Friedrich Merz bei einer Diskussionsrunde der Süddeutschen Zeitung
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Neue Debatte Was steckt hinter Merz' Schuldenbremsen-Vorstoß?

Stand: 15.11.2024 04:50 Uhr

Eine Reform der Schuldenbremse hatte CDU-Chef Merz bislang kategorisch ausgeschlossen. Jetzt hat er selbst eine Debatte darüber angestoßen. Nicht nur SPD und Grüne fragen sich: Was will er damit bezwecken?

Eine Analyse von Sarah Frühauf, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist Winter, Ende Januar, als Friedrich Merz im Bundestag der Ampel-Regierung vehement entgegenruft: "Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse heute von dieser Stelle erneut aus. Damit können Sie nicht rechnen."

Knapp zehn Monate später ist es wieder kalt geworden in Berlin. Mittwochvormittag: Der CDU-Chef ist im Hotel Adlon, beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung, und spricht erneut über die Schuldenbremse. Nur klingt er dieses Mal anders. Die Schuldenbremse sei ein technisches Thema. "Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: wozu, mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein."

Und ein weiterer Satz lässt aufhorchen: Die ersten 19 beziehungsweise 20 Artikel des Grundgesetzes seien unveränderbar, über alles andere lasse sich reden. Ein Satz, den man von Merz im Laufe des Jahres schon öfter gehört hat, allerdings in vertraulichen Runden. Jetzt hat er ihn selbst öffentlich ausgesprochen. Ob er sich bewusst war, welche Debatte er damit auslöst, ist fraglich.

Eines der größten Streitthemen der zerbrochenen Koalition

In der SPD ist man überrascht, wahrscheinlich sogar im positiven Sinne. Die Schuldenbremse war einer der größten Streitpunkte in der Ampelkoalition. Die Sozialdemokraten und die Grünen wollten eine Reform. Für die FDP klang das nach Teufelszeug. Und es ist auch noch nicht lange her, dass die Schuldenbremse als einer der wichtigsten politischen Glaubensgrundsätze in der Union galt.

Auch die Länder machten Druck

Doch dann schwächelte die Konjunktur, zahlreiche Wirtschaftsvertreter klopften in den Staatskanzleien der Länder an, machten ihrem Unmut Luft, was offenbar auch bei Landeschefs mit schwarzem Parteibuch verfing.

So meldete sich bereits Ende vergangenen Jahres Berlins Regierender Bürgermeister Wegner zu Wort und forderte Investitionen in die Zukunft. Daniel Günther aus Schleswig-Holstein sagte im Januar: Die Schuldenbremse sei wichtig. Aber die Frage, dass die Bundesländer sich gar verschulden dürfen, müsse diskutiert werden.

Und Sachsens Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff formulierte es wenige Monate später verklausulierter, meinte wohl allerdings Ähnliches: Die Wirtschaft trudele ab. Es gebe weniger Steuereinnahmen und dadurch mehr Schwierigkeiten, die nächsten Jahre zu strukturieren. Es gelte, sich etwas einfallen zu lassen.

Debatte hinter verschlossenen Türen

Doch zu diesem Zeitpunkt, also als die Ampelkoalition noch stand, hatte man im Konrad-Adenauer-Haus kein Interesse daran, öffentlich eine Diskussion über die Schuldenbremse zu führen. Schließlich war sich auch die CDU-Spitze der Sprengkraft der Debatte bewusst. Warum sollte die Union der SPD und den Grünen die Hand reichen, um ihnen einen Weg aus dem Haushaltsdilemma zu ermöglichen, in das sich die Ampel selbst manövriert hatte?

Tatsächlich, so erzählt es zumindest Ex-Finanzminister Christian Lindner, implodierte die Regierung am Ende genau deswegen: Weil der Kanzler die Schuldenbremse lockern wollte und er nicht.

Doch auch wenn man sich in der Union zunehmend hütete, öffentlich die Worte "Reform der Schuldenbremse" in den Mund zu nehmen, fielen sie in den vergangenen Monaten hinter verschlossenen Türen doch des Öfteren.

Wortführer war dabei Kai Wegner, der es allerdings offenbar zu weit trieb. Nachdem er im Frühjahr bereits eine Bundesratsinitiative angekündigt hatte, um die Schuldenbremse zu kippen, legte er wenige Monate später im Handelsblatt nach: Die CDU sei bereit zu einer Reform und er sei darüber auch im guten Austausch mit Friedrich Merz.

Da war auch was dran, es hatte Gespräche mit dem Vorsitzenden gegeben. Allerdings noch mit keinem Ergebnis, das die Partei für veröffentlichungswürdig hielt. Merz dementierte also hart, der Gesprächskanal war zunächst versiegt.

Verwunderung in der Bundestagsfraktion

Doch das Bedürfnis der Länder, auch CDU-geführter, nach mehr finanziellem Spielraum ist noch da. Denn für sie ist die Schuldenbremse noch enger gefasst als im Bund. Allerdings hat wohl auch dort kaum einer damit gerechnet, dass Merz das Thema zu diesem Zeitpunkt wieder aufmacht.

Vor allem in der Bundestagsfraktion sorgt der Auftritt ihres Vorsitzenden - gelinde gesagt - für Verwunderung. Denn hier liegt das Gegengewicht zu den Länder-Vertretern. Das Nein zur Reform der Schuldenbremse klingt bei den meisten Abgeordneten nicht nur nach außen rigoros, es ist es tatsächlich. Merz habe die Fraktion mit seiner klaren Kante gegen eine Reform auf den Baum getrieben, so schnell komme die da nicht mehr herunter, hieß es zuletzt hinter vorgehaltener Hand.

Doch das Bewusstsein, dass die Schuldenbremse auch für die Union nicht mehr unantastbar ist, dürfte sich auch langsam unter den Parlamentariern durchsetzen. Denn sie ist ein Faustpfand, der in den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl sehr wertvoll werden könnte.

Linnemann beendet die Debatte - vorerst

Die Union macht gerade große Versprechen, zum Beispiel das Bürgergeld in seiner jetzigen Form wieder abzuschaffen, was mit der SPD eigentlich schier unmöglich scheint. Die SPD versucht, CDU und CSU die Entscheidung zwar jetzt schon abzuringen, mit dem Argument, es sei nicht klar, ob es nach der Bundestagswahl überhaupt noch eine Zweidrittel-Mehrheit gebe, die nötig ist, um die Schuldenbremse zu reformieren.

Damit wird sie bei der Union allerdings auf taube Ohren stoßen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann stellte am Donnerstag noch einmal klar, dass die CDU zur Schuldenbremse stehe, ohne Wenn und Aber.

Das klingt danach, als würde man im Konrad-Adenauer-Haus versuchen, den angerichteten Schaden zu begrenzen und als ob der Vorstoß von Merz doch eher ein rhetorischer Unfall statt Kalkül gewesen ist. Auch wenn es sich wohl vor allem die SPD anders wünscht: Klare Worte wird es von der Union wohl erst in paar Monaten nach der Bundestagswahl im Februar geben.