75 Jahre Grundgesetz Sollen Kinderrechte in die Verfassung?
Seit Jahren wird darüber diskutiert, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Doch das ist nicht so einfach. Mindestens zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten müssten zustimmen. Was spricht dafür, was dagegen?
Herbert Grönemeyer hat sich in den 1980er-Jahren mal Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn Kinder an die Macht kämen. "Armeen aus Gummibärchen. Panzer aus Marzipan. Kriege werden aufgegessen. Einfacher Plan. Kindlich genial" lauten Zeilen in seinem gleichnamigen Lied. Kinder an die Macht - eine gesungene Utopie. Keine Utopie hingegen: Kinderrechte im Grundgesetz.
Das Aktionsbündnis Kinderrechte fordert das schon lange. "Kinder brauchen aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung mehr als nur die allgemeinen Bürgerinnen- und Menschenrechte", sagt Daniel Grein, Geschäftsführer des Kinderschutzbunds, das Teil des Aktionsbündnisses ist.
Auch die seit 2010 in Deutschland gesetzlich verankerte UN-Kinderrechtskonvention reiche nicht. In der Corona-Pandemie habe sich das gezeigt. Das seien zwar Maßnahmen grundrechtlich abgewogen worden. Die Interessen der Kinder seien aber untergegangen - weil ihre Rechte nicht im Grundgesetz stehen. Braucht es also eine Grundgesetzänderung?
Zwei-Drittel-Mehrheit nötig
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gibt sich zurückhaltend: "Die Debatte haben die Abgeordneten im Parlament in die Hand genommen." Soll heißen: Von dort soll auch ein Gesetzentwurf kommen. Seitens der Regierung ist keiner zu erwarten.
Schließlich braucht es für eine Änderungen des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag: Auch Abgeordnete aus der Opposition müssen zustimmen. Das macht das Vorhaben schwierig. Bisher sind alle Versuche gescheitert - auch die der schwarz-roten Vorgängerregierung.
Union befürchtet Schwächung der Familie
Die Union zögert: "Unsere Bedenken sind, dass es am Ende nicht zu seiner Stärkung der Kinderrechte kommt, sondern zu einer Schwächung der Familien“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Die Rolle der Eltern könnte relativiert werden und die Rolle des Staates in der Familie gestärkt. "Das halten wir für den völlig falschen Ansatz."
In Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Würde diese Balance zwischen Kinderinteressen, Elternpflichten und Staatsaufgabe durcheinandergebracht?
"Bei allen Ideen, die ich gut finde, besteht diese Gefahr nicht", sagt Buschmann. Eine Idee wäre, das Recht auf schulische Bildung ins Grundgesetz zu schreiben. Buschmann verweist auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus Corona-Zeiten. Karlsruhe habe damals geurteilt, dass es ein Recht auf schulische Bildung geben müsse, dass sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche richte. "Das sind Dinge, wo ich es gut gefunden hätte, wenn wir das sichtbarer gemacht hätten."
Mehr Selbstbestimmung
Ekin Deligöz von den Grünen setzt sich seit Jahren für eine Grundgesetzänderung ein. Sie ist optimistisch: "Diese Diskussionen, die wir geführt haben, hatten alle Folgen. Kinder- und Jugendhilfe hat sich verändert. An vielen anderen Stellen, bei Familien- oder Verwaltungsgerichten, die zum Beispiel über Kinder- und Jugendhilfe entscheiden, werden Kinder mit einbezogen, ihre Meinung wird erfragt."
Dennoch glaubt sie, dass mehr passieren muss. "Wir sind in Zeiten, in denen wir Demokratie verteidigen, stärken wollen. Demokratie lebt von den Leuten, die sie gestalten. Je mehr Stärke, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung wir den Menschen beibringen, desto mehr können sie das leben und können das schätzen. Das fällt nicht mit 18 Jahren vom Himmel herab." Mehr Stärke, mehr Selbstbestimmung - vielleicht auch ein bisschen mehr Macht. Am Ende wäre das gar nicht so weit weg von Herbert Grönemeyers besungener Utopie.