Milliardenloch nach Urteil Wie es mit dem Haushalt jetzt weitergeht
Das Karlsruher Urteil zum Nachtragshaushalt 2021 zieht weitere Kreise: Die für morgen geplante Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist abgesagt. Die Bundesregierung sucht weiter nach Lösungen. Wie geht es jetzt weiter?
Die Ausgangslage
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind der Ampelregierung Teile ihrer Finanzplanung weggebrochen. Das Verfassungsgericht hatte die Umwidmung von Geldern im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Daraus wird nun nichts und die Frage, wie die so entstandene Lücke gestopft werden soll, ist offen.
Ebenso offen ist, wann der Etat für das kommende Jahr beschlossen wird. Eigentlich sollte der Haushaltsausschuss ihn an diesem Donnerstag billigen, im Bundestag sollte er am 1. Dezember beschlossen werden. Dazu wird es aber nun nicht kommen.
Wie viel Geld fehlt sicher?
Konkret für nichtig erklärt wurde das zweite Nachtragshaushaltgesetz 2021. Das heißt: Die in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgebuchten 60 Milliarden Euro stehen nicht zur Verfügung. Das ist ein wesentlicher Teil des Fonds, insgesamt sollte er bis 2027 211,8 Milliarden Euro beinhalten. Welche Klimamaßnahmen nun verschoben, anders finanziert oder gar gestrichen werden müssen, ist noch unklar.
Die Auswirkungen des Urteils sind aber noch größer: Die Richter entschieden auch, dass der Staat sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen darf. Stattdessen müsse eine Notlage jedes Jahr neu erklärt werden. Die Bundesregierung prüft nun auch Auswirkungen des Urteils auf andere Teile ihrer Finanzpolitik. Darüber, dass weitere Sondervermögen betroffen sein könnten, herrscht bei Politikern und Sachverständigen aber weitgehend Einigkeit.
Was, wenn auch der "Doppelwumms" betroffen ist?
Ähnlich wie der vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Klima- und Transformationsfonds wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) quasi mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. Der Bund bewilligte im Jahr 2022 Kredite in Höhe von 200 Milliarden Euro, um die hohen Strom-, Gas- und Fernwärmepreise abzufedern. Das konnte er, weil die Schuldenbremse durch die Notlage Corona und Ukraine-Krieg in diesem Jahr ausgesetzt war. Das Geld sollte aber nicht nur 2022, sondern auch 2023 und 2024 genutzt werden.
Der WSF könnte also noch viel problematischer sein als die Klima-Milliarden, denn allein in diesem Jahr wurden nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium 67 Milliarden Euro an WSF-Krediten ausgezahlt. Rund 103 Milliarden hätten nach den Plänen des Finanzministeriums ins kommende Jahr übertragen werden sollen.
Was bedeutet das jetzt für den Haushalt?
Die Ampelkoalition konnte bisher mit Nebenhaushalten zusätzliches Geld ausgeben und dennoch die Schuldenbremse einhalten. Nach dem Karlsruher Urteil funktioniert das aber nicht mehr. Nach Auffassung der Sachverständigen und auch des Finanzministeriums hat der Bund im laufenden Jahr also Geld ausgegeben, das ihm gar nicht zur Verfügung stand.
Vor diesem Hintergrund wurde die für morgen geplante Bereinigungssitzung für den Haushalt 2024 abgesagt. Die letzte Sitzungswoche des Bundestages ist vom 11. bis 15. Dezember. Der Haushalt könnte also noch in diesem Jahr beschlossen werden. Ob das so passiert, ist unklar. Mit Fristverkürzung im Bundesrat wäre ein Beschluss theoretisch aber noch möglich.
Welche Sondervermögen hat der Bund insgesamt?
Einer Aufstellung des Bundesrechnungshofs zufolge unterhält der Bund aktuell 29 Sondervermögen. Diese Nebenhaushalte sind keine Erfindung der Ampelregierung: Das älteste stammt aus dem Jahr 1951 und förderte den Bau von Wohnungen für Bergarbeiter. Es gibt zum Beispiel auch Fonds zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben, einen Binnenschifffahrtsfonds, ein Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen und eins für digitale Infrastruktur.
Die neuesten Sondervermögen sind Wirtschaftshilfen wegen der Corona-Krise, Aufbauhilfen für Flutopfer, der 100 Milliarden Euro schwere Sondertopf für die Bundeswehr und der Topf für die Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Könnten alle vom Karlsruher Urteil betroffen sein?
Nein - und das aus mehreren Gründen. Zum einen äußerte sich das Bundesverfassungsgericht nur zu schuldenfinanzierten Sondervermögen. Es gibt aber auch Töpfe, die sich durch eigene Einnahmen finanzieren. Ein Beispiel ist das sogenannte ERP-Sondervermögen, das ursprünglich mit Mitteln aus dem Marshall-Plan ausgestattet wurde.
Laut Rechnungshof ist aber der überwiegende Teil der Sondervermögen kreditfinanziert - Ende 2022 gab es demnach noch ein Verschuldungspotenzial von rund 522 Milliarden Euro. Ausgenommen vom Haushaltsurteil dürften im Grunde auch solche Sondervermögen sein, die vor Einführung der Schuldenbremse entstanden. Denn Artikel 143d des Grundgesetzes regelt, dass nur Kreditermächtigungen für die Schuldenbremse angerechnet werden, die nach 2010 bewilligt wurden.
Was ist mit dem Geld für die Bundeswehr?
Auch das ist nach bisheriger Auffassung in der Ampelkoalition nicht betroffen. Grund ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankerte. Mit Zustimmung der Union wurde in der Verfassung nicht nur festgeschrieben, wofür das Geld genutzt werden darf, sondern auch, dass die Schuldenbremse hier nicht greift. Darauf hatte besonders die FDP bestanden, um die Mittel gut abzusichern.
Was passiert nun?
In der Regierung heißt es, es herrsche Zuversicht. Es werde mit Hochdruck an einer guten Lösung gearbeitet. Nur wie wird sie aussehen? Neben verschiedener Vorschläge zu Einsparungen im Haushalt wird offenbar erwogen, noch schnell eine Notlage für 2023 zu erklären.
Ein solcher Beschluss macht es möglich, eine Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu nutzen und die bereits ausgegebenen Kredite nachträglich zu rechtfertigen. Denn: Nach Artikel 115 des Grundgesetzes darf der Staat Schulden machen "im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen". Ob eine solche Situation vorliegt, ist umstritten. Die Gefahr wäre also eine erneute und womöglich erfolgreiche Klage in Karlsruhe.
Bei anderen Lösungsvorschlägen wie einem Klima-Sondervermögen oder einer Reform der Schuldenbremse bräuchte die Ampelkoalition eine Zwei-Drittel-Mehrheit, beides berührt das Grundgesetz. Der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) machte aber bereits klar: Auf Stimmen der Union braucht die Regierung hier nicht zu hoffen.