75 Jahre Grundgesetz "Klimaschutz ist Demokratieschutz"
2021 verkündete das Bundesverfassungsgericht seinen berühmten Klimabeschluss. Seitdem ist klar: Der Schutz der Grundrechte fordert eine effektive Klimapolitik. Muss das Grundgesetz deshalb ökologisch umgeschrieben werden?
Klimaschutz sichert die Freiheiten kommender Generationen. Und: "Klimaschutz ist Demokratieschutz", so fasst der Justizjournalist Ronen Steinke den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zusammen: "Wenn wir weiterhin unser Klima, unsere Umwelt zerstören, dann ist die Folge, dass künftige Generationen weniger über ihr eigenes Leben bestimmen können, sondern sich abstrampeln werden müssen, um irgendwie noch unsere üblen Hinterlassenschaften zu bewältigen. Also, wenn wir heute über unsere Verhältnisse leben, dann fressen wir eigentlich die Freiheit derer auf, die nach uns kommen."
Auf dem Weg zum ökologischen Rechtsstaat?
Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft trat, stand das derzeit zentrale Zukunftsthema, der Klimaschutz, noch nicht auf der Agenda. Jetzt, 75 Jahre später, ist klar: Klimaschutz hat Verfassungsrang. Um dem gerecht zu werden, fordern manche Juristinnen und Juristen, den Klima- und Umweltschutz noch viel deutlicher ins Grundgesetz zu schreiben.
Vorschläge gibt es viele. Sie reichen von einem ausdrücklich formulierten Grundrecht auf Klimaschutz, über ökologische Schranken für die Wirtschaftsfreiheiten von großen Unternehmen bis hin zu einer Pflicht, im Bundestag bei den Haushaltsdebatten alle Ausgaben auf ihre Klimaverträglichkeit zu überprüfen. Verfassungsexperten sprechen von einem historischen Wandel, der bevorstehen könnte: Vom liberalen zum sozialen und jetzt zum ökologischen Rechtsstaat. Aber andere Experten sind auch skeptisch.
Zweifel an einer Grundgesetzänderung
Es sei vor allem Aufgabe der Politik, die Klimakrise zu bewältigen, meint Alexander Thiele, Jura-Professor in Berlin: "Ich bin skeptisch, ob die Grundgesetzänderung der richtige Weg ist, denn das Vertrauen in das Recht, solche großen Herausforderungen zu lösen wie die Klimakrise, ist mir da vielleicht doch etwas zu stark ausgeprägt. Das ist eine originär politische Frage, für die wir politische Mehrheiten brauchen."
Die Politik könne auch ohne ein "grünes Grundgesetz", schon jetzt einen besseren Klimaschutz beschließen, so Alexander Thiele. Und wenn man eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine "ökologische" Grundgesetzänderung hätte, dann bekäme man sicher auch die notwendigen Mehrheiten für eine konsequentere Klimapolitik.
Justiz könnte schon jetzt mehr machen
Rechtsanwältin Roda Verheyen hat 2021 den Klimabeschluss aus Karlsruhe erstritten. Im Interview sagt sie, dass seitdem auf gesetzgeberischer Ebene sehr viel passiert sei, vor allem im Bereich Erneuerbarer Energien und beim Klimaschutzgesetz. Aber "in der Rechtswirklichkeit, also in der Entscheidungswirklichkeit deutscher Gerichte" habe der Klimabeschluss noch "nicht wirklich Wogen geschlagen".
Die Justiz, vor allem das oberste deutsche Verwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht, könnte die bestehenden Umweltgesetze schon jetzt konsequenter anwenden. Die Justiz sei aber sehr zurückhaltend, so Verheyen: "Und das ist sehr schade. Das liegt in Deutschland aus meiner Sicht an diesem Paradigma des Bestandsschutzes. Es soll erst mal immer alles so weitergehen wie es war. Die Tatsache, dass das Klimaschutzgebot mit Verfassungsrang radikale Transformationen bedingt und voraussetzt, das hat sich bei den Gerichten leider noch nicht herumgesprochen."
Eigene Rechte der Natur ins Grundgesetz?
Wie Thiele ist auch Rechtsanwältin Verheyen skeptisch, ob beim Thema Klimaschutz eine Grundgesetzänderung die dringendste Aufgabe ist. Eine Sache aber findet sie wichtig: Die Debatte darüber, ob die Natur eigene Rechte hat, die dann vor Gericht eingeklagt werden können, beispielsweise eigene Rechte für Menschenaffen oder für Flüsse wie den Ganges, der in Indien als Rechtsperson anerkannt ist.
"Wir haben einfach in keiner Weise ausreichend Rechte, beziehungsweise Natur-Interessen in unserem Rechtssystem. Und das muss geändert werden."
Justizjournalist Steinke ergänzt: "Es gab Ende der 1980er-Jahre eine Umweltkatastrophe in der Nordsee, bei der viele Seehunde zu Tode kamen. Da hatten deutsche Chemieunternehmen Dreck hineinverklappt in die See. Und dann haben sich Schülerinnen und Schüler mit der Unterstützung von Umweltverbänden an die Gerichte gewandt und gesagt, wir wollen die Rechte der Seehunde auf ein sauberes Meer einklagen."
Diese Klage Ende der 1980er-Jahre habe aber keinen Erfolg gehabt, erzählt Steinke. Denn in Deutschland brauche man für eine Klage vor Gericht immer eine Rechtsperson, die sich auf Rechte berufen kann: "Und die Seehunde als sprach- und staatenlose Flossenfüßler, wie es dann in einem juristischen Schriftsatz hieß, die haben diese Fähigkeit nicht, als eigene Rechtsperson vor Gericht aufzutreten. Und das ist eigentlich eine Lücke, das ist ein Problem unseres Rechts."
"Juristisch bessere Wege schaffen"
Eigene Rechte der Natur könnte man durchaus ins Grundgesetz schreiben. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat wäre dafür nötig. Solche Eigenrechte der Natur könnten ein erster Schritt für ein ökologischeres Grundgesetz sein.
Steinke betont den Gedanken, der dahinter steht: "Das ökologische Denken bedeutet eigentlich, dass man diejenigen in den Blick nimmt, die nicht mit am Tisch sitzen und denen eine Stimme gibt und sich zu deren Sachwalter macht. Und die Idee ist, dass man auch juristisch dafür bessere Wege schaffen könnte."