Bundespolitische Folgen Fünf Erkenntnisse aus der Bremen-Wahl
Die SPD gewinnt laut Hochrechnung ihr rotes Stammland Bremen - der Rückenwind wird aber kaum bis Hessen oder Bayern tragen. Die Linke macht's "besser ohne". Wer Protest wählen will, braucht nicht unbedingt die AfD. Fünf Erkenntnisse.
Die SPD kann noch gewinnen
Der "Bovi-Triumph" kommt der Kanzlerpartei gerade recht. Andreas Bovenschulte - der Zwei-Meter-Mann aus dem kleinsten Bundesland - hat dafür gesorgt, dass man im Willy-Brandt-Haus mal wieder einen Wahlabend zum Feiern hatte und "saustolz" (Kevin Kühnert) auf die Bremer Genossen war. Der Erfolg hilft auch dabei, den jüngsten Misserfolg der Hauptstadt-SPD vergessen zu machen.
Berlin verloren, Bremen gewonnen. Zumindest im kleinsten Bundesland hält also die Serie jahrzehntelanger SPD-Regierungen, wenn auch das Wahlergebnis im Stammland Bremen nicht an die glanzvollen Zeiten der Vergangenheit anknüpfen konnte. Aber es hätte ja auch schlimmer ausgehen können, siehe 2019, als man die Macht nur als zweiter Sieger gerade so eben verteidigen konnte.
Im Bremer Wahlkampf ging es nicht um Bundespolitik, Kanzler Olaf Scholz wird nach Daten von Infratest dimap von vielen Wahlberechtigten eher kritisch gesehen - Bovenschulte hat also dank seines starken "Personenbonus" gewonnen. Hier zeigt sich einmal mehr, wie stark es bei Wahlen inzwischen auf Personen ankommt. Beliebte Amtsinhaber profitieren vom Amtsbonus, unbeliebte werden abgestraft. Zuletzt musste das Franziska Giffey erleben.
Für die Kanzlerpartei heißt das alles: erstmal nicht viel. Der Bremer Wahlsieg hatte lokale Gründe, der "Rückenwind", den Parteichef Lars Klingbeil nun ausmachen will, dürfte kaum bis nach Hessen oder Bayern tragen. Dort wird im Herbst gewählt. Zudem "feiert" die Ampel dann Halbzeit.
In der Ampel flackert es blassgrün
Die Grünen haben schon bessere Zeiten erlebt. Auch bessere Wahlabende. "Wir haben von der Bundesebene sicher keinen Rückenwind gegeben, es gab sicher auch Gründe hier", sagte ein zerknirschter Parteichef Omid Nouripour.
Nun ist es nicht das erste schlechte Wahlergebnis für die Grünen seit Bestehen der Ampelkoalition im Bund, auch bei der Wiederholungswahl in Berlin ging es bergab und sogar aus der Regierung. Aber das traditionell eher linke Bremen war eigentlich immer ein ganz gutes Pflaster für die Grünen. Hier schnitten sie oft über dem Bundestrend ab - diesmal jedoch nicht. Das lag ganz erheblich auch an der schwachen Spitzenkandidatin vor Ort - aber sicherlich nicht nur. Vorzeige-Minister Robert Habeck und dessen Heizungspläne stehen seit Wochen in der Kritik - munter befeuert vom Koalitionspartner FDP. Hinzu kommen Vorwürfe der Vetternwirtschaft im Wirtschaftsministerium - munter befeuert von der Opposition.
Die Grünen sehen sich zunehmend in der Defensive, kämpfen gegen das Image der "Verbotspartei" und wollen auch nicht auf ihr Kernthema Klimaschutz reduziert werden. Dass die Stimmung in der Ampel nach diesem Wahlabend besser wird, darf bezweifelt werden. Dabei wollte man doch künftig weniger streiten.
FDP kann vorsichtig aufatmen
Zum Eindruck einer dauerstreitenden Ampelkoalition hat die FDP zuletzt erheblich beigetragen. Nach Wahlniederlagen in Serie fuhr sie einen strammen Profilierungskurs - vornehmlich gegen die Grünen. In Bremen sieht es so aus, als würde sie nicht aus dem Parlament fliegen.
Dass sie deswegen aber weniger konfrontativ in der Ampelkoalition auftritt, ist unwahrscheinlich. Aus FDP-Sicht ist man längst nicht "übern Berg", im jüngsten DeutschlandTrend ist die FDP weiter gefährlich nah an der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Grund für die eigene Schwäche: die Grünen. Die FDP werde "in Mithaftung" genommen für eine Politik der Grünen, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Das deutet nicht auf ruhigere Zeiten in der Ampel hin.
Die Linke - besser ohne die Bundespartei
Die Bremer Linkspartei hat sich komplett abgekoppelt von der Bundespartei und auf maximale Distanz gesetzt. Das Rezept "Besser ohne" ging auf. Die Linke in Bremen kann auf vier erfolgreiche Mitregierungsjahre verweisen, in denen sich ihre beiden Senatorinnen parteiübergreifend Anerkennung erarbeitet haben.
Kein Wunder, dass man sich das nicht vom Endlosstreit um Sahra Wagenknecht oder jegliche andere parteischädigende Selbstbeschäftigung kaputtmachen lassen wollte. Das "großartige Ergebnis" in Bremen gebe der Partei Rückenwind für kommende Wahlen, sagte Parteichef Martin Schirdewan aus dem fernen Berlin. Was soll er auch sonst sagen?
Protestwähler brauchen keine AfD
Der Erfolg der rechtspopulistischen Wählervereinigung "Bürger in Wut" (BIW) zeigt: Nicht nur die AfD ist in der Lage, aus Unzufriedenheit bei Wahlen Kapital zu schlagen. Dass es die BIW auf Protestwähler abgesehen hat, ist kein Geheimnis: Der Bundesvorsitzende und Bremerhavener Spitzenkandidat Jan Timke bezeichnet die BIW freimütig als "Sammelbecken für Unzufriedene".
Auch wenn es für die AfD ein bitterer Tag ist, weil ihr Landesverband nicht in der Lage war, in Bremen eine gültige Kandidatenliste aufzustellen, kann sie sich bestärkt fühlen. Denn die Erkenntnis aus dem Erfolg der BIW könnte sein: Wer es schafft, eine vehemente Gegenhaltung rechts der Mitte einzunehmen, wird zuverlässig mit einer beträchtlichen Zahl Wählerstimmen belohnt. Die AfD hat das in den vergangenen Jahren vor allem bei den Themen Migration, Klima und Corona konsequent umgesetzt. Rechtsradikale in der Partei und eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz tun dem keinen Abbruch.
Demnächst will BIW sich mit der neuen Kleinpartei Bündnis Deutschland zusammenschließen, von der sie bei der Bürgerschaftswahl bereits unterstützt wurde. Gemeinsam solle der "Aufbau in ganz Deutschland" vorangetrieben werden, sagte Timke in der ARD. Ob daraus ernsthaft eine Konkurrenz für die AfD erwächst, wird sich zeigen.