Sichere Herkunftsländer Was die Union beim Asylrecht ändern will
Die Union hat die Pläne der Ampelkoalition zu Asyl und Migration scharf kritisiert. Nun legt sie einen eigenen Vorschlag vor. Sie will ein neues Verfahren zur Einstufung sicherer Herkunftsländer.
Die Union stemmt sich gegen die geplanten Vorhaben der Bundesregierung im Bereich Asyl und Migration. Von einer "Geisterfahrt" sprechen die Innenexperten von CDU und CSU. Jetzt wollen sie einen eigenen Akzent setzen - und die Problematik der sicheren Herkunftsländer erneut zum Thema machen. Dabei geht es ihnen nicht - wie in der vergangenen Legislaturperiode - nur darum, Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als "sicher" zu deklarieren. Dieses Vorhaben von Ex-Bundesinnenminister Horst Seehofer ist damals - vereinfacht ausgedrückt - am Widerstand der Grünen im Bundesrat gescheitert.
Kern des neuen Antrags der Union ist nun ein "regelmäßiges und geordnetes Verfahren", mit dem geklärt werden soll, welche Herkunftsländer als "sicher" betrachtet werden könnten. Für Asylbewerber aus solchen sogenannten sicheren Herkunftsländern würde sich das Asylverfahren in der Regel verkürzen. Die Hoffnung der Union: Die Behörden könnten entlastet, die Rückführung von Ausreisepflichtigen erleichtert werden.
Der Begriff "sichere Herkunftsstaaten" ist seit 1993 Teil des deutschen Asylrechts. Nach Artikel 16a Absatz 3 kann der Gesetzgeber bestimmte Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Möglich ist das, wenn es als sicher gilt, dass in diesem Land keine politische Verfolgung und auch keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.
Dafür werden in dem betreffenden Staat drei Dinge bewertet: Die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse. Wenn es in einzelnen Landesteilen politische Verfolgung gibt oder zum Beispiel einzelne Bevölkerungsgruppen unmenschlich behandelt oder bestraft (zum Beispiel gefoltert) oder politisch verfolgt werden, darf das Land nicht zum sicheren Herkunftsstaat erklärt werden.
Mehr als 180.000 Asylanträge
Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union sagte dem ARD-Hauptstadtstudio: Deutschland habe in diesem Jahr nicht nur rund eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Bis Ende Oktober seien zudem mehr als 180.000 Asylanträge gestellt worden. "Nicht selten von Menschen, die keine Chance auf eine Anerkennung als Flüchtling haben und ausschließlich aus ökonomischen Motiven nach Deutschland kommen. Das gilt insbesondere für Georgien. Die Anerkennungschancen sind hier praktisch gleich null", so Frei. Gleichwohl befinde sich Georgien unter den Top Ten der Herkunftsländer.
Im Antrag heißt es: "Die Prüfung und Entscheidung einer großen Zahl offensichtlich unbegründeter Anträge bedeutet jedoch eine erhebliche personelle und finanzielle Belastung für Bund, Länder und Kommunen durch die aufwändigen Verfahren sowie die Versorgung der in Deutschland aufhältigen Asylsuchenden."
Aktenberge bei Verwaltungsgerichten
Der Experte für Migrationsrecht Daniel Thym von der Uni Konstanz ergänzt, dass lange Asylverfahren Betroffene im Ungewissen lassen und die Integration im Falle einer Anerkennung am Ende des Verfahrens verzögern. Umgekehrt sinke die Wahrscheinlichkeit, dass abgelehnte Asylbewerber abgeschoben würden. Zwar würde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei der Bearbeitung der Fälle immer besser. Allerdings wüchsen bei Verwaltungsgerichten die Aktenberge kontinuierlich. Soll heißen: Die Zahl der Klagen gegen ablehnende Asylbescheide wächst. Im Jahr 2021 dauerte ein erstinstanzliches Hauptsache-Verfahren durchschnittlich 26,5 Monate, Tendenz steigend, so Thym.
Die Ampelkoalition setzt daher auf ein "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz". Darin enthalten sind mehrere Regelungen, die das BAMF sowie die Verwaltungsgerichte entlasten sollen. So sollen zum Beispiel Regelüberprüfungen von Asylbescheiden gestrichen werden. Ob damit auch die Verwaltungsgericht spürbar entlastet werden können, ist umstritten. Vorgesehen ist zum Beispiel auch eine "unabhängige Verfahrensberatung". Die könne die Qualität und Akzeptanz der Verfahren durchaus erhöhen, sagt Thym. Allerdings dürfte die hohe Klagequote dadurch kaum gesenkt werden.
Union will Prüfung in zwei Stufen
Die Fraktion von CDU und CSU verweist wiederum auf die bereits erfolgte Einstufung der Westbalkanstaaten als "sichere Herkunftsländer". Die habe in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass dieses Instrument zu einer Senkung der Antragszahlen und einer Beschleunigung der Asylverfahren führt, ohne das individuelle Asylrecht zu beschneiden, heißt es in dem Beschluss.
Das regelmäßige und geordnete Verfahren, das die Union nun vorschlägt, sieht eine Prüfung in zwei Stufen vor. Bis Ende 2022 soll demnach zunächst eine "Vorprüfung" vorgenommen werden. Diese soll klären, inwieweit jene Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren sowie im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre unter fünf Prozent liegt, auf Grundlage der aktuellen Lageberichte des Auswärtigen Amtes wahrscheinlich die Voraussetzung für eine Einstufung erfüllen. Für Herkunftsstaaten, bei denen eine Einstufung als sichere Länder nach der Vorprüfung als wahrscheinlich gilt, sollen dann eine "vollständige Prüfung" veranlasst werden - unter Beachtung der Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes und den Anforderungen der EU-Richtlinie.
Wie positioniert sich die FDP?
Grundgesetz und EU-Asyl-Verfahrensrichtlinie sehen vor, dass es auch dann zu einer Einstufung kommen kann, wenn es Einzelfälle geben sollte, die der grundsätzlichen Annahme, das Herkunftsland sei sicher, widersprechen, erklärt Thym. "Mit anderen Worten: Grundgesetz und Richtlinie gehen davon aus, dass eine systematische Betrachtung durch den Gesetzgeber nicht alle Einzelfälle erfasst." Eine hundertprozentige Sicherheit werde vom Gesetzgeber nicht verlangt. Ob eine Ausnahme vorliege, etwa weil sich homosexuelle Asylsuchende in ihren Heimatländern im Maghreb nicht sicher fühlen, können und müsse auch durch die BAMF-Verfahren geklärt werden.
Spannend wird sein, wie sich die FDP zum Vorschlag der Union verhält. Sie hatte in der vergangenen Legislaturperiode ein ähnliches Prüfungsverfahren vorgeschlagen. CDU-Politiker Frei fordert: Die Ampelkoalitionspartner müssten jede Anstrengung unternehmen, damit sich Menschen aus sicheren Herkunftsländern am besten erst gar nicht auf den Weg nach Deutschland machten. Die Union will den Antrag im kommenden Jahr in den Bundestag einbringen.