Hubert Aiwanger und Markus Söder
analyse

CSU und Freie Wähler nach der Wahl Das Kräftemessen hat begonnen

Stand: 10.10.2023 11:10 Uhr

"Mädchenhaft" und "pubertär" - noch bevor Koalitionsgspräche starten, sticheln Aiwanger und Söder gegeneinander. In Bayern ringen Freie Wähler und CSU nach der Landtagswahl um die Deutungshoheit.

Eine Analyse von Petr Jerabek und Maximilian Heim, BR

Wer die besseren Mathematiker in seinen Reihen hat, ist bisher nicht bekannt - fest steht aber: Spitzenpolitiker von CSU und Freien Wähler kommen am Tag nach der bayerischen Landtagswahl zu unterschiedlichen Rechenergebnissen. Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl ist sich sicher, dass seine Partei in der neuen schwarz-orangen Koalition ein viertes Ministerium bekommen wird: Die Kräfteverschiebung im bürgerlichen Lager müsse sich "natürlich im Kabinett abbilden".

Sein Parteichef Hubert Aiwanger teilt diese Einschätzung offenkundig, behält seine Rechnung aber für sich: "Wenn Sie ausrechnen, wie die Wahlergebnisse sind, dann glaube ich auch, dass jeder ausrechnen kann, wie viele Ministerien uns zustehen."

CSU-Generalsekretär Martin Huber kontert: "Ein Anspruch auf ein weiteres Ministerium ist durch das Ergebnis nicht ableitbar." Und der CSU-Vorsitzende Markus Söder betont, "rechnerisch gesehen" stehe den Freien Wählern kein weiterer Kabinettsposten zu. Er zählt auch die Staatssekretäre mit und kommt damit auf bisher fünf. Damit habe der Koalitionspartner 2018 mehr Posten bekommen als nötig: "Wir waren freundlich."

Zwar wollen beide Parteien weiter miteinander koalieren, am Tag nach der Wahl aber liefern sie sich ein öffentliches Fernduell. Der Wettstreit um Posten hat begonnen.

Unmut bei den Christsozialen

Die CSU kam bei der Landtagswahl am Sonntag auf 37,0 Prozent - ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. Die Freien Wähler legten 4,2 Punkte zu, auf ihren Rekordwert 15,8 Prozent. Auch die Wählerwanderung zeigt, dass der CSU mit den Freien Wählern eine echte Herausforderung erwachsen ist. Rund 260.000 Menschen wählten dieses Mal die Freien Wähler, nachdem sie bei der Landtagswahl vor fünf Jahren noch für die Christsozialen gestimmt hatten. Von den Freien Wählern wanderten dagegen nur 120.000 zur CSU.

Schon bevor am Montagvormittag die Parteigremien tagen, wird klar: Diese Zahlen sorgen für Unmut bei den Christsozialen. Namhafte CSU-Politiker fordern eine härtere Gangart im Umgang mit den Freien Wählern. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt drängt auf mehr Wettbewerb zwischen den beiden Parteien. Für den CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel ist die "Schonzeit" für die Freien Wähler vorbei, CSU-Vize Manfred Weber verlangt eine stärkere Abgrenzung.

Aiwanger gibt sich gelassen. "Das liegt jetzt zunächst mal an der CSU, was sie sich unter Abgrenzung von den Freien Wählern vorstellen", sagt er. "Da wünsche ich viel Spaß dabei." Er wundere sich schon sehr darüber, dass er für das schlechte Wahlergebnis der CSU verantwortlich gemacht werde. "Ich bin ja nicht die Plakatiertruppe der CSU." Die Freien Wähler seien eine eigenständige Kraft. "Ich würde der CSU jetzt empfehlen, nicht zu mädchenhaft aufzutreten."

Söder will "grundsätzliche Fragen" besprechen

Statt ewig Wunden zu lecken, sollten die Christsozialen lieber sofort Koalitionsgespräche mit den Freien Wählern aufnehmen, findet Aiwanger. Zugleich macht der Freie-Wähler-Chef klar, dass er mit breiter Brust in die Verhandlungen gehen möchte: "Wir sind der Wahlsieger dieser Landtagswahl in dieser Bayern-Koalition."

Während die Freien Wähler ihr Plus als Bestätigung für eine bürgernahe Politik verstanden wissen wollen, hat der Zuwachs laut Söder "nichts mit Substanz und Inhalt zu tun". Vielmehr seien die Ergebnisse eine Folge der Flugblatt-Affäre um Aiwanger gewesen, sagt Söder nach der CSU-Vorstandssitzung. Seine Partei wolle die bisherige Koalition fortsetzen. "Aber, Achtung: seriös! Ich rate allen, auf dem Teppich zu bleiben, keine Selbstüberschätzung betreiben, sondern vernünftig zu sein, die Größenverhältnisse zu realisieren." Und der Ministerpräsident rät Aiwanger noch, nicht "pubertär zu agieren".

Die CSU wird Söder zufolge mit den Freien Wählern vorab auch "grundsätzliche Fragen" besprechen - zum Beispiel ihren Standort im Parteiensystem. "Wir werden die Freien Wähler natürlich noch stärker an ihren bisherigen Leistungen messen müssen." Mit Blick auf Aiwangers umstrittenes Zitat, man müsse sich die Demokratie zurückholen, betonte Söder: "Seit Erding haben sich die Freien Wähler Stück für Stück verändert. Deshalb verändert sich auch die Zusammenarbeit."

Muskelspiele gehören dazu

Einig sind sich Söder und Aiwanger jetzt schon, dass sie die Migrationspolitik verstärkt in den Fokus rücken wollen - auch angesichts der erstarkten AfD in Bayern. Die Berliner Ampelkoalition habe sich einer Lösung der Migrationsproblematik komplett verweigert, beklagt der CSU-Chef. Das führe dazu, dass sich das Thema leichter instrumentalisieren lasse. Nötig sei eine "tatsächliche Umkehr der bisherigen Asylpolitik in Deutschland".

Aiwanger mahnt, das Thema Migration könne "man nicht weglächeln". Bayern müsse hier "vorangehen". Die Freien Wähler wollten sich "keine Denkverbote verpassen lassen, was man in Bezug auf Flüchtlinge alles nicht sagen dürfe und wie toll man all diese illegale Migration finden müsse, was der Bürger ganz anders sieht".

Der Umgang mit der AfD, der Umgang untereinander: CSU und Freie Wähler haben kurz nach der Wahl klargemacht, wie sie sich die kommenden Wochen vorstellen. Und Muskelspiele gehören vor Koalitionsverhandlungen dazu.

Aber jetzt dürfte auch klar sein: So reibungslos wie 2018 dürften die beiden Partner dieses Mal nicht zusammenfinden. Das Kräftemessen zwischen Söder und Aiwanger hat gerade erst begonnen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 10. Oktober 2023 um 08:34 Uhr.