Umgang mit Aserbaidschan Eine härtere Gangart, um Schlimmeres zu verhindern
Sanktionen verhängen ohne sich selbst zu schaden - dieses Problem stellt sich bei einigen autoritär geführten Rohstoffstaaten. Aserbaidschan kam trotz Vertreibung Zehntausender Armenier bislang ohne Strafmaßnahmen davon.
Bald zwei Monate liegt die Einnahme Bergkarabachs durch aserbaidschanische Truppen zurück. Mehr als 100.000 Armenier aus der Region versuchen nun, in Armenien Fuß zu fassen. Für das kleine Land mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern ist dies eine enorme Herausforderung. "Es ist, als kämen 2,5 bis drei Millionen Geflüchtete nach Deutschland", beschreibt SPD-Außenpolitiker Michael Roth das Zahlenverhältnis. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag war gerade in Armenien unterwegs.
Dort gibt es nicht nur die Sorge, dass man zwischen dem Nahostkonflikt und dem Krieg gegen die Ukraine vergessen wird. Es herrscht auch immer noch Angst davor, dass der Nachbar Aserbaidschan auf armenisches Territorium vordringen könnte, um einen Korridor zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan und damit eine Landverbindung in die Türkei zu schaffen.
Zwar erklärte die Führung in Baku inzwischen, dass dieser Korridor nicht mehr nötig sei, weil man sich mit dem südlichen Nachbarn Iran auf eine alternative Verkehrsverbindung geeinigt habe. Doch auch die militärische Einnahme Bergkarabachs hatte Präsident Ilham Alijew in Gesprächen mit hochrangigen Staatsvertretern ausgeschlossen - und dann doch den Befehl gegeben, nachdem nach vorherigen militärischen Vorstößen keine Strafmaßnahmen erfolgt waren.
"Politik des Selbstbewusstseins"
Roth kritisiert, dass sich die EU-Staaten nicht darauf einigen können, "eine härtere Gangart gegenüber dem Aggressor Aserbaidschan zu fahren, beispielsweise auch durch die konkrete Androhung von Sanktionen". Er könne sich nicht vorstellen, die Energiebeziehungen auszubauen.
"Man darf nicht ein autoritäres Regime auch noch belohnen dafür, dass es eine ethnische Säuberung vollzogen hat", so Roth. "Monatelang wurde die Bevölkerung in Bergkarabach ausgehungert und dann hat man zu militärischer Gewalt gegriffen mit dem Argument, wieder für Sicherheit und Ordnung zu sorgen." Niemand könne einen Angriff auf armenisches Territorium im Schatten der beiden "Mega-Krisen" in Nahost und der Ukraine ausschließen.
Roth fordert von der EU, gegenüber Aserbaidschan mit Selbstbewusstsein aufzutreten.
Russlands Krieg gegen die Ukraine war der Anlass für die EU, 2022 die Energiepartnerschaft einzugehen. Zwar trägt Aserbaidschan kaum drei Prozent zu den Gasimporten in die EU bei. Für Italien, Ungarn, Rumänien oder auch Bulgarien spielen sie dennoch eine wichtige Rolle.
Roth fordert, die Energiebeziehungen auf ein breites Fundament zu stellen und den EU-Partnern zu helfen, Alternativen zu Aserbaidschan zu finden. Und er betont: "Wir sollten eine Politik des Selbstbewusstseins fahren, die brauchen uns ja auch." Der europäische Markt sei für Aserbaidschan hoch attraktiv.
Strategische Kultur gefordert
Auch der CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter spricht von smarten Ansätzen gegenüber Autokratien, zu denen es keine Verbindungen zum Beispiel durch Mitgliedschaft in Allianzen regelbasierter Staaten gibt. Er spricht von wirtschaftlicher, militärischer und hybrider Abschreckung.
In Frage käme eine Vielzahl von Maßnahmen: Sanktionen gegen Personen, Organisationen und Firmen, Exportverbote, internationale Strafverfolgung, Visabeschränkungen, Einschränkung von Entwicklungszusammenarbeit oder Einfrieren von Finanzmitteln, Suspendierung aus internationalen Organisationen, Ausweisung von Botschaftspersonal oder auch das Einstellen von Importen.
Kiesewetter plädiert außerdem für strategisch vorausschauendes Handeln, um die eigene Verwundbarkeit und die der Verbündeten angesichts von Abhängigkeiten wie im Falle südeuropäischer Staaten von Gas aus Aserbaidschan überwinden zu können. Dazu zählten resilientere Strukturen bis hin zu einer strategischen Kultur. "Da Deutschland all dies nicht oder zu wenig hat und die Regierung bislang keine einheitliche Haltung zu diesen Fragen zeigt, gab es auch bis auf Appelle keine Konsequenzen. Eine Musterlösung gibt es aber in der Regel nicht. Die hätte keine Regierungskonstellation."
Im Fall der Aggression Aserbaidschans habe sich die EU durch Nicht-Handeln unglaubwürdig gemacht, kritisiert Kiesewetter.
Wehrhaftigkeit Armeniens stärken
Armenien setzt nun auf eigene Stärke und hofft auf die Unterstützung Verbündeter. Dazu zählt Frankreich, das gerade ein Militärabkommen über die Lieferung von Militärgerät zur Luftverteidigung sowie zur Ausbildung und zum Training der armenischen Streitkräfte geschlossen hat.
SPD-Politiker Roth hält diesen Schritt für richtig, denn es gehe um die Verteidigungs- und Wehrhaftigkeit Armeniens, um die Gefahr einer abermaligen militärischen Aggression Aserbaidschans zu verhindern. "Wir haben es hier mit einem reichen und autoritären Regime zu tun, das massiv aufgerüstet hat."
Wenn Frankreich bei der militärischen Unterstützung vorangehe, dann solle Deutschland vor allem zur wirtschaftlichen Unterstützung und der Förderung von Demokratie in Armenien bereit sein. "Wir können durchaus auch arbeitsteilig vorgehen", schlägt Roth vor.
Noch etwas findet Roth gut: Frankreich eröffnet ein Konsulat in jener armenischen Region, die Aserbaidschan angreifen könnte. Es gehe nicht um konkrete Konsularfälle, vielmehr sei es ein wichtiges Symbol, in einer brandgefährlichen Region Präsenz zu zeigen. "Das wäre ein Mehrwert im Hinblick auf Sicherheit."
Strategisches Ziel sollte es für die EU sein, ein Anker für Demokratie und Stabilität im Südkaukasus zu sein, resümiert Roth.