Kinder balancieren auf dem Spielplatz einer Kindertagesstätte im sächsischen Dresden auf einem Brett.
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Projekt der Ampel Darum geht es bei der Kindergrundsicherung

Stand: 04.07.2023 16:28 Uhr

Mit der Kindergrundsicherung will die Ampelkoalition die Chancen für Kinder verbessern und Armut bekämpfen. Dafür sollen staatliche Leistungen gebündelt werden. Ob sie auch erhöht werden, ist strittig. Die Fakten zum Streit.

Die Ausgangslage

Seit Wochen streiten Familienministerin Lisa Paus und Finanzminister Christian Lindner über die Kindergrundsicherung. Das größte sozialpolitische Projekt der Ampelkoalition als solches ist beschlossene Sache, aber die Ausgestaltung und vor allem, wie viel es kosten darf, ist zwischen den drei Parteien umstritten. Vereinfacht gesagt: Die Grünen wollen das XL-Paket, die FDP eher die S-Variante und die SPD mindestens Größe M.

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart:

Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen.

Ein simpler Satz für ein Mammutprojekt - und einer, der viel Raum lässt für unterschiedliche Sichtweisen, Interpretationen und Gestaltungsspielraum im Kampf gegen Kinderarmut.

Vor allem die Grünen wollen durchsetzen, dass Leistungen auch erhöht werden, um mehr gegen Kinderarmut im Land zu tun. Finanzminister Lindner und seine FDP pochen dagegen darauf, die Staatsausgaben wieder stärker zu begrenzen, und verweisen auf bereits erfolgte Erhöhungen bei Bürgergeld, Kindergeld und Kinderzuschlag. "Irgendwann stellt sich die Frage, ob zusätzliches Geld nicht besser an die Schulen gehen sollte statt auf das Konto der Eltern", argumentierte Lindner zudem in der "Bild"-Zeitung.

Wie groß ist das Problem der Kinderarmut?

Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 24 Jahren waren es 1,55 Millionen oder 25,3 Prozent. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.

Streit über Elterngeld

Stephan Stuchlik, ARD Berlin, tagesthemen, 04.07.2023 22:15 Uhr

Aber es gibt doch staatliche Hilfen für arme Familien ...

Das ist richtig. Und genau das ist ein Problem. Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibetrag - es gibt eine Vielzahl finanzieller Leistungen des Staates. Das macht es für Betroffene oft unübersichtlich. Die Kindergrundsicherung soll alles einfacher machen: Sie soll bestehende familienpolitische Leistungen zusammenfassen und ausbauen.

So gibt es zum Beispiel das Kindergeld von 250 Euro pro Kind und das Bürgergeld für Kinder. Für Familien mit geringem Einkommen gibt es den Kinderzuschlag, maximal 250 Euro pro Kind, und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Besserverdienende können vom Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer profitieren.

Die Leistungen müssen aber teilweise bei verschiedenen Behörden auf unterschiedlichen Wegen beantragt werden - oft ist Familien gar nicht bewusst, dass sie einen Anspruch haben. Den Kinderzuschlag zum Beispiel erhält nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums nur etwa ein Drittel der Berechtigten. Rechnerisch gehen demnach etwa 1,5 Millionen Kinder leer aus.

Und was soll nun die Kindergrundsicherung ändern?

Sie soll bestehende familienpolitische Leistungen zusammenfassen und ausbauen - neben dem Kindergeld auch das Bürgergeld, den Kinderzuschlag oder das Wohngeld. Auch das Antragsverfahren soll sich ändern: "Einfach, unbürokratisch und bürgernah" solle die Kindergrundsicherung sein, "das Antragsverfahren wird digital und möglichst automatisiert erfolgen", heißt es in einem Anfang des Jahres vorgestellten Eckpunktepapier des Bundesfamilienministeriums. Zudem soll es "flächendeckend" Beratungsmöglichkeiten für Familien geben, damit sie bekommen, was ihnen zusteht.

Wie soll die Kindergrundsicherung konkret aussehen?

Vorgesehen ist ab 2025 eine Bündelung der bisherigen Leistungen in zwei Komponenten: Ein einkommensunabhängiger Garantiebetrag soll für alle Kinder gezahlt werden und zunächst auf Höhe des heutigen Kindergelds liegen. Das Geld soll grundsätzlich fließen, bis das Kind 18 ist, und unter bestimmten Voraussetzungen, etwa während einer Ausbildung, bis zum 25. Geburtstag.

Außerdem ist ein Zusatzbetrag geplant, dessen Höhe vom Familieneinkommen abhängt. "Der maximale Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung wird so festgesetzt, dass er in der Summe mit dem Garantiebetrag das pauschale altersgestaffelte Existenzminimum des Kindes abdeckt", heißt es in den Eckpunkten des Ministeriums. Auch diese Leistung soll maximal bis zum 25. Geburtstag des Kindes gezahlt werden.

Wie bekommt man den Garantiebetrag?

Der Garantiebetrag soll dem Konzept zufolge direkt nach der Geburt des Kindes beantragt und automatisch bis zum 18. Geburtstag bewilligt werden. Die Familien sollen informiert werden, dass sie unter Umständen auch Anspruch auf den Zusatzbeitrag haben.

Wie setzt sich der Zusatzbeitrag zusammen?

