Wahl in Nordrhein-Westfalen CDU klar vor SPD, Grüne stark, FDP knapp drin
Die CDU bleibt klar stärkste Partei in NRW. Ob sie auch weiterregiert, ist offen. Die SPD fällt unter 30 Prozent. Die Grünen verdreifachen ihr Ergebnis von 2017. FDP und AfD sind knapp über der Fünf-Prozent-Hürde.
In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich ein spannender Wahlabend ab. Laut Hochrechnung von Infratest dimap kommt die CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst auf 35,7 Prozent und führt damit relativ deutlich vor der SPD. Damit hat sie gute Chancen, auch weiterhin eine neue Regierung in NRW anzuführen, aber sicher ist das nicht. Auf jeden Fall braucht sie neue Koalitionspartner.
Wüst hatte das Amt des Regierungschefs in der schwarz-gelben Landesregierung vor einem halben Jahr von Armin Laschet übernommen und musste sich nun nach kurzer Amtszeit erstmals einer Landtagswahl stellen. Mit einem Amtsbonus konnte der 46-Jährige kaum rechnen. Im CDU-Wahlkampf ging es daher vor allem darum, Wüst bekannter im Land zu machen - und ihn von der latenten Unzufriedenheit mit der alten Laschet-Landesregierung abzukoppeln. Inhaltlich wurde der Wahlkampf von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs dominiert.
In einer ersten Reaktion vor jubelnden Anhängern sprach Wüst von einem klaren Führungs- und Regierungsauftrag für seine Partei. "Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat diese Wahl klar gewonnen."
SPD unter 30-Prozent-Marke
Die SPD muss Verluste hinnehmen und kommt nur noch auf 26,7 Prozent. Damit unterbieten die Sozialdemokraten um Herausforderer Thomas Kutschaty noch einmal ihren Negativrekord von 2017 (31,2 Prozent), bleiben aber zweitstärkste politische Kraft im Land. Der Abstand zur CDU ist größer als erwartet - und doch hat die SPD weiter Chancen auf die Staatskanzlei in Düsseldorf. Auch Kutschaty litt unter eher mäßigen Bekanntheits- und Zustimmungswerten, Schubkraft für seine SPD konnte der 53-Jährige kaum entwickeln. Im Wahlkampf setzte er auf klassische SPD-Themen und zuletzt auch auf Kanzler Olaf Scholz.
Das Ergebnis liege unter unseren Erwartungen, räumte Kutschaty am Abend in der ARD ein. Ein Wahlziel jedoch habe die SPD erreicht: die Abwahl der schwarz-gelben Regierung.
Grüne gewinnen deutlich hinzu
Als klarer Wahlsieger in NRW können sich die Grünen fühlen. Ohne sie dürfte wohl keine Regierung in NRW gebildet werden können. Die Partei kann ihr Ergebnis von 2017 verdreifachen und erreicht nun 18,2 Prozent. Auch die NRW-Grünen hatten mit Spitzenkandidatin Mona Neubaur keine sonderlich zugkräftige Nummer 1, doch profitierten sie von relativ hohen Kompetenzgewinnen auch bei nicht-grünen Kernthemen sowie von ihrem stark auftretenden Personal in der Berliner Ampel-Regierung. Die hohen Zustimmungswerte für Robert Habeck und Annalena Baerbock und das positive Momentum auch nach der SH-Wahl dürften in NRW zum grünen Rekordergebnis beigetragen haben.
Spitzenkandidatin Neubaur sprach in einer ersten Reaktion von einem "Vertrauensvorschuss". Die NRW-Grünen wollten nun endlich Politik "auf Höhe der Zeit" machen.
