Christine Lambrecht Die Problem-Ministerin
Chaotische Kommunikation, unklare Linie, irritierende Äußerungen: Verteidigungsministerin Lambrecht sorgt zunehmend für Kritik. Was ist da los?
Es sind zwei Fragen, mit denen sich viele in Berlin gerade beschäftigen: Welchen Kurs steuert die Regierung in der Sicherheitspolitik? Und: Was macht die Verteidigungsministerin da eigentlich?
Das Problem ist, dass sich beide Fragen nicht so ohne weiteres auseinanderhalten lassen. Das Sondervermögen für die Bundeswehr zum Beispiel: Da ruft Kanzler Olaf Scholz kurz nach Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine die Zeitenwende aus, kündigt eine 100-Milliarden-Euro-Finanzspritze für die chronisch schlecht ausgerüstete Bundeswehr an und das Vorzeige-Projekt schleppt sich in mühsamen Verhandlungen zwischen den Ampel-Parteien bis Ende Mai, von der geplanten Abstimmung mit der Union noch ganz zu schweigen.
Böse Zungen behaupten, Christine Lambrecht verhandele gar nicht im Sinne des Verteidigungsministeriums (das allein für Munition mehr als 20 Milliarden Euro ausgeben muss, um die NATO-Standards zu erreichen), sondern eher im Sinne des linken Flügels der SPD. Der spricht beim Sondervermögen immer von "Ausrüstung der Bundeswehr", um ja nicht in den Geruch zu kommen, eine SPD-geführte Regierung habe die Truppe "aufgerüstet".
Unterschiedlichste Begründungen
Es mag ungerecht sein, ausgerechnet in der Verteidigungsministerin den Schwachpunkt bei den Verhandlungen zwischen Kanzleramt, Finanzministerium, Außen- und Verteidigungsministerium zu vermuten, aber das hat sich Lambrecht teilweise selbst zuzuschreiben. Über Monate kommen aus ihrem Ministerium die unterschiedlichsten Begründungen dafür, warum es etwa bei Waffenlieferungen an die Ukraine nicht so schnell geht, wie Kiew es wünscht (was der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk fordert, steht sowieso auf einem ganz anderen Blatt Papier).
Liegt es daran, dass die Bundeswehr gar nicht mehr abgeben kann, wenn Deutschland seine NATO-Verpflichtungen erfüllen wolle, wie es zwischenzeitlich hieß? Liegt es daran, dass die Ukrainer mit der "modernen deutschen Technik" überfordert wären und eigentlich nur alte Sowjet-Ausrüstung eine schnelle Hilfe verspricht, die Deutschland nicht besitzt? Liegt es an den deutschen Regularien, die durch langwierige Prüfungen verhindern sollen, dass die Ukraine minderwertige Kriegstechnik geliefert bekommt? Liefert Deutschland mehr, als es publik machen kann?
Spott und Hohn nach Helme-Aussage
Egal woran es liegt, die Kommunikation des Verteidigungsministeriums dazu muss man mindestens sprunghaft, wenn nicht chaotisch nennen. Und mittendrin: Lambrecht. Ihre schwungvoll vorgetragene Aussage, die Lieferung von 5000 Helmen sei ein starkes Zeichen der Solidarität für die Ukraine, würde sie rückblickend wohl selbst nicht mehr als gute Idee bezeichnen. Es hagelte Spott und Hohn, vor allem aus der Ukraine. Die deutsche Außenpolitik, zuvorderst der Kanzler, musste sich wochen-, wenn nicht monatelang mühen, um nach diesem Ausspruch den Eindruck aus der Welt zu schaffen, die Deutschen nähmen Kiew und den Krieg nicht ernst.
Die jüngste Wortmeldung aus dem Lambrecht-Ministerium zum Thema "Unterstützung der Ukraine" kam von Staatssekretärin Siemtje Möller, die im ZDF-Interview den Eindruck vermittelte, man könne gar nicht schweres Gerät liefern, da es ein Einverständnis unter den NATO-Staaten gebe, keine Panzer oder Schützenpanzer westlicher Produktion in die Ukraine zu liefern. Man laufe sonst Gefahr, von Russland als Kriegspartei wahrgenommen zu werden.
