FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner.
Analyse

Ein Jahr Dreier-Bündnis Wie der FDP die Ampel bekommt

Stand: 27.12.2022 20:36 Uhr

Die FDP fällt im Ampelbündnis immer wieder auf. Dennoch war es für die kleinste Mitregierungspartei ein schwieriges Jahr. Sie leidet auch gern mal öffentlich - und macht damit womöglich den gleichen Fehler wie einst die SPD.

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Die Haben-Seite

In der jüngsten Ausgabe des Mitgliedermagazins der Liberalen "fdplus" liest es sich wie eine Erfolgsbilanz nach einem Jahr Regierungsverantwortung. Die Schuldenbremse werde dank Finanzminister Christian Lindner mit dem kommenden Bundeshaushalt wieder eingehalten - trotz der milliardenschweren Entlastungspakete. In der Steuerpolitik gebe der Staat Inflationsgewinne an 48 Millionen Steuerzahlende zurück, die Einführung der Aktienrente werde vorangetrieben. Dazu die spürbare BAföG-Erhöhung unter Federführung von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Verkehrsminister Volker Wissing arbeite an der baldigen Einführung des Deutschlandtickets und Marco Buschmann habe schon jetzt diverse Bürgerrechtsreformen vorzuweisen, wie die Streichung des Paragrafen 219a, der bislang Informationen über Schwangerschaftsabbrüche erschwerte.

Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier sieht einige Akzente der FDP in der Koalition. "So hat sich in der Pandemie-Bekämpfung relativ früh die Sichtweise der FDP durchgesetzt, auf Restriktionen weitgehend zu verzichten." Jun verweist zudem darauf, dass neben Parteichef Lindner auch andere FDP-Politiker nun stärker wahrgenommen würden - neben den Ministern auch einige Fachpolitiker wie die Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder der Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Keine One-Man-Show mehr, auch wenn Lindner der führende Kopf der FDP bleibt - zumal er der einzige Parteichef im Bundeskabinett ist.

Die Soll-Seite

Insbesondere in der Finanzpolitik ist die Zwischenbilanz durchwachsen. Zwar hat Lindner mit der aktivierten Schuldenbremse nun ein Instrument in der Hand, um zusätzliche Ausgabenwünsche abzuwehren. Aber die Rekord-Schuldenaufnahme für die diversen Sondervermögen sorgt dafür, dass die Krisenlasten infolge des russischen Krieges in der Ukraine auf zukünftige Generationen verschoben werden. 2022 hat die Koalition mit Finanzminister Lindner noch mal kräftig Kredite aufgenommen, ab den 2030er-Jahren muss dann getilgt werden. Eine Aufgabe für zukünftige Regierungen.

Und im Gestaltungsressort Digitales und Verkehr hat FDP-Minister Wissing abgesehen vom Deutschlandticket bislang kaum vermitteln können, was mit den Liberalen besser wird. Zwar lassen sich jahrzehntelange Versäumnisse in der Digitalisierung oder bei der Bahn nicht mal eben aufholen. Wissing und die FDP setzen nun voll auf Planungsbeschleunigung. Aber: Wissing hat das Problem, dass es gerade in der Verkehrspolitik mit den Grünen diametrale Unterschiede gibt, was immer wieder zu Grundsatzstreit führt. Etwa darüber, welche Rolle dem Auto zukünftig zukommen soll, wie viel Geld in Straßen fließen darf. Schlechte Voraussetzungen für schnelle Entscheidungen.

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Das veränderte Umfeld

Liberale Spitzenpolitiker betonen in diesen Tagen immer wieder, dass der Krieg in der Ukraine auch für die Arbeit der Ampel alles verändert hat. Der Koalitionsvertrag vom Dezember 2021 war noch überraschend stark gelb eingefärbt. Aber aus der selbst ernannten Fortschrittskoalition ist eine Krisenbewältigungskoalition geworden.