FDP knapp über Fünf-Prozent-Hürde
Die FDP erlebt nur eine Woche nach der Enttäuschung in Schleswig-Holstein erneut einen ganz bitteren Abend. In NRW stürzt sie ab auf 5,9 Prozent und muss nun sogar um den Einzug in den Landtag bangen. Vor fünf Jahren war sie noch zweistellig und regierte seitdem zusammen mit der CDU. Doch anders als ihr damaliger Spitzenkandidat Christian Lindner konnte Minister und Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp keine wirkliche Zugkraft entwickeln. Als Teil der Landesregierung gelang es der Partei nicht, sich zu profilieren, im Gegenteil. Das FDP-geführte Bildungsministerium zog wiederholt massive Kritik auf sich.
Von einer bitteren Niederlage sprach Spitzenkandidat Stamp. "Es ist völlig klar, dass wir hier so nicht zur Tagesordnung übergehen können."
Die AfD schafft offenbar knapp den Wiedereinzug in den Landtag Sie liegt derzeit bei 5,4 Prozent. Vor fünf Jahren schnitt sie mit 7,4 Prozent stärker ab. Angetreten war sie mit Markus Wagner als Spitzenkandidat.
Die Linkspartei scheitert erneut an der Fünf-Prozent-Hürde.
Wer regiert künftig?
Wer NRW künftig regiert, ist offen. Auch, ob es zu einem Machtwechsel in der Staatskanzlei kommt, ist unklar. Sicher ist nur, dass die bisherige schwarz-gelbe Landesregierung nicht weitermachen kann. Möglich sind verschiedene Koalitionen unter CDU- oder unter SPD-Führung. Viel wird von den Grünen abhängen, sie dürften letztlich entscheiden, wer Ministerpräsident wird. Viel hängt auch davon ab, ob FDP und AfD den Wiedereinzug in den Landtag schaffen. Und daran hängt auch die Frage, ob es für ein rot-grünes Bündnis reichen könnte. Derzeit sieht es nicht danach aus, da FDP und AfD knapp über der Fünf-Prozent-Hürde liegen.
Eine weitere Zweier-Konstellation wäre eine Koalition der CDU mit den Grünen. Sollte die FDP über der Fünf-Prozent-Hürde liegen, sind als Dreier-Bündnisse eine Ampel wie im Bund (SPD, Grüne, FDP) oder Jamaika, wie zuletzt in Schleswig-Holstein (CDU, Grüne, FDP) möglich. Eine Große Koalition wäre rechnerisch auch möglich, ist aber politisch nicht gewollt. Als stärkste Kraft kann die CDU und Ministerpräsident Wüst Anspruch auf die Regierungsbildung erheben.
Erster wirklicher Stimmungstest für Bundesparteien
Die Wahl in NRW hat auch Auswirkungen auf die Bundesparteien. Mögen die Abstimmungen im Saarland und Schleswig-Holstein noch Regionalereignisse gewesen sein, die von zwei beliebten Spitzenkandidaten entschieden wurden, gilt NRW mit seinen mehr als 13 Millionen Wahlberechtigten als erster wirklicher Stimmungstest seit dem Machtwechsel im Bund vor fünf Monaten.
CDU- und Oppositionschef Friedrich Merz braucht die Macht am Rhein, um seine Position in der Partei zu festigen. Für die SPD und Kanzler Olaf Scholz wäre hingegen die Rückeroberung der Staatskanzlei in ihrem einstigen Stammland ein Triumph - und eine Bestätigung ihrer Regierungsarbeit, insbesondere des Ukraine-Kurses. Generalsekretär Kevin Kühnert plädierte am Abend trotz des schwachen SPD-Abschneidens für Gespräche mit den Grünen. Das historisch schlechte SPD-Ergebnis kann aber auf jeden Fall als herber Dämpfer für Scholz gewertet werden, zumal er sich stark im NRW-Wahlkampf engagiert hatte.
Die Grünen feiern den zweiten Wahlerfolg in Serie, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen werden sie mitregieren. Das stärkt naturgemäß auch ihre Rolle in der Ampel, wo die Minister Habeck und Baerbock schon jetzt prägend sind.
Und die FDP um Christian Lindner könnte vor einer Kurs- und Personaldebatte stehen. Vermutlich stehen auch der Ampel in Berlin unruhige Zeiten bevor. In NRW auf jeden Fall.