Das klang wie eine klare rote Linie, was man liefern könne und was nicht. Aber, wie bei vielem, was aus dem Ministerium verlautbart wird, stellte sich sofort eine Reihe neuer Fragen: Wenn das so vereinbart ist, warum erklärt man das der Öffentlichkeit nicht sofort? Wenn es innerhalb der NATO Einigkeit über die Nicht-Lieferung westlicher Panzer und Schützenpanzer gibt, warum hat man kein Problem damit, Panzer oder Schützenpanzer sowjetischer Produktion in die Ukraine zu liefern? Sind die weniger tödlich? Und: Wenn Deutschland Panzerhaubitzen 2000 abgibt und die Artillerie momentan kriegsentscheidend ist, warum hat man an dem Punkt keine Angst, Russland könnte das falsch interpretieren?
Selbst Unterstützer "maximal irritiert"
Natürlich hat diese Begründungslotterie des Verteidigungsministeriums seinen Ursprung auch im Kanzleramt, wo Olaf Scholz darauf bedacht zu sein scheint, kraftvoll Unterstützung für die Ukraine zu predigen und andererseits konkrete Schritte nur zögerlich einzuleiten. Aber das Barmen im Verteidigungsministerium darüber, dass Lambrecht den Zickzack-Kurs des Kanzlers vertreten müsse, (und dabei zwangsläufig nicht gut aussehen könne) verkennt die Tatsache, dass Lambrecht ihren Posten zweifelsohne ihrem guten Draht zum Kanzler verdankt.
Lambrechts "unfreundlicher Akt"
Dass der nun seinerseits erwartet, dass sie qua Amt schwer Erklärliches aus dem Kanzleramt zu erklären versucht, scheint nicht zu viel verlangt. Zudem sie kürzlich die gesamte Statik seines Kabinetts ins Wanken brachte, als sie in einem Interview mit "t-online" erklärte, sie setze darauf, dass ihre Kollegin Nancy Faeser, die Innenministerin der Republik, Spitzenkandidatin der SPD in Hessen und später auch Ministerpräsidentin des Landes würde.
Damit erweckte sie den Eindruck, Scholz habe gleich zwei Ministerinnen, die ihre Posten nur vorläufig besetzten: Faeser, die nur die Zeit bis zur Landtagswahl in Wiesbaden überbrücke, und Lambrecht selbst, die eigentlich nur auf den Abgang der Kollegin 2023 warte, um das augenscheinlich ungeliebte Amt der Verteidigungsministerin gegen das der Innenministerin einzutauschen. Diese Äußerung Lambrechts als "unfreundlichen Akt" einzustufen, ist noch untertrieben, auch einige Unterstützer der Verteidigungsministerin äußerten sich "maximal irritiert".
Risiko auch für Kanzler Scholz
Danach hatte der Kanzler Mühe, einen offenen Schlagabtausch zwischen Faeser und Lambrecht zu verhindern. Die Innenministerin, die nun ständig betonen muss, wie wichtig sie ihren momentanen Posten nimmt, ließ in einem Folgeinterview maliziös verlauten, sie habe einen siebenjährigen Sohn, den habe sie aber noch nie auf Dienstreisen mitgenommen. Damit drohte die unsägliche Geschichte um den Hubschrauber-Mitflug von Lambrechts 21-jährigem Sohn mit der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums wieder hochzukochen, die man gerade mit viel Mühe (das sei "legal, aber ungeschickt gewesen", so Lambrecht) abgeräumt zu haben schien.
Der Kanzler sprach ein Machtwort, so ist zu hören, aber dass sich Lambrecht nicht mehr allzu viele Schnitzer leisten kann, ist ein offenes Geheimnis. In der Zeit des Krieges in der Ukraine, wo nicht nur in Europa und den USA viele genau auf Deutschlands Reaktion schauen, ist eine schwache Verteidigungsministerin ein Risiko, auch ein persönliches für Scholz. Und in einer Zeit, in der die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgestattet werden soll, wünschen sich viele im Ministerium vor allem ruhiges und professionelles Arbeiten.
Mittlerweile stellen sogar viele in der SPD die internen Auswahlkriterien für die Ministerposten in Frage. Dass das Verteidigungsministerium im Herbst 2021 mit einer linken Frau besetzt werden musste, sei "rückblickend maximal unglücklich gewesen", sagt ein hochrangiges SPD-Mitglied. "Wir hätten unseren Kandidaten Nummer eins nehmen sollen." Das wäre Lars Klingbeil gewesen. Den aber hat die Partei nicht zum Minister, sondern zu einem ihrer beiden Vorsitzenden gemacht.