Der Zusatzbeitrag soll das bisherige Kinder-Bürgergeld ersetzen, also das, was Familien im Bürgergeldbezug monatlich für ihre Kinder bekommen. Auch der heutige Kinderzuschlag von maximal 250 Euro, der an Familien geht, die kein Bürgergeld bekommen, aber nur sehr wenig Einkommen haben, soll in diesem Zusatzbeitrag aufgehen.

Das gilt auch für Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets. Damit werden Kinder aus ärmeren Familien finanziell bei Musikunterricht, Sportverein oder Klassenfahrten unterstützt.

Wie können Familien die Leistungen beantragen?

Nach den bisherigen Plänen soll dafür ein digitales Kindergrundsicherungsportal entstehen - also eine Seite, auf der alle Leistungen beantragt werden können. Über einen "Kindergrundsicherungs-Check" sollen Familien außerdem aktiv darauf hingewiesen werden, dass sie möglicherweise Ansprüche auf weitere Zahlungen haben.

Aus der bisherigen Holschuld der Bürger solle eine Bringschuld des Staates werden, so das Familienministerium.

Worüber wird gestritten?

Vor allem ums Geld. Paus geht von Zusatzkosten von zwölf Milliarden Euro pro Jahr aus. Sie verweist darauf, dass schon heute die rechtlichen Ansprüche der Familien deutlich höher liegen als die tatsächlich ausgezahlten Leistungen. Zudem hält sie eine Anhebung von Leistungen für nötig, unter anderem wegen der hohen Inflation.

Die FDP sieht das ganz anders. Für Bundesfinanzminister Lindner ist das Vorhaben vor allem ein Projekt der Digitalisierung und Verwaltungsreform. Er betont, dass Familien bereits deutlich entlastet worden seien, etwa mit der Kindergelderhöhung zum Jahreswechsel. Diese kommt allerdings bei Familien im Bürgergeldbezug nicht an, weil ihnen das Kindergeld voll angerechnet wird.

Lindner hat in der Finanzplanung des Bundes für 2025 bis 2027 lediglich zwei Milliarden Euro jährlich für Paus und die Kindergrundsicherung veranschlagt. Als "Merkposten", wie er sagte. Ohne Konzept der Bundesregierung könne es auch keine präzise Kostenschätzung geben. Paus kündigte an, die endgültige Summe werde in ihrem Gesetzentwurf stehen, der im kommenden Monat vorgelegt werde. In den tagesthemen legte sie sich nicht fest. Die jährliche Summe werde sich zwischen zwei und zwölf Milliarden Euro bewegen, so die Grünen-Politikerin.

Familienministerin Lisa Paus, Die Grünen, zum Streit über die Kindergrundsicherung in der Ampel-Koalition

tagesthemen, 03.07.2023 21:55 Uhr

Wieviel Geld ist nötig im Kampf gegen Kinderarmut?

Sozialverbände sind sich einig: Zwei Milliarden Euro mehr im Jahr sind deutlich zu wenig. "Damit beseitigen Sie keine Kinderarmut. Das ist ausgeschlossen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. Nach Ansicht der Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, ist "eine Kindergrundsicherung nötig, die so hoch ist, dass alle Kinder wirklich finanziell abgesichert werden". Die zwei Milliarden Euro seien "deutlich zu wenig und weit davon entfernt, dass Kinder in ihrer Lebensrealität eine deutliche Verbesserung spüren würden". Ähnlich äußerte sich der Kinderschutzbund.

Die Kindergrundsicherung muss einer Bertelsmann-Analyse zufolge vor allem am unteren Einkommensrand wirken und nicht höhere Einkommensschichten weiter entlasten. Daher sollte die Leistung "mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen" werden. Zudem müsse die Kindergrundsicherung "einfach, niedrigschwellig und digital zu beantragen sein". Eine alleinige Erhöhung oder "die reine Bündelung und Vereinfachung" bisheriger Leistungen reichten nicht aus, um Kinder- und Jugendarmut zu vermeiden, erklärte die Stiftung.

Nehme man das Geld nicht in die Hand, bedeute dies, weiter dabei zuzuschauen, "wie mehr als ein Fünftel der jungen Generation seiner Lebenschancen beraubt wird".

SPD-Chefin Saskia Esken geht von zusätzlichen Ausgaben für die Kindergrundsicherung aus und sieht offenbar eine Spanne zwischen mehr als zwei und sechs Milliarden Euro. Die von Familienministerin Paus veranschlagten zwölf Milliarden Euro seien in Teilen bereits erfüllt: Mit der Erhöhung des Kindergeldes und des maximalen Kinderzuschlages seien bereits fast sechs Milliarden Euro verbucht. Wenn erreicht werde, dass wesentlich mehr Eltern den Zusatzbetrag auch in Anspruch nähmen, dann "kann man sich vorstellen, dass da mehr Ausgaben drinstecken, alleine im bereits bestehenden Anspruch auf den Kinderzuschlag", erläuterte Esken.

Wie geht es jetzt weiter?

In der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause geht es um den Haushalt für 2024. Da ist die Kindergrundsicherung noch nicht dabei. Über die Sommerpause hat Paus dann Zeit, einen Gesetzentwurf fertigzustellen. Dazu hatte sie Bundeskanzler Olaf Scholz per Brief aufgefordert.

Paus bewerte den Kanzler-Brief als Rückendeckung für ihr Projekt, inklusive einer "beabsichtigten Leistungsverbesserung", sprich mehr Geld als die von Lindner veranschlagten zwei Milliarden Euro jährlich. Eingeführt werden soll die Kindergrundsicherung Anfang 2025.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 03. Juli 2023 um 21:55 Uhr.