Marschflugkörper für Ukraine Scharfe Kritik an möglichem "Taurus"-Ringtausch
Der Kanzler will keine "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Einen Ringtausch mit Großbritannien halten Politiker von Union, Grünen und FDP aber für keine gute Lösung: Der Ersatz wäre nicht "gleichwertig".
Politiker von Grünen, FDP und CDU halten wenig von der Idee, über einen Ringtausch mit Großbritannien der Ukraine weitere Marschflugkörper zu liefern. Die Überlegungen zeigten "exemplarisch die Schwäche" von Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Unterstützung der Ukraine, sagte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter der Nachrichtenagentur dpa. Die Botschaft sei: "Großbritannien kann liefern, aber Deutschland nicht."
Ein Ringtausch wäre zwar besser als gar nichts, sagte Hofreiter. Aber das deutsche "Taurus"-System sei deutlich besser als die Waffensysteme der Verbündeten, weil es durch elektronische Kriegsführung kaum gestört werden könne, betonte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags.
"Ein Zeichen mangelnden Vertrauens"
Auch für die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ist ein Ringtausch keine gute Lösung. "Die Ukraine braucht 'Taurus', und zwar sofort", sagte die FDP-Politikerin dem Handelsblatt. Der Sinn eines Ringtauschs erschließe sich ihr nicht. "Dann ist 'Taurus' für die Bundeswehr nicht mehr vorhanden und die Ukraine hat trotzdem keine. "'Storm Shadow' ist kein gleichwertiger Ersatz. Insofern ist der Vorschlag untauglich."
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte der Nachrichtenagentur dpa, ein solcher Ringtausch wäre "peinlich" für Deutschland und widerspreche einem deutschen Führungsanspruch in Europa. "Außerdem ist es ein Zeichen mangelnden Vertrauens in die Ukraine, wenn Deutschland dem Angebot nachkommt", betonte er. "Deshalb sollte Deutschland endlich direkt liefern, denn die Unterstützung der Ukraine auch mit 'Taurus' dient unserer eigenen Sicherheit, verhindert Massenflucht und eine Ausweitung des Krieges."
Offerte liegt offenbar seit Wochen vor
Zuvor war in Medienberichten bekannt geworden, dass Großbritannien offenbar Deutschland einen Ausweg aus der verfahrenen Debatte um Lieferungen des Marschflugkörpers "Taurus" an die Ukraine anbot.
Die Bundesregierung könne "Taurus" nach Großbritannien exportieren, die Regierung in London würde im Gegenzug Marschflugkörper vom Typ "Storm Shadow" an die Ukraine liefern, berichtete das "Handelsblatt" am Mittwoch unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsmitarbeiter. Die britische Offerte liegt demnach seit ein paar Wochen vor. Nach dpa-Informationen wäre auch Frankreich ein denkbarer Tauschpartner.
Briten und Franzosen liefern bereits "Storm Shadow"
Bei der Bundesregierung hieß es auf Anfrage, man kommentiere den Bericht nicht. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete allerdings, dass die Bundesregierung einem solchen Ringtausch aufgeschlossen gegenüber stehe. Man sei mit London demnach im Gespräch.
Großbritannien und Frankreich liefern der Ukraine bereits seit langem Marschflugkörper der praktisch identischen Typen "Storm Shadow" und "Scalp". Diese gelten aber als nicht so präzise und leistungsstark wie "Taurus".
Der französische Verteidigungsminister Sébastian Lecornu kündigte erst vor wenigen Tagen die Lieferung weiterer 40 "Scalp"-Marschflugkörper an. Frankreich soll knapp 400 davon haben. Der "Taurus"-Bestand der Bundeswehr liegt nach Expertenschätzung bei etwa 500.
Anfrage der Ukraine um Frühjahr 2023
Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um "Taurus"-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen. Bundeskanzler Scholz hatte sich Anfang Oktober vorerst gegen eine Lieferung entschieden.
Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Beschuss russischen Territoriums mit den deutschen Raketen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führt und Deutschland mit hineingezogen wird. Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in "Taurus"-Reichweite.