Bundeskanzler Scholz im Interview "Wir müssen klare, präzise Politik machen"
Ausweitung von Grenzkontrollen und Ja zur EU-Asylreform: Bundeskanzler Scholz sieht im ARD-Interview die Ampelregierung in der Verantwortung, beim Thema Migration "klar" zu handeln - und kritisiert CDU-Chef Merz.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Dringlichkeit erkannt, die das Thema Migration in der Bevölkerung angenommen hat. Er ist dafür, Grenzkontrollen auszuweiten, auch an der Grenze zu Polen und ist verärgert über den polnischen Visaskandal: "Es kann ja nicht sein, dass da ganz viele Visen offenbar für Geld erteilt worden sind, wo man befürchten muss, dass viele mit solchen Visen auch nach Deutschland weitergezogen sind", so Scholz.
Darum müsse man auch die Maßnahmen an der Grenze zu Polen auf deutscher Seite verstärken. Eine klare Ansage an Warschau. Doch die wird Polen nicht gefallen bei den vielen Pendlern, die täglich über die Grenze nach Deutschland kommen.
Die Maghreb-Staaten zusätzlich als sichere Herkunftsstaaten einzustufen, hält Scholz für problematisch. "Wir wissen, dass in diesen Ländern schwierige politische Verhältnisse herrschen und Bürger mit Verfolgung rechnen müssen." Die Regierung wolle nach wie vor Menschen Schutz geben, wenn sie verfolgt würden. Wer hier bleibe, obwohl er nicht schutzbedürftig sei, müsse ins Heimatland zurück, meint Scholz - und zwar schnell. Das müsse man besser hinbekommen als in der Vergangenheit.
Arbeit für Asylbewerber: "Da geht noch mehr"
Scholz zeigt sich pragmatisch, wenn es darum geht, Asylbewerbern in Deutschland die Annahme einer Arbeit zu erlauben. In vielen Fällen sei das schon möglich. "Aber da geht noch mehr. Ich teile das Verständnis vieler Menschen, die sagen: Wenn da Arbeit ist, die getan werden muss, und da ist jemand, der sie tun könnte, dann soll er das auch machen." Er habe auch nichts dagegen, wenn das im Einzelfall bei gemeinnütziger Arbeit geschehe. Man dürfe dabei allerdings die Themen Flucht und Verfolgung nicht mit der Arbeitskräfteeinwanderung verwechseln, so Scholz.
Zurzeit wird auch das Thema Pull-Effekt wieder heftig diskutiert: dass Deutschland für Flüchtlinge das attraktivste Land in Europa ist, weil die Menschen hier hohe Sozialleistungen bekommen, vor allem in Form von Geld. Der Kanzler hat nichts dagegen, Asylbewerbern Gutscheine anstelle von Bargeld zu geben. "Wir haben die gesetzliche Möglichkeit dazu geschaffen." Die Bundesländer könnten es ausprobieren, hätten es bislang aber nicht getan.
Scholz über Merz: "Besser auf seine Worte aufpassen"
Im Interview antwortet Scholz auch Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz. Der hatte in den letzten Tagen für Aufregung gesorgt, weil er behauptete, abgelehnte Asylbewerber würden sich in Deutschland die Zähne neu machen lassen, während Deutsche nebenan keinen Termin beim Arzt bekämen. Scholz sagt dazu: "Was Herr Merz vorgetragen hat, entspricht nicht der rechtlichen Lage in Deutschland. Ich finde, dass man besser auf seine Worte aufpassen sollte."
Bei irregulärer Migration gehe es darum, einen klaren Kurs zu haben, meint Scholz weiter. Dazu gehört für ihn, dass diejenigen abgeschoben werden, die illegal im Land sind. "Das sind klare Sätze und wir müssen sehr klare, präzise Politik machen, damit wir unsere Gesetze auch durchsetzen können. Aber das muss einen nicht dazu verführen, mit seinen Worten ungeschickt zu sein", so Scholz in Richtung Merz.
Ampel-Streit: "Die Geräusche müssen leiser werden"
Erneut forderte der Bundeskanzler weniger Streit in der Ampelkoalition: "Ich bin wirklich sehr verärgert darüber, denn die Arbeitsbilanz ist ziemlich gut", so Scholz. "Aber dadurch, dass es mit so viel Geräusch zu den Ergebnissen gekommen ist, hat man nur das Geräusch im Kopf. Die Geräusche müssen leiser werden."
Auf die Frage, was er Deutschland zum Tag der Einheit am 3. Oktober wünsche, sagte Scholz: "Zuversicht. Es ist zum Beispiel ein gutes Zeichen, dass im Osten Deutschlands gerade die modernsten Fabriken errichtet werden." Er glaubt, dass auch zugewanderte Fachkräfte in diesen Fabriken im Osten gut ankommen werden. "Es gibt eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die genau weiß, dass es wirtschaftlich schlechter läuft in Deutschland, wenn wir nicht Fachkräfte holen, die die Arbeit, die sonst liegen bleibt, tun."
"Kein Moment, in dem man nicht erkannt wird"
Auf die Frage, woran er sich als Bundeskanzler nie gewöhnen werde, sagte Scholz: "Es gibt keinen Moment, in dem man nicht erkannt wird. Selbst wenn ich Klamotten anhabe, die noch niemand an mir gesehen hat. Es gelingt mir nicht, unerkannt zu bleiben. Das ist schon anders." Er mache seinen Job als Kanzler aber sehr gerne, sagte er zur persönlichen Regierungs-Halbzeitbilanz. Und sollte seine geliebte alte Ledertasche beim anstrengenden Kanzlerleben den Geist aufgeben, hat er auch schon eine nachhaltige Lösung parat: "Reparieren lassen."