Aserbaidschan Kann Deutschland ein ehrlicher Makler sein?
Aserbaidschan richtet im Herbst die UN-Klimakonferenz aus und ist wichtiger Energielieferant für Europa. Präsident Alijew nutzt das für seine Machtpolitik, während sich Deutschland als ehrlicher Makler versucht.
"Aserbaidschan ist ein wichtiger Partner" - Bundeskanzler Olaf Scholz fand Ende April einmal mehr lobende Worte für seinen Gast aus der Südkaukasusrepublik. Präsident Ilham Alijew sei ja bereits zum vierten Mal innerhalb von 14 Monaten zu Besuch in Deutschland. Soeben hätten sie ein "gutes Gespräch" geführt "in schwierigen Zeiten, in der die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern noch wichtiger sein wird. Und wir sind uns einig, dass wir diese Beziehung weiterentwickeln wollen."
Da Aserbaidschan im November die UN-Klimakonferenz COP29 ausrichtet und der Gastgeber Inhalte und Ergebnisse koordiniert, kommt Alijew in diesem Jahr international eine herausragende Stellung zu.
Darüber hinaus profitiert Aserbaidschan von den Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Scholz nannte den Beitrag zur Stabilisierung der Energieversorgung Europas. Aserbaidschan trägt zwar kaum drei Prozent zur Gasversorgung des Kontinents bei. In Süd- und Mittelosteuropa ersetzt aserbaidschanisches Gas aber in bedeutendem Maße Lieferungen aus Russland.
Mit Blick auf begrenzte Kapazitäten und hohe Kosten beim Ausbau der Gasversorgung wirbt Alijew zudem für Investitionen in die Energiegewinnung aus Sonne und Wind. "Die aserbaidschanische Agenda für 'Grüne Energie' ist der ganzen Welt bekannt", sagte der Präsident etwa in Berlin. Scholz pflichtete bei, dass er da "großes Potenzial" sehe und "deutsche Firmen sehr interessiert und sehr aktiv in diesen Fragen" seien.
Schnittstelle zwischen Ost und West, Nord und Süd
Einen weiteren geografischen Vorteil weiß Alijew auf seiner Seite: Aserbaidschan ist Transitland zwischen Russland und dem Iran, die angesichts der westlichen Sanktionen enger aneinander gerückt sind. Zwischen Europa und Asien ist Aserbaidschan zudem ein wichtiger Teil des "Mittleren Korridors", der als Transportweg immer wichtiger wird, je mehr andere Handelsrouten zwischen Ost und West eingeschränkt oder verschlossen sind.
Außerdem sucht Alijew über die Region hinaus Partner, um seine Außenpolitik durchzusetzen. Dazu zählt die Bewegung der "Blockfreien Staaten". Diese eigentlich zu Zeiten des Kalten Krieges bedeutsame Organisation mit vielen Staaten aus Asien und Afrika erlebt eine Auferstehung im Kontext des "Globalen Südens". Aserbaidschan leitete deren Sekretariat von 2019 bis Anfang des Jahres.
Aggressive Außenpolitik
Aserbaidschan positionierte sich dabei als Kämpfer gegen Kolonialismus und Islamfeindlicheit, die es westlichen Staaten und besonders Frankreich vorwirft - mit der offenen Unterstützung von Unruhen in französischen Überseegebieten. Auffällig ist dabei die zeitliche Parallele zu Spannungen im Konflikt Aserbaidschans mit seinem Nachbarn Armenien.
Frankreich steht traditionell aufseiten der christlichen Armenier, im Herbst kündigte die Regierung in Paris zudem militärische Unterstützung an. Obwohl diese bislang marginal ausfällt und Aserbaidschans Streitkräfte hochgerüstet sind, wirft dessen Regierung Frankreich vor, die Region destabilisieren und einen neuen Krieg heraufbeschwören zu wollen.
Bundesregierung als neutrale Vermittlerin
Dabei war es Aserbaidschan, das zuvor im Herbst 2023 ein weiteres Mal militärisch eine Lösung im Konflikt mit den Armeniern herbeiführte: Nachdem die aserbaidschanischen Streitkräfte Ende September eine "Antiterroroperation gegen die separatistischen Kräfte in Bergkarabach" begonnen hatten, flohen die dort noch lebenden Armenier in Todesangst über die Grenze nach Armenien. Alijew brach damit ein Versprechen, das er Experten zufolge hochrangigen Vertretern der USA und der EU gegeben hatte - und er kam ohne Sanktionen davon.
Vereinbarte Treffen mit Armenien unter Vermittlung der USA und der EU sagte Aserbaidschan mehrfach ab. Die Bundesregierung sprang ein und bot sich als betont neutrale Vermittlerin an, die beiden Staaten bei den Bemühungen um Frieden zur Seite stehe. Weder Scholz noch Außenministerin Annalena Baerbock sprachen bei Treffen mit den Amtskollegen von Druckmitteln wie Sanktionen gegen Verantwortliche in Baku.
