Grundgesetz auf Tisch

Umstrittene Formulierung Warum steht "Rasse" noch im Grundgesetz?

Stand: 23.07.2023 15:25 Uhr

Das Saarland hat den Begriff "Rasse" aus der Verfassung getilgt - er sei wissenschaftlich überholt. Auch aus dem Grundgesetz sollte er längst verschwunden sein. Doch so einfach ist das nicht.

Von Martina Kind, SR

Es ist schon viel diskutiert worden über die Verwendung des Begriffs "Rasse" im Grundgesetz und den Verfassungstexten der Länder. Im Saarland haben diese Debatten Mitte Juli ein Ende gefunden. Mit den Stimmen der SPD und CDU ist die Streichung des Rassebegriffs aus der saarländischen Verfassung auf den Weg gebracht worden. Er soll der Formulierung "Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen" weichen.

Dadurch werde Rassismus nicht verschwinden, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Kira Braun. Allerdings werde er durch die Verwendung eines überholten und lebensfeindlichen Begriffs zumindest nicht mehr durch den Gesetzgeber reproduziert. Noch immer sei die wissenschaftlich längst widerlegte und trotzdem nicht minder gefährliche Idee einer Existenz menschlicher "Rassen" in rassistischen Theorien wie den Köpfen vieler Menschen verankert. Den Begriff aus der Verfassung zu tilgen, sei denn auch lange überfällig gewesen.

Große Koalition uneins

Mit der Entscheidung folgt das Saarland - wie andere Bundesländer zuvor - den Empfehlungen unter anderem des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der "Initiative Schwarze Menschen" in Deutschland. Sie fordern teils schon seit Jahrzehnten die Streichung des Begriffs aus dem Grundgesetz, konkret aus Artikel 3 Absatz 3, Satz 1. Der besagt, dass "niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden" darf.

Nach der gewaltsamen Tötung des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 in der US-Stadt Minneapolis und der darauffolgenden weltweiten Anti-Rassismus-Proteste hat die Debatte wieder an Fahrt aufgenommen. Am Ende stand noch im selben Jahr die Einigung der Großen Koalition, den Begriff zugunsten eines Verbots von Diskriminierung aus "rassistischen Gründen" aus dem Gesetzestext zu eliminieren. Doch dazu sollte es nicht kommen: Das Vorhaben scheiterte letztlich an Differenzen zwischen der Union und SPD.

"Keine triviale Angelegenheit"

Die aktuelle Ampel-Regierung will das nachholen - zumindest ist die Grundgesetzänderung im Koalitionsvertrag unter dem Punkt "Rassismus bekämpfen" festgehalten. Knapp zwei Jahre später ergibt eine Anfrage von tagesschau.de beim Bundesjustizministerium (BMJ) jedoch nur wenig Konkretes: "Das BMJ prüft die im Koalitionsvertrag geplanten Grundgesetzänderungen und führt dazu Gespräche im politischen Raum", so eine Sprecherin. Zu Einzelheiten könne man gegenwärtig noch keine Auskunft geben.

Woran es hakt, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor gut einem Jahr selbst, als er auf Abgeordetenwatch.de Stellung zur Frage bezog, ob es noch Bestrebungen gebe, den Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen. Demnach sei man von dem Vorhaben nach wie vor überzeugt. Gleichwohl handele es sich um "keine triviale Angelegenheit". Der bisherige Schutzraum des Diskriminierungsverbotes dürfe durch eine Änderung nicht verengt werden. Zudem müsse die Unrechtskennzeichnung von Rassismus beibehalten werden, so Buschmann.

Was ist die Alternative?

Eine ersatzlose Streichung des "Rasse"-Begriffes kann insofern keine Alternative sein. Dass die Suche nach Ersatzbegriffen bzw. -formulierungen aus juristischer Sicht keine einfache ist, bestätigt die Rechtswissenschaftlerin Dr. Isabelle Kutting von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. "Den einzigen Vorteil, den der Begriff "Rasse" bietet, ist der, dass er ursprünglich sehr genau beschreiben konnte, wovor eigentlich geschützt werden soll. Das muss die entsprechende Ersatzformulierung genauso leisten können."

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten ihn nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1949 aufgenommen, um sich vom Rassenwahn des Nationalsozialismus deutlich abzugrenzen. Dass es aus biologischer und genetischer Sicht keine Menschenrassen gibt, war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht klar. "Der juristische Begriff bleibt allerdings weiter in diesen Denkmustern und Deutungsschemata verhaftet, trotz unseres heutigen Wissenstandes", sagt Kutting. Damit täten sich nicht nur Betroffene von Rassismus schwer, die sich auf das Diskriminierungsverbot berufen. Sondern auch jene, die in der Rechtsanwendung tätig seien. "Sie sind gezwungen, in rassistischen Kategorien zu denken."

Christian Kirchberg, Vorsitzender des Ausschusses Verfassungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, sieht das anders. Seiner Auffassung nach ist völlig klar, dass es sich um einen polemischen Begriff handele, "der prinzipiell durch seine Irrationalität und seine Anfälligkeit für pseudowissenschaftliche Theorien von der Höher- oder der Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen gekennzeichnet" sei. Eine Streichung halte er aus verfassungsrechtlichen und -politischen Gründen "weder für geboten noch für sinnvoll, insbesondere auch im Hinblick auf die internationale Verwendung dieses Begriffs in einer Vielzahl von Regelwerken bzw. Abkommen."

Auf das Ergebnis kommt es an

Rechtswissenschaftlerin Kutting erklärt dagegen, dass sich der englische Begriff "race", auf den Kirchberg anspielt, aus historischer Perspektive nicht ohne weiteres mit "Rasse" übersetzen lasse, die Argumentation hinke. Allein das zeige, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit Rassismus in den Rechtswissenschaften und der Politik angebracht sei. Ohne diese könne es auch keine Änderung des Gesetzestextes geben. "Wir brauchen eine systemübergreifende Definition von Rassismus mitsamt Kriterien, anhand derer objektiv bestimmt werden kann, ob und wann Rassismus vorliegt."

Deshalb berge auch die Formulierung "Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen", wie sie künftig in der saarländischen Verfassung stehen soll und wie sie auch fürs Grundgesetz angedacht war, Gefahren. Sie böte zu viel Interpretationsspielraum und sei dadurch nicht objektiv genug. Dabei komme es beim Schutz durch die Verfassung nicht auf die Intention an, sondern einzig auf das Ergebnis. Kutting plädiert deshalb für die Formulierung "aus rassistischen Kriterien".

Sie wartet gespannt, zu welchen Ergebnissen die "Gespräche im politischen Raum" führen. Ob auf Bundesebene eine für die Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zustande kommt, dürfte auch davon abhängen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk in der Sendung "Kultur heute" am 15. Juni 2020 um 17:30 Uhr.