Und die FDP ist in der sogenannten Zeitenwende damit konfrontiert, dass der globale Trend sich wegentwickelt von liberalen Grundsätzen - weg von offenen Märkten, einem zurückhaltenden Staat und solider Finanzpolitik. Viele in Politik und Wirtschaft setzen nun auf Staatsinterventionismus, womit die SPD und die Grünen keine großen Probleme haben. Mit Abermilliarden Euro an Schulden wurden die Folgen der Pandemie bewältigt, jetzt sollen weitere Milliardenkredite den sozialen Frieden in der Energiekrise bewahren. Etwa mit den Energiepreisbremsen, die einen bislang kaum gekannten Eingriff in Marktmechanismen darstellen. Oder mit der Abschöpfung von Zusatzgewinnen in der Energiebranche. Dass ein FDP-Finanzminister de facto eine Übergewinnsteuer einführt, dürfte vielen Wirtschaftsliberalen Bauchschmerzen bereiten.

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Jun fällt es der FDP schwer, diesen Kurs für sich zu adaptieren. "In der Kernklientel der Partei herrscht vielfach der Eindruck vor, dass die FDP der Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün ist."

Die Rolle in der Koalition

Bei allen vier Landtagswahlen in diesem Jahr hat die FDP enttäuschende, mitunter desaströse Ergebnisse eingefahren. Dazu kommen die schlechten Umfragewerte im Bund zwischen sechs und sieben Prozent. Die Partei sieht sich im strategischen Dilemma: Im Bündnis mit ideologisch eher fremden Partnern will sie zwar ihr Profil herausstellen, aber als Opposition in der Regierung aufzutreten, kommt bei vielen Wählern nicht gut an. Die FDP sei ein Korrektiv, hieß es zu Beginn des Ampelbündnisses oft.

Im Sommer betonte Parteichef Lindner, dass die FDP Deutschland davor bewahre, zu weit nach links zu driften. Und die FDP stellte sich immer wieder insbesondere gegen die Grünen. Am deutlichsten im Streit über längere Laufzeiten für die drei deutschen Atomkraftwerke, den erst Bundeskanzler Olaf Scholz mit einem Machtwort und einer Kompromisslösung beendete.

Inzwischen sagen führende FDPler hinter vorgehaltener Hand, dass die Partei nicht den Fehler der SPD in der Großen Koalition wiederholen dürfe: Den Sozialdemokraten sei es nicht bekommen, ihr Leid als kleinerer Regierungspartner immer wieder zu betonen.

Auffallend häufig ist jetzt zu hören, dass die FDP als Gestalter und Modernisierer wahrgenommen werden möchte. Statt Abwehrschlachten zu führen, soll sich der optimistische Blick nach vorne richten. Sei es beim Mega-Reformthema Renten, bei der Fachkräftezuwanderung oder auch in der Verkehrspolitik. "Wir sorgen dafür, dass es in diesem Land vorangeht" - diese Rolle versucht Lindner der FDP nun zuzuschreiben. Auch Politologe Jun hält es für wichtig, dass die FDP ihren Gestaltungsanspruch betont, stärker zeigt, wo sie die Initiative ergreift. "Das ist ihr bisher in der Ampelkoalition noch nicht richtig geglückt. Deshalb steht die FDP in Meinungsumfragen im Augenblick schlecht da."

Die Perspektiven

Die bevorstehenden Landtagswahlen könnten für die FDP wieder zu Zitterpartien werden: im Februar in Berlin, im Mai in Bremen und im Herbst in Bayern und Hessen. Die Kampagnen sollen stark landespolitisch geprägt werden. So dürfte zum Auftakt in Berlin die Landes-FDP besonders die Verkehrspolitik des rot-grün-roten Senats angehen. Viel bundespolitischen Rückenwind haben die Wahlkämpfer wohl erst mal nicht zu erwarten. Sie müssen eher hoffen, dass die schlechten Beliebtheitswerte für die FDP und die Ampel-Parteien insgesamt nicht negativ durchschlagen - und damit für die liberalen Landesverbände in der außerparlamentarischen Opposition enden.