Heeresinspekteur Mais "Sondervermögen wird nicht reichen"
Die Bundeswehr fit machen - das ist das Ziel des 100-Milliarden-Sondervermögens. Für eine Vollausstattung reiche das aber nicht aus, meint der Heeresinspekteur. Der Bundeswehrverband beklagt eine schleppende Modernisierung.
Vor dem Hintergrund der Materiallieferungen an die Ukraine sieht Heeresinspekteur Alfons Mais einen großen Druck für die Nachbeschaffung. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das die Bundeswehr vergangenes Jahr erhalten hatte, sei nicht genug für die Vollausstattung.
Es gebe aber Fortschritte im Beschaffungsprozess, sagte der Generalleutnant der Nachrichtenagentur dpa. Er sehe "einen sehr großen Druck, die Nachbeschaffungen jetzt mit größtem Tempo voranzubringen. Wir haben die 'Leopard'-Panzer noch nicht abgegeben und überlegen richtigerweise schon, wie wir sie schnellstmöglich ersetzen können."
"Bei der Panzerhaubitze und bei den Raketenwerfern hat es sehr lange gedauert, aber auch dort ist jetzt ein extrem hoher Druck drauf", ergänzte Mais. Neben dem Ersatz von Material, das an die Ukraine abgegeben wurde, sei der "materielle Aufwuchs in Richtung Vollausstattung" wichtig: "Das Sondervermögen alleine wird dafür jedoch nicht reichen."
Truppe steht hinter Waffenlieferungen
Mais hatte bereits unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ungewöhnlich scharf eine jahrelange Vernachlässigung bei der Bundeswehr kritisiert. Die Bundeswehr stehe "mehr oder weniger blank da", schrieb er damals und löste so Diskussionen aus. "Ich versuche, den Begriff blank nicht mehr zu verwenden. Das wird der Lage heute, ein Jahr später, nicht mehr gerecht", sagte Mais nun. Es habe sich seitdem viel getan, und die Einsatzbereitschaft dürfe nicht auf das Material verengt werden: "Die Dinge bewegen sich nach vorne."
Die Hilfe für die Ukraine bezeichnete er als eine "riesige Kraftanstrengung, die aber sein muss". Die Truppe wisse das, frage aber nach der Zukunft.
Pistorius will bis Ende des Jahres 30 Milliarden ausgeben
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte unterdessen an, die Beschaffungen zu beschleunigen. Bis Ende des Jahres wolle er 30 der 100 Milliarden Euro ausgeben, sagte er dem Deutschlandfunk. Bei den anstehenden Haushaltsberatungen wolle er zudem versuchen, zehn Milliarden Euro zusätzlich für den Verteidigungsetat zu erhalten. Das NATO-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, werde Deutschland dennoch auch 2024 wohl noch nicht erfüllen.
Im vergangenen Jahr lagen Deutschlands Ausgaben laut einer NATO-Aufstellung bei knapp 1,5 Prozent. Pistorius warb für langfristiges Denken: "Ob wir das im nächsten Jahr schaffen oder nicht, ist nicht die zentrale Frage", sagte er. "Wir müssen uns auf den Weg machen, dass wir das im Durchschnitt der nächsten Jahre erreichen."
Bundeswehrverband beklagt schleppende Modernisierung
Das ist auch im Sinne vom Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, der von einem langen Konflikt mit Russland ausgeht. "Es wäre naiv zu glauben, dass der Krieg in diesem Jahr vorbei sein wird", sagte er der "Bild am Sonntag". Innenpolitisch bereite Russlands Präsident Wladimir Putin seine Bevölkerung auf einen langfristigen "Systemkonflikt" vor. "Die NATO und Deutschland müssen sich strategisch auf eine Dekade an Bedrohung ausrichten."
Wüstner dringt daher auf eine schnellere Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr: In ihrem aktuellen Zustand sei sie weder voll einsatzfähig noch abwehrbereit. Durch die Materiallieferungen an die Ukraine seien zudem weitere Lücken entstanden, die bislang nicht ansatzweise geschlossen worden seien, etwa bei den Panzerhaubitzen. Auch die 18 "Leopard 2"-Kampfpanzer müssten rasch nachbestellt werden. "Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen und gleichzeitig die Bundeswehr selbst schneller ausrüsten." Die Modernisierung der Truppe verlaufe zu langsam, bislang habe sich für die Soldatinnen und Soldaten "noch nichts spürbar verbessert".