Expertenanhörung im Bundestag Nachtragsetat 2023 wohl verfassungsgemäß
Nachdem das Verfassungsgericht die Finanzierung von Sondervermögen für grundgesetzwidrig erklärt hat, muss die Regierung einen Nachtragshaushalt vorlegen. Im Haushaltsausschuss wurden heute Experten zum Etatentwurf befragt.
Der Nachtragshaushalt für das auslaufende Jahr liegt auf dem Tisch - aber ist er auch verfassungsfest? Bundesfinanzminister Christian Lindner ist sich sicher: "Die ganz überwiegende Zahl der Sachverständigen, die sich jetzt geäußert haben zum Nachtragshaushalt 2023, bestätigen den Weg."
Tatsächlich hat sich eine Mehrheit der Experten, die sich im Haushaltsausschuss zum Nachtragsetat äußerten, hinter die Vorlage der Bundesregierung gestellt. Für den Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele ist es sogar alternativlos, für 2023 eine Notlage zu festzustellen. Nach dem Urteil der Verfassungsrichter zur grundgesetzwidrigen Finanzierung von Sondervermögen habe die Ampel keine andere Wahl. "Nach den rückwirkend entfallenden Kreditermächtigungen ist ausnahmsweise auch die rückwirkende Erklärung dieser Notlage zulässig", so Thiele. "Insofern teile ich umfassend die Auffassung, dass dieser Nachtragshaushalt nicht nur verfassungsgemäß, sondern nachgerade verfassungsnotwendig ist."
Rechtliche Risiken
Der Ukrainekrieg und die Folgen der Ahrtalflut: Auch für den Heidelberger Finanzrechtsprofessor Hanno Kube sind die genannten Gründe für die nachträglich erklärte Haushaltsnotlage nachvollziehbar. Im Etatentwurf des Bundesfinanzministers erkennt Kube dennoch ein paar rechtliche Risiken. "Es gibt einzelne Begründungselemente, die nicht tragfähig sind", so Kube. "Die sich beziehen auf dauerhafte Finanzierungserfordernisse, die sich beziehen auf Wachstum und damit auf die Konjunkturkomponente. Aber im Ganzen halte ich aus verfassungsrechtlicher Sicht die Begründung für vertretbar."
Grundsätzliche Kritik an der Systematik des Nachtragsetats übt dagegen der Bundesrechnungshof. Jetzt am Jahresende noch eine Notlage zu konstatieren, sei rechtlich bedenklich, mahnen die Haushaltsprüfer. Und bei der Frage, wie hoch die Nettokreditaufnahme ausfalle, rechne die Regierung den Finanzbedarf mehrerer Sondervermögen nicht mit ein, stellt der Rechnungshof fest. Das sei so nicht korrekt.
Finanzierungslücke deutlich höher?
Auch der Volkswirtschaftsprofessor Fritz Söllner kommt zu dem Ergebnis, dass die Finanzierungslücke deutlich höher ausfällt als von der Bundesregierung angegeben: "Der Nachtragshaushalt ist meiner Meinung nach nicht verfassungsgemäß und entspricht auch nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, da die tatsächliche Verschuldung viel zu niedrig ausgewiesen ist."
Tatsächlich liege der Fehlbetrag statt bei 70 Milliarden eher bei knapp 130 Milliarden Euro, rechnet Söllner vor. Auch die übliche Praxis, wann das Finanzministerium aufgenommene Kredite zeitlich verbucht, bleibt unter den Experten umstritten.
In der kommenden Woche will der Bundestag den Nachtragshaushalt beschließen. Zunächst offen bleibt dagegen, wann der aktualisierte Etat für das kommende Jahr das Parlament erreicht. In dessen Finanzierung klaffen weitere Milliardenlücken.