Vance während seiner Rede bei der Sicherheitskonferenz
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Münchner Sicherheitskonferenz "Das müssen wir erst mal verdauen"

Stand: 16.02.2025 15:55 Uhr

Der Schock über die Positionierung der Trump-Regierung sitzt tief: Lettlands Präsident Rinkevics und andere europäische Politiker befürchten den Bruch in der transatlantischen Wertegemeinschaft. Und nun?

Eine Analyse von Clemens Verenkotte, BR

"Das müssen wir erst mal verdauen" - wie Lettlands Staatspräsident Edgars Rinkevics am Sonntagvormittag die Wirkung des brüsken US-Auftretens in München auf die Europäer bilanzierte. Alle sollten jetzt einmal tief Luft holen und sich dann darauf konzentrieren, "was Ihr machen könnt".

Denn man habe hier von den USA "sehr eindeutige Statements" dazu gehört. Als Erstes, so riet der finnische Präsident Alexander Stubb unter ironischem Hinweis auf die landesüblichen Gebräuche, "sollten wir ein schönes Bad nehmen, dann eine gute Sauna". Danach aber "müssen wir hören, was die USA wollen."

Europa dürfe US-Präsident Donald Trump und dessen Verhandlungsfähigkeiten nicht unterschätzen. Und eine weitere Brise nordeuropäischen Pragmatismus gab Stubb den zwischen Schock und Verstörung schwankenden Europäern mit auf den Heimweg: "Wir müssen weniger reden und mehr tun."

Trumps Abkehr von transatlantischer Wertegemeinschaft

Es war nicht allein die apodiktische Entscheidung des US-Präsidenten, ohne vorherige Abstimmung mit den Verbündeten über die Köpfe der Ukrainer und der Europäer hinweg mit dem russischen Präsidenten direkte Gespräche über eine Beendigung des Krieges zu führen. Es war nicht nur das Stakkato artige "Trump-Tempo", mit dem Washington der Ukraine und den NATO-Partnern mitteilte, dass das angegriffene Land auf von Putins Truppen besetzte Gebiete ebenso zu verzichten hätte wie auf eine NATO-Mitgliedschaft.

Was die europäischen Teilnehmer der Sicherheitskonferenz wohl am meisten verstörte und massiv irritierte, war die Abkehr der westlichen Führungsmacht von den Grundsätzen der sogenannten transatlantischen Wertegemeinschaft. Dass Donald Trumps Stellvertreter JD Vance in seiner Rede Europa als den eigentlichen Kontrahenten Amerikas ins Visier nahm und die angeblichen Demokratiedefizite der europäischen Verbündeten in die Nähe sowjetischer Unterdrückungsmethoden rückte, ließ die Europäer in München erschaudern.

Selenskyj warnt Europa

Die bisherige Gewissheit, dass sich die USA und die europäischen NATO-Partner für die gleichen Werte einsetzen, erhielt einen deutlichen Dämpfer. Der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bilanzierte das Wochenende zutreffend: "Dies ist nun wirklich ein Wechsel einer Ära. Eine Zeitenwende." In München sei "viel deutlicher als je zuvor" den Europäern vor Augen geführt worden: "Wenn wir hier jetzt nicht wachgerüttelt werden, könnte es für die Europäische Union zu spät sein."

Wie kein zweiter Redner an diesem Wochenende erhielt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, vom Vorgehen des US-Präsidenten unter Druck gesetzt und in die Enge getrieben, Beifall in München.

In der akustischen Unterstützung für den den eindringlichen Appell Selenskyjs, der Abwehrkampf der Ukraine stelle das letzte Bollwerk vor einer weiteren Expansion Russlands nach Westen dar und Europa müsse sich auf dieses Szenario vorbereiten, spiegelte sich zweierlei wider: Die nachvollziehbare Sorge der europäischen Unterstützerstaaten der Ukraine, von Trump vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Sowie die Erkenntnis, der Ukraine in den vergangenen drei Jahren ohne eine erkennbare Strategie und zudem noch unzureichend zur Seite gestanden zu haben.

EU-Außenbeauftragte formuliert Anspruch

Offen räumte Selenskyj ein, dass er an "Sicherheitsgarantien ohne die USA" nicht glaube. So eindeutig der ukrainische Präsident auch darauf bestand, dass es ohne die Ukraine keine Verhandlungen über eine Einstellung der Kämpfe geben könne, so hörte er von europäischer Seite nur das Echo seiner Forderungen.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas formulierte den Anspruch, dass es ohne europäische Mitwirkung an einer künftigen Friedenslösung "keinen Frieden in Europa geben" könne. Die Ukraine müsse nicht nur an den bevorstehenden amerikanisch-russischen Gesprächen beteiligt werden, sondern auch über ihr Schicksal entscheiden können.

Trumps Ukraine-Beauftragter, der ehemalige General Keith Kellogg, fing diese Ambitionen in München sehr rasch ein und brachte das Urteil der Trump-Regierung über die bisherige Ukraine-Politik des Westens auf den machtpolitischen Nenner: "'As long as it takes', is not a strategy" ("'So lange wie nötig' ist keine Strategie"). Man müsse mit Gegnern sprechen. Das könne man sich nicht aussuchen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. Februar 2025 um 17:45 Uhr.