Deutsch-israelisches Verhältnis Keine einfache Freundschaft
Der Bundestag würdigt heute den 75. Jahrestag der Gründung des Staates Israel. Die Freundschaft gilt als deutsche Staatsräson. Aber nicht erst seit Netanyahus Plänen für eine Justizreform ist das Verhältnis kein einfaches.
2008: Stehender Applaus, als die Kanzlerin Angela Merkel dem Land Israel zu 60 Jahren Staatsgründung gratulierte. Zuvor hatten sich die Abgeordneten in der Knesset für den ägyptischen Präsidenten Anwar als Sadat erhoben - im Jahr 1979.
Zunächst wenig beachtet war 2008 ein Kanzlerinnenwort, das gut zusammenfasste, was auch davor eher leise schon galt: "Die Sicherheit Israels ist niemals verhandelbar. Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes", so Merkel. Armin Laschet, der Mann, der mal Kanzler werden wollte, hatte die Staatsräson einst bei seinem Israelbesuch um eine Binnenperspektive erweitert: "Die Sicherheit der Juden in Deutschland ist auch Teil der deutschen Staatsräson", wiederholt Laschet auch jetzt, Jahre später im ARD-Gespräch.
Ernst gemeint oder Floskel?
Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtiges Ausschusses warnt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio heute vor dem Floskelhaften des Begriffs. "Klar, wir tragen das wie einen Popanz vor uns her", sagt Roth. Das Existenzrecht Israels sei für uns Staatsräson. Dann aber folge oft ein aber.
"Mich stört das Aber", so der SPD-Politiker. Viele Deutsche würden das Aber mit Hinweisen auf besetzte Gebiete füllen, mit dem Vorgehen israelischer Soldaten, mit dem Verweis auf die derzeit amtierende radikal-religiöse Regierung in Jerusalem. Dass 75 Jahre Israel auch der Kampf der einzig wirklichen Demokratie in der Region ums eigene Überleben sei, es werde oft vergessen.
Normalität im Umgang mit Israel?
März 2023: Staatsbesuch von Israels Premier Benjamin Netanyahu. Gleis 17 in Berlin-Grunewald. Tausende Juden fuhren von hier einst in den Tod. Olaf Scholz hört das Kaddish, das Totengebet für die Millionen Opfer. An seiner Seite steht Netanyahu. Man könne hier nicht stehen "ohne die Erinnerung an die furchtbare Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland", sagt der Kanzler. Deutschland, das Land der Täter, in dem viele heute doch auch nach Normalität im Umgang mit Israel rufen. Normalität?
Michael Roth sagt, viele hierzulande seien müde und wollten eine Normalität. "Ich halte das für brandgefährlich", warnt der SPD-Politiker. Israel sei auf einem Riesenberg ermordeter Juden aufgebaut worden. Wenn Deutschland ein perfektes Land wäre, ohne Antisemitismus, ohne Hetze gegen Israel, ohne tägliche Bedrohung des Existenzrechtes, dann, sagt Roth, käme ihm möglicherweise so etwas wie Normalität in den Sinn.
Yad Vashem, die Holocaust-Gedenkstätte. Jeder deutsche Staatsgast dort wird sehr still. Sehr demütig im Angesicht des Grauens. Auch Scholz bei seinem ersten Besuch als Kanzler. "Mein Rundgang hat mich tief berührt und noch mal die historische Verantwortung für den Staat Israel vor Augen geführt", sagte Scholz.
Benjamin Netanyahu und Olaf Scholz am Mahnmal für die deportierten Juden am Bahnhof Grunewald in Berlin.
Annäherung begann schon 1952
Seit 1965 gibt es diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Staaten. 1960 trafen sich der damalige israelische Präsident Ben Gurion und der deutsche Kanzler Konrad Adenauer zum ersten Mal. Es war die Fortschreibung einer Annäherung, die 1952 mit dem sogenannten Luxemburger Abkommen begann. Dem ersten bilateralen Vertrag überhaupt der jungen Bundesrepublik, in dem sich Deutschland für das Leid der Juden verpflichtete, umgerechnet 1,53 Milliarden Euro Wiedergutmachung zu zahlen.
Der Historiker Dan Diner wird später sagen, dass sich die Bundesrepublik moralisch erst an diesem 10. September 1952 konstituiert habe. Innenpolitisch übrigens hatte der CDU-Kanzler Adenauer das davor nur mit den Stimmen der oppositionellen SPD durchsetzen können.
Ben Gurion sprach damals nicht vom neuen Deutschland, sondern vom anderen und wünschte Adenauer später viel Glück dabei, dieses Deutschland wieder auf den Weg der Demokratie zu führen.
David Ben Gurion bei der Proklamation des Staates Israel.
Johannes Rau traf den richtigen Ton
Auch 75 Jahre nach der Staatengründung sind es die Gesten und Reden, die bis heute bewegen. Israels Präsident Schimon Peres, der 2010 vor dem Bundestag durchdeklinierte, was er unter "Nie wieder" versteht. "Nie wieder eine Rassenlehre. Nie wieder ein Gefühl von Überlegenheit. Nie wieder eine scheinbar gottgegebene Berechtigung zur Hetze, zur Erhebung über das Recht", sagte Peres unter dem Beifall des Bundestages. Da war 1984 Helmut Kohls verrutschte Rede vor der Knesset. Sein missverstandenes Wort von der "Gnade der späten Geburt".
Es war Johannes Rau, der als Bundespräsident im Jahr 2000 - noch in der Sprache der Täter auf deutsch - den richtigen Ton traf. Nach vielen schlaflosen Nächten, erzählte Rau damals danach. "Die Rede vor der Knesset war so, dass ich nächtelang davor nicht schlief in der Sorge, den richtigen Ton zu treffen." Rau traf ihn und Israel rückte wieder ein Stückchen näher an Deutschland heran. "Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte", sagte der Bundespräsident damals.
Bundespräsident Rau bat im Jahr 2000 in der Knesset um Vergebung.
"Ein großes Wunder"
75 Jahre Staat Israel. Ein Staat, der eine liberale Demokratie sei und auch bleibe, sagte Premier Netanyahu in Berlin. Der Kanzler formulierte mit Blick auf die Justizreform seine Sorge und kritisierte als Freund den Freund Israel. "Zu Recht", sagt Michael Roth, der es eine Polemik nennt, dass man Israel eigentlich nie kritisieren dürfe. "Ich tue das selbstverständlich", sagt der Außenpolitiker und Israelfreund Roth.
Netanyahu denkt 75 Jahre nach der Staatengründung an die Liberalität seines Landes. Michael Roth, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses fällt beim Wort Israel heute das ein: "Ein großes Wunder". Israel sei undenkbar ohne den Holocaust. "Wenn ich an Israel denke, sehe ich die einzige stabile, lebendige Demokratie in einer von Kriegen und Konflikten zerrütteten Region." Und er denke, sagt Roth leise, an viel Freiheit, viel Buntheit, auch Streit und eine unendliche Bereicherung."