Vorwürfe gegen Stark-Watzinger Chatverläufe um Fördergeldaffäre werfen Fragen auf
Bildungsministerin Stark-Watzinger hat darauf bestanden, dass es über den Messenger "Wire" nur privaten Austausch gab. Ein Teil der Chats liegt nun der ARD vor - und zeigt: Die private Natur ist zweifelhaft.
Es ist eine explosive E-Mail, die Donnerstagvormittag um 10.39 Uhr im Bundesbildungsministerium eintraf. Sie liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Das hat aus verlässlicher Quelle erfahren, dass das Schreiben echt ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dementiert das nicht.
In der E-Mail fordert die geschasste Staatssekretärin Sabine Döring, Professorin für Philosophie, die Veraktung entscheidungsrelevanter Vorgänge. Gemeint sind damit ministeriumsinterne Nachrichten, die über "Wire" versendet wurden. Diese Chats übermittelte Döring per E-Mail.
Die Staatssekretärin a. D. bezieht sich darin auf eine Aussage von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in einer Sondersitzung des Bildungsausschusses am vergangenen Dienstag. Die Ministerin wurde dabei zur so genannten Fördergeldaffäre und zur internen Kommunikation "Wire" befragt.
Stark-Watzinger sagte einerseits, jeder Amtsträger habe das Recht auf private Kommunikation. Aber sie sagt auch: "Sollte sich daraus etwas dienstlich ableiten, dann wird das veraktet. Veraktet wird, was entscheidungsrelevant in einem Ministerium ist." Döring bittet nun um diese Veraktung und argumentiert, die "Wire"-Kommunikation sei relevant für ihren eigenen Fall. Bisher hat das Ministerium die Herausgabe der "Wire"-Chats mit der Begründung verweigert, dass es sich nicht um dienstliche, sondern private und informelle Kommunikation handele.
Die "Fördergeldaffäre"
Zur Erinnerung, worum es eigentlich geht: Nachdem an der Freien Universität Berlin Anfang Mai ein propalästinensisches Protestcamp von der Polizei geräumt wurde, hatten Lehrende dieses Vorgehen in einem offenen Brief kritisiert. Im Anschluss sollte im Ministerium überprüft werden, wer diesen Brief unterzeichnete, wer Fördergeld aus dem Ministerium bekam - und ob es rechtlich möglich sei, dieses Geld zu streichen ("förderrechtliche Prüfung"). Ein hochproblematischer Vorgang mit Blick auf die Wissenschaftsfreiheit.
Seit Monaten nun versucht die Union, Ministerin Stark-Watzinger vor sich her zu treiben. Im Juni wurde sie schon einmal von Abgeordneten im Bildungsausschuss und im Bundestag zur Affäre befragt, am Dienstag dieser Woche musste sie sich den Fragen noch einmal stellen.
Die Nachrichten werfen Fragen auf
Angehängt an Sabine Dörings E-Mail sind Chatnachrichten, die im Zeitraum zwischen dem 9. Mai und dem 14. Juni 2024 versendet wurden. Schaut man sich die Nachrichten, den Verlauf und die Inhalte genauer an, dann stellen sich mindestens drei Fragen.
Erstens: Sind die Nachrichten wirklich privater Natur? Zweitens: Wusste die Ministerin wirklich erst am 11. Juni über die beauftragte förderrechtliche Prüfung Bescheid? Und drittens: Für die These, dass Döring ein "Bauernopfer" war, scheint es eine Bestätigung zu sein, wie eng und detailliert ihre Entschuldigungsmail im Ministerium abgestimmt - böse formuliert könnte man sagen "vorgegeben" - wurde. Döring wurde dafür verantwortlich gemacht, die förderrechtliche Prüfung beauftragt zu haben und schrieb in einer E-Mail an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bildungsministeriums, sie habe sich "missverständlich ausgedrückt."
Privat oder nicht privat, das ist die Frage
Diskutiert wurde in den Chats zum Beispiel der offene Brief, den Lehrende der Berliner Hochschulen unterzeichnet haben. Der Leiter der Kommunikation im Bildungsministerium schrieb dazu, es ginge "denen nicht um 'Wissenschaftsfreiheit', sondern um eine politisch bis radikale Haltung, die wir bekämpfen." Seine Empfehlung sei, eher "offensiv" vorzugehen. "Es gibt eine Fehlstellung, die sollte adressiert werden." Zuvor hatte sich die Ministerin geäußert, unter anderem mit dem Satz: "Man kann nicht erwarten, dass man alles sagen kann und dann keinen Gegenwind ertragen."
Woraufhin Roland Philippi, der jetzige Nachfolger von Döring, die problematischen Sätze schrieb, die schon im Spiegel veröffentlicht wurden: "Persönliche Meinung: Wenn sich dadurch eine Art informelle, 'freiwillige' und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (beispielsweise einen solchen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg. Sorge um die Förderung), dann hätte ich jetzt ad hoc nichts dagegen…".
Döring meldet sich zu Wort
Sabine Döring schrieb Folgendes, und das kann man als Prüfauftrag verstehen, allerdings nicht im Sinne einer förderrechtlichen Prüfung: "Meine Vermutung ist, dass mit Blick auf Wissenschaftsfreiheit rechtlich eine Lücke besteht. Ich gehe dem mal nach."
Auch am 13. Mai fand eine Unterhaltung mit Beteiligung von Döring statt. Ministerin Stark-Watzinger ging noch einmal auf den offenen Brief ein und schrieb dazu, es gebe Sätze, die ihr zu weit gingen. Staatsekretär Jens Brandenburg fragte, ob er die Fraktion