Nachtragshaushalt und Schuldenbremse Worum es in der Haushaltsdebatte geht
Das Urteil zum Klima- und Transformationsfonds zwingt die Bundesregierung zu einem Nachtragshaushalt für 2023, der Etat für 2024 liegt auf Eis. Was plant die Ampel - und welche Rolle spielt die Schuldenbremse dabei?
Was regelt die Schuldenbremse im Grundgesetz?
"Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen." So lautet der erste Satz von Artikel 115 des Grundgesetzes. Das ist die Grundregel der Schuldenbremse. Sie bedeutet allerdings nicht automatisch "0,0 Prozent neue Schulden". Der Bund darf jedes Jahr bis zu 0,35 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts an neuen Schulden aufnehmen. Außerdem sind "bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung" in gewissen Grenzen neue Schulden möglich, heißt es in der Vorschrift ergänzend. Diese Möglichkeit steht aber gerade nicht im Mittelpunkt.
Im Zentrum der aktuellen Diskussion steht: Neben der Grundregel sieht Artikel 115 des Grundgesetzes eine Ausnahme von der Schuldenbremse vor. "Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", kann man von der Grundregel der Schuldenbremse abweichen. Der Bundestag darf diese Ausnahme unter bestimmten Voraussetzungen mit einfacher Mehrheit beschließen.
Was bedeutet "die Schuldenbremse aussetzen"?
Ein "Aussetzen der Schuldenbremse", bedeutet nicht, dass man die Regeln des Grundgesetzes in Artikel 115 komplett auf Eis legt. Es geht darum, mit einem Beschluss des Bundestages die vom Grundgesetz vorgesehene Ausnahme ("außergewöhnliche Notsituation") zu aktivieren. Dafür müssen aber die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein.
Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil vom 15.11.2023 die rechtlichen Voraussetzungen für die Ausnahme konkretisiert. Der Bundestag hatte Anfang 2022 beschlossen, nicht genutzte Kreditermächtigungen zur Bekämpfung von Folgen der Corona-Pandemie in Höhe von 60 Milliarden Euro auf den "Klima- und Transformationsfonds" zu übertragen. Das BVerfG hat dazu entschieden, dass die Pandemie zwar eine "außergewöhnliche Notsituation" war. Es hat aber mehrere Dinge beanstandet.
Erstens: Bundestag und Bundesregierung haben den nötigen Zusammenhang zwischen der Notsituation (gemeint war die Pandemie) und den geplanten kreditfinanzierten Maßnahmen zum Klimaschutz nicht ausreichend und tragfähig begründet. Das BVerfG hat also für die Anwendung der Ausnahme Grenzen gesetzt. Zweitens: Kredite müssen in dem Jahr genutzt werden, für das die Notsituation erklärt wurde. Ein Beschluss "auf Vorrat" für mögliche Kredite in den kommenden Jahren ist nicht zulässig. Denn das wäre eine Umgehung der Schuldenbremse. Drittens: Ein Beschluss Anfang 2022 rückwirkend für 2021 war nicht zulässig.
Warum fehlen nach dem Urteil 60 Milliarden?
Das BVerfG hat das Gesetz, mit dem 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen auf den Klimafonds übertragen wurden, für nichtig erklärt. Das Gesetz hat rechtlich gesehen also nie existiert. Die Folge ist: Die 60 Milliarden an möglichen Krediten stehen dem Klimafonds nicht zur Verfügung.
Warum soll es für 2023 einen Nachtragshaushalt geben?
Das ist eine Reaktion auf das Karlsruher Urteil; aber mit Blick auf ein anderes Sondervermögen, das von der Entscheidung zumindest indirekt betroffen ist. Es geht um den "Wirtschaftsstabilisierungsfonds", von Kanzler Olaf Scholz auch als "Doppel-Wumms" bezeichnet. Mit dem Fonds wird die Strom- und Gaspreisbremse finanziert.
Das Problem: Auch hier wurde vom Bundestag eine "außergewöhnliche Notsituation" für das Jahr 2022 festgestellt, die Kreditermächtigungen galten aber auch für das Folgejahr 2023. Nach den Kriterien des BVerfG sei das rechtlich angreifbar, hatten viele Experten in einer Anhörung im Haushaltsausschuss gesagt. Durch den Nachtragshaushalt mitsamt Beschluss einer "Notsituation" für 2023 möchte die Bundesregierung den Haushalt 2023 daher nachträglich auf rechtlich sicheren Boden stellen.
Der Nachtragshaushalt 2023 "rettet" allerdings nicht die verlorenen 60 Milliarden aus dem Klimafonds. Ob und wie man diese Summe kompensiert, ist eine andere Frage.
Ist die Ausnahme von der Schuldenbremse 2023 zulässig?
Ob das erneute Aussetzen der Schuldenbremse für das Jahr 2023 verfassungsgemäß ist, hängt maßgeblich von folgenden Punkten ab: Wie tragfähig begründen Regierung und Bundestag (1) die "außergewöhnliche Notsituation" für das Jahr 2023 und (2) den Zusammenhang zwischen den finanzierten Maßnahmen und der Notsituation? Laut Bundesregierung liegt die Notsituation in der vom Krieg in der Ukraine verursachten Energiekrise und ihren Folgen. Diese entziehe sich der Kontrolle des Staates und beeinträchtige die staatliche Finanzlage erheblich.
Das BVerfG könnte auch den Nachtragshaushalt 2023 kontrollieren. Aber nur, wenn es einen entsprechenden Antrag gäbe, also einen "Kläger". Aus der Union ist zu hören, dass eine Klage gegen den aktuellen Nachtragshaushalt derzeit nicht geplant sei.
Was ist mit dem regulären Haushalt für 2024?
Seine Verabschiedung wurde verschoben. Unabhängig vom Nachtragshaushalt 2023 muss der Bundestag aber noch einen regulären Haushalt für das Jahr 2024 beschließen. Das ist eine separate Baustelle.
Kann man auch für 2024 eine Ausnahme beschließen?
Dafür gelten dieselben rechtlichen Kriterien aus dem Grundgesetz wie für 2023 und die Jahre davor, so wie das BVerfG sie in seinem Urteil festgelegt hat. Man müsste im Jahr 2024 für das Jahr 2024 eine "außergewöhnliche Notsituation" und einen Zusammenhang der geplanten Maßnahmen mit dieser Situation tragfähig begründen. Außerdem bräuchte man eine einfache Mehrheit im Bundestag. Auf Antrag wäre eine Kontrolle durch das BVerfG möglich.
Könnte man die Schuldenbremse abschaffen oder reformieren?
Diese Diskussion wird bereits aus rechtlicher und politischer Sicht geführt. Eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse im Grundgesetz wäre möglich, allerdings braucht man für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat - eine hohe Hürde.