des Jahres 2019. Die neue "Agenda für Deutschland" rückt insbesondere Themen einer konservativen Politik in den Fokus: Migration und Staatsbürgerschaft, Innere Sicherheit und Kampf gegen Kriminalität, Forderung nach Entlastung der bürgerlichen Mitte und der Wirtschaft.
Auch in diesem Papier sparen CDU und CSU nicht mit Kritik an der Bundesregierung. Sie werfen den Ampel-Parteien vor, die Sorgen der Menschen mit "immer neuen Auflagen und Belastungen, mit Verboten und Bevormundung" zu verstärken. Die Ampel streite, statt für Stabilität zu sorgen.
Union will auch konstruktiv sein
Doch die fünf Seiten wollen mehr: Es ist der Versuch, die Kritik zu entkräften, die Union betreibe fast ausschließlich Ampel-Bashing. Eine Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kommt - zuletzt vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther in einem Zeitungsinterview.
"Natürlich, wir müssen kritisieren", sagt Merz. Aber: "Wir erschöpfen uns nicht in Kritik." Vielmehr bringe die Union auch sehr konstruktive Vorschläge ein. Und Söder betont, das gesamte Programm sei quasi eine Antwort auf die Verunsicherung der Menschen. Der Zehn-Punkte-Plan verspricht "klare Lösungsvorschläge" für eine "bürgernahe Realpolitik". "Fachkräftezuwanderung statt unkontrollierter Migration" lautet einer der Punkte, "Klimaschutz statt Klimakleber" ein anderer, "Null-Toleranz gegenüber Kriminellen" ein dritter.
Eine Mini-Bundestagswahl im Herbst
100 Tage vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern soll das auch den wahlkämpfenden Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) und Markus Söder (CSU) Rückenwind verschaffen. So findet sich im Papier zum Beispiel Rheins Forderung nach elektronischen Fußfesseln für Männer, die Frauen geschlagen haben. Das "Nein zur Erbschaftssteuer aufs Elternhaus" wiederum kann als Bemühen interpretiert werden, im bayerischen Landtagswahlkampf das Thema nicht allein den Freien Wählern zu überlassen.
Die Abstimmungen in Hessen und Bayern stilisieren Merz, Söder und Rhein dabei zu einer Art Mini-Bundestagswahl - schließlich leben in beiden Ländern zusammen fast ein Viertel der Deutschen. Der 8. Oktober sei für Hessen und Bayern "zentral wichtig", aber auch für Deutschland ein "Riesen-Signal", sagt Söder. "Es ist de facto die Halbzeit der Ampel."
Nach Ansicht von Merz werden die Wahlen Aufschluss darüber geben, "mit welchem Rückenwind aus der Bevölkerung" die Union in die zweite Hälfte der Legislaturperiode im Bund startet. Er selbst werde sich in beiden Wahlkämpfen stark engagieren. Und Rhein nennt die Abstimmungen in Anlehnung an Zwischenwahlen in den USA "echte Midterms" - mit Bedeutung für Deutschland insgesamt: "Weil Bürgerinnen und Bürger natürlich sehr deutlich sagen können, dass sie die Nase voll haben von dem, was da in Berlin passiert."
Söder spricht von "Timing und Tuning"
So sehr die Spitzen von CDU und CSU die Bedeutung der beiden Landtagswahlen hervorheben, so wenig möchten sie an diesem Mittag schon über die Bundestagwahl 2025 sprechen - genauer: über die Kanzlerkandidatur der Union. Söder betont, es sei sinnvoll, Fragen zur Bundestagswahl 2025 nicht schon 2023 zu diskutieren. "Timing und Tuning sind immer sehr wichtig", sagt er.
Und Merz bekräftigt: "Wir entscheiden das gemeinsamen im Spätsommer 2024 - das ist das Verfahren." Das jüngste Lob aus dem hohen Norden von Regierungschef Günther für den möglichen Merz-Rivalen Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen spielt der CDU-Chef herunter: Er freue sich über "jeden Ministerpräsidenten aus den Reihen der Union, der einen anderen Ministerpräsidenten lobt", betont er. Er freue sich über diese Harmonie in der Union. Die Debatte über die K-Frage dürfte Merz wohl so schnell nicht loswerden.