Wohnungsunternehmen Vergesellschaftung möglich
Knapp zwei Jahre nach dem Berliner Volksentscheid über Enteignungen von großen Wohnungsunternehmen haben Experten ihren Bericht vorgelegt. Ihr Fazit: Es geht. Aber was folgt daraus?
Ein Grundgesetzartikel, über den das Bundesverfassungsgericht noch nie geurteilt hat und eine Materie, die juristisches Neuland ist: Hinter den 13 Mitgliedern der "Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen" liegt ein aufregendes Arbeitsjahr.
"Sie glauben doch nicht, dass es nur temperamentlose Juristinnen und Juristen gäbe", merkt die Kommissionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin auf die Frage an, wie sehr man sich intern gezankt habe. "Sie können sich schon vorstellen, dass hier heftig diskutiert wurde, aber dies hat sich in aller Regel ausgesprochen freundschaftlich dargestellt."
150 Seiten für die Berliner Regierenden
Den mehr als 150-seitigen Abschlussbericht überreichte Däubler-Gmelin nun im Roten Rathaus an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Die zeigen sich dafür demonstrativ dankbar, auch wenn beide beim Thema Wohnungsvergesellschaftung bislang eher skeptische bis ablehnende Töne anschlugen.
"Es ist kein Geheimnis, dass ich, was das Thema Vergesellschaftung angeht, stets skeptisch war. Ich halte das weiterhin für den falschen Weg", sagte Wegner. Und Gaebler gab erneut zu bedenken: Durch Vergesellschaftung entstünde keine einzige neue Wohnung. Das Thema sei komplex. Deshalb werde man sich den Bericht nun sehr genau anschauen.
Vom rot-grün-roten Senat eingesetzt
Die Kommission war noch vom rot-grün-roten Senat eingesetzt worden. Er reagierte damit auf den erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" vom September 2021, bei dem sich fast 60 Prozent der abstimmenden Berlinerinnen und Berliner für die Vergesellschaftung privater Wohnungsbestände ausgesprochen hatten.
SPD, Grüne und Linke sowie die Volksentscheids-Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" konnten je drei Fachleute in das Gremium entsenden. Als 13. Mitglied kam die Kommissionsvorsitzende hinzu, die frühere Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin (SPD). Im Verlauf des Jahres lud die Kommission sich mehrfach weitere Expertinnen und Experten zu mehrstündigen Anhörungen ein, um einzelne Facetten des Themas Vergesellschaftung zu beleuchten.
Klare Mehrheitsansicht
Der Abschlussbericht beschreibt detailliert, welche Argumente die Kommissionsmitglieder in ihren Sitzungen abwogen. Nicht immer kamen sie dabei zu einem einhelligen Ergebnis, aber doch zu einer klaren Mehrheitsansicht. Dem Bericht sind einige "Minderheitsvoten" von Mitgliedern beigefügt, die in Einzelfällen ihre abweichende Meinung darlegen wollten.
Dass das Grundgesetz mit Artikel 15 dem Land Berlin das Recht zuspricht, ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Weg zu bringen, ist unter den Fachleuten unstrittig. Zwar spielte dieser Artikel in den Jahrzehnten seit Inkrafttreten des Grundgesetzes nie eine große Rolle, doch anwendbar bleibt er trotzdem, sind sich die Kommissionsmitglieder einig.
Wäre der Eingriff ins Eigentum rechtlich vertretbar?
Bei der Frage, ob ein solcher Eingriff ins private Eigentum "verhältnismäßig", also angemessen, wäre, gab es in dem Gremium zwar keine einhellige Meinung. Immerhin zehn Mitglieder bejahten, dass eine Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. Drei Kommissionsmitglieder sahen das zwar anders, schlossen allerdings trotzdem eine Vergesellschaftung von Wohnungen nicht grundsätzlich aus.
In welcher Höhe betroffene Unternehmen entschädigt werden müssten, ist in der Kommission ebenfalls umstritten. Das Grundgesetz liefert hier nur nebulöse Hinweise: "Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen." Einig sind sich die Kommissionsmitglieder aber darin, dass Entschädigungen unterhalb des Verkehrswerts der betreffenden Immobilien machbar sein müssten. Ob der Verkehrswert überhaupt eine Rolle spielt, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Entschädigungen würden sich auf Milliarden summieren
Über die Entschädigungshöhe gingen die Meinungen schon auseinander, als die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" noch Unterschriften sammelte für Volksbegehren und Volksentscheid. Sie selbst ging in amtlichen Informationsbroschüren von etwa 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro aus, die es kosten könnte, rund 200.000 Wohnungen zu vergesellschaften. Der Senat bezifferte damals die Kosten auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro.
Einhellig ist die Kommission der Auffassung, dass die von der Volksentscheids-Initiative benannte Grenze für Vergesellschaftungen rechtlich zu rechtfertigen wäre: Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von 3000 Wohnungen oder mehr fielen unter ein Vergesellschaftungsgesetz. Eine solche Festsetzung verstoße nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, so die Kommission in ihrem Abschlussbericht. Das gleiche gilt auch für die geforderte Ausnahme von Genossenschaften oder bereits gemeinnützig bewirtschafteten Wohnungsunternehmen.
Für den neuen schwarz-roten Senat bedeutet das Kommissionsvotum einen Spagat. Einerseits ist da der erfolgreiche Volksentscheid, über den man nicht einfach hinweggehen kann, auch wenn er nur Aufforderungscharakter hat. Andererseits lehnt die CDU - und in Teilen auch die SPD - Vergesellschaftungen strikt ab, weil durch sie ihrer Ansicht nach keine neuen Wohnungen entstünden und sie obendrein teuer seien.
Im Koalitionsvertrag haben sich beide Parteien deshalb auf einen Kompromiss verständigt: Auf der Basis des Kommissionsberichts und juristisch neu bewertet soll ein "Vergesellschaftungsrahmengesetz" auf den Weg gebracht werden, das auch die Vergesellschaftung von Wohnungen möglich machen würde - aber nicht nur dort. Auch für andere Bereiche der Daseinsvorsorge wäre es gedacht. Der Fraktionschef der CDU im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, hatte in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" bereits laut darüber nachgedacht, Energieunternehmen zu "enteignen", um die Klimaziele zu erreichen.
Kommt ein neuer Volksentscheid?
Um sich allerdings nicht erneut nach einem in Gang gebrachten Prozess eine Abfuhr vom Bundesverfassungsgericht zu holen wie zuletzt beim gescheiterten Mietendeckel, soll diesmal dafür eine Frist eingebaut werden: Erst zwei Jahre nachdem das Abgeordnetenhaus ein solches Gesetz beschließt, soll es in Kraft treten - genug Zeit, damit es beklagt und vom Bundesverfassungsgericht beurteilt werden kann.
Sowohl die Volksentscheids-Initiative als auch der Berliner Mieterverein sehen diesen Plan der schwarz-roten Koalition kritisch. Sie unterstellen der Landesregierung, das eigentliche Ansinnen verschleppen zu wollen. Die Initiative hatte vor einiger Zeit bereits angedeutet, einen weiteren Volksentscheid auf den Weg zu bringen - dann mit einem konkreten Gesetzentwurf, der im Erfolgsfall sofort in Kraft träte.