SPD und der Mindestlohn Denkbares und Machbares
SPD-Parteichef Klingbeil hat eine Anhebung des Mindestlohns auf bis zu 14 Euro ins Spiel gebracht. Kanzler Scholz aber will an der Empfehlung durch eine Kommission festhalten. Die Opposition wittert Wahlkampfmanöver.
Da ist ein SPD-Chef, der für eine deutliche Anhebung des Mindestlohns wirbt. Und da ist ein SPD-Kanzler, der klar macht, am Verfahren wird dennoch nicht gerüttelt. Wie passt das zusammen?
Parteichef Lars Klingbeil will eine ordentliche Erhöhung. Er spricht von 13,50 Euro oder gar von 14 Euro. Das ist erheblich mehr, als die eigentlich zuständige Kommission berechnet und mehrheitlich vorgeschlagen hat.
"Mir geht es darum, klarzumachen, dass uns als SPD nicht reicht, was da in der letzten Woche entschieden wurde." Mit diesen Worten bekräftigt Klingbeil heute noch einmal, was er schon im Zeitungsinterview am Wochenende angestoßen hat. Dabei ist nicht die Regierung, schon gar nicht der SPD-Chef zuständig, sondern die sogenannte Mindestlohnkommission. Die hat zuletzt zwei Erhöhungen vorgeschlagen - aber nur um jeweils 41 Cent. Damit bleibt der Mindestlohn bis Ende 2025 unter 13 Euro.
Von Schlägen und Frechheiten
Mager nennt das die Linke, das sei noch nicht einmal ein Inflationsausgleich. Wirklich "eine Frechheit", so formuliert es Linken-Vorsitzende Janine Wissler. Von einem Schlag ins Gesicht der Beschäftigten spricht der Deutsche Gewerkschaftsbund. Der Kanzler - wie so häufig - ist zurückhaltender: "Klar ist, dass wir alle ein wenig enttäuscht sind von dem konkreten Vorschlag", sagt Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview.
Im vergangenen Wahlkampf hatte die SPD mit dem Slogan "Respekt" geworben - und für einen Mindestlohn von zwölf Euro. Vergangenen Oktober hat die Regierung den eingeführt und damit die Mindestlohnkommission umgangen. Scholz macht im ARD-Sommerinterview trotz der Enttäuschung aber auch deutlich: Diesmal werde die Regierung nicht eingreifen. Es bleibe beim jahrelang eingeübten Vorgehen. Die Kommission schlägt also vor, die Regierung - aktuell mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil - setzt um. "Und natürlich werden wir uns - das hat auch Herr Klingbeil gesagt - an diese Regeln halten."
FDP: Eingriff darf und soll sich nicht wiederholen
Dieser "Herr Klingbeil" beteuert heute, "dass wir die Arbeit der Mindestlohnkommission ernst nehmen, da rüttle ich auch gar nicht dran". So wirkt der Aufschlag vom Wochenende nach Arbeitsteilung: Der SPD-Chef vertritt die reine sozialdemokratische Lehre, der SPD-Kanzler das in der Ampel Machbare.
Und ein nochmaliger Eingriff ist mit den Liberalen nicht drin, das macht FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai deutlich. Aus seiner Sicht wäre es "falsch und ein großer Fehler", wenn die Politik sich in die Festlegung der Löhne einmischen würde. Für Djir-Sarai war das Vorgehen im vergangenen Jahr einmalig: "Das darf sich nicht und das soll sich auch nicht wiederholen."
Warnung vor Überbietungswettbewerb
Nicht nur Berlin debattiert über einen angemessenen Mindestlohn. Auch Brüssel hat sich damit befasst - und vergangenen Oktober die "Richtlinie über angemessene Mindestlöhne" beschlossen. Die EU-Staaten sollen sie bis zum Herbst 2024 in nationales Recht umsetzen. Darauf verweist auch Klingbeil bei seinem Einsatz für "angemessene Löhne". Und er verweist zugleich auf Berechnungen, wonach der Mindestlohn dann erheblich angehoben werden müsste.
Allerdings schreibt die Europäische Union kein bestimmtes Lohnniveau vor. CSU-Politiker Stephan Stracke, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, spricht deshalb "nur von einer Empfehlung" und warnt vor einem "politischen Überbietungswettbewerb". In einer Zeit hoher Inflation aber andererseits auch einer schwachen Wirtschaft gehe es um eine "Gesamtschau" der Entwicklung.
Wahlkampf-Vorzeichen?
Mehr Mindestlohn - in dieser Forderung Klingbeils steckt für CSU-Politiker Stracke bereits der nächste Wahlkampf drin. Da die SPD mit ihrer Wahlkampagne für zwölf Euro Mindestlohn im vergangenen Wahlkampf erfolgreich war, werde sich die Partei das auch bei der nächsten Bundestagswahl 2025 wieder zunutze machen, sozusagen "als Blaupause" sagt er dem ARD-Hauptstadtstudio.
Klingbeil beschreibt es etwas anders. Die SPD werde klar machen, sagt er, wofür sie als Partei stehe. "Das ist dann auch kein Widerspruch zur Regierungspolitik, das ist eine andere Rollenverteilung." Demnach wäre die eine Rolle die des pragmatischen Kanzlers, der andere die des programmatischen Parteichefs.