Dennoch ging Alijew bei seinem Besuch im Kanzleramt nicht auf Scholz' Angebot weiterer Vermittlung ein. Er kündigte stattdessen das nächste Treffen seines Außenministers mit dem armenischen Counterpart in Kasachstan an. Das entspricht seiner Ankündigung, dass gebietsfremde Mächte keinen Einfluss mehr in der Region ausüben sollen.
Unverhohlene Drohungen
Mehrfach brachte Alijew zum Ausdruck, dass er den Abzug der in Armenien stationierten EU-Beobachtermission wünscht. Die unbewaffneten Mitarbeiter, viele von ihnen Deutsche, beobachten den Waffenstillstand an der Grenze zu Aserbaidschan. Geleitet wird die Mission vom deutschen Polizisten Markus Ritter.
Ende April drohte Alijew bei einer Konferenz zur Vorbereitung der UN-Klimakonferenz in Baku recht unverhohlen damit, sie zu verjagen: "Sie müssen uns dankbar sein, dass wir nicht reagieren. Ich bin sicher, dass sie weglaufen werden, wenn etwas Ernstes passiert." Eine offizielle Reaktion von europäischer Seite dazu blieb aus.
Mit martialischen Drohungen tritt Alijew auch gegenüber Armenien auf. Jedes Zugeständnis bei den Verhandlungen um den gemeinsamen Grenzverlauf stellen die regierungsnahen Medien als Beweis seiner Stärke dar. Anfang Februar hatte er sich bei einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl ein Mandat für weitere sieben Jahre an der Spitze der Macht geholt, mit der Rückeroberung der einst von Armeniern kontrollierten Gebiete als Legitimation.
Verhaftungswelle gegen Kritiker
Was jedoch nicht eintrat: Eine Abkehr Alijews von der autoritären und teils diktatorischen Regierungsführung. Im Gegenteil. Im Zuge einer im Herbst begonnenen Verhaftungswelle wurden zahlreiche Regierungskritiker in Untersuchungshaft genommen, darunter etwa 20 unabhängige Journalisten. Einer von ihnen arbeitete zeitweise mit dem ZDF zusammen. Darauf bei der Pressekonferenz im Kanzleramt angesprochen, behauptete Alijew, es gebe keine Zensur in Aserbaidschan, sondern freies Internet und hunderte Medienorgane. Die Behörden gingen nur rechtmäßig gegen illegal aus dem Ausland finanzierten Medien vor.
Scholz seinerseits antwortete lediglich, man habe die Menschenrechtslage in Aserbaidschan "sorgfältig besprochen". Er habe die Bedeutung von Medien, NGOs und der Zivilgesellschaft hervorgehoben. "Es ist kein Geheimnis, dass wir Verbesserungsbedarf sehen."
Dabei zählt zu den in Untersuchungshaft Sitzenden auch ein junger Journalist und Aktivist, der mit viel Engagement Modenschauen für Menschen mit Behinderung organisiert hatte. Eine Show hatte in der Residenz des deutschen Botschafters in Baku stattgefunden.
Heftige Reaktionen
Den inhaftierten Medienschaffenden ist eines gemeinsam: Sie sollen in Recherchen zu Korruption involviert gewesen sein - und zwar Korruption hochrangiger Mitglieder der Führung um Alijew beim Aufbau der von den Armeniern zurückeroberten Gebiete und bei Aufträgen für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Alijew wies auch eine Frage dazu zurück. Bei den Ausschreibungen gehe es transparent zu.
Wer dies oder auch die offenbar zielgerichtete Zerstörung armenischer Wahrzeichen in Bergkarabach in sozialen Medien thematisiert, muss mit heftigen Reaktionen rechnen - auch mit Vorwürfen, man sei muslimfeindlich.
Dieses Thema kam bei der Pressekonferenz im Kanzleramt ebenfalls zur Sprache. Ein mitgereister aserbaidschanischer Journalist fragte Scholz nach einem Bericht des Bundesinnenministeriums zu Muslimfeindlichkeit in Deutschland. Scholz stritt die Problematik gar nicht ab und verwies darauf, dass es ja die Bundesregierung gewesen sei, die diesen Bericht veröffentlicht habe.
Unruhepotenzial ausnutzen
Auch Außenministerin Annalena Baerbock war bei einer Pressekonferenz mit ihrem Amtskollegen in Baku hart angegangen worden. Ein Thema war das Verbot pro-palästinensischer Demonstrationen in Deutschland. Sie antwortete mit einer ausführlichen Darstellung von Völkerrecht und Demokratie.
Wie im Falle Frankreichs sollte offensichtlich die undemokratische Regierungsführung im eigenen Land relativiert und auf Unruhepotenzial in Deutschland hingewiesen werden, das durchaus ausgenutzt werden könnte.
Alijew und sein Führungszirkel treten dabei so selbstbewusst auf wie andere autoritäre regierende Staatschefs. Empfindlich können sie auf Sanktionsandrohungen reagieren: Als kürzlich eine entsprechende Ansage aus Washington kam, wurde zumindest ein schwer erkrankter, international bekannter Wirtschaftsfachmann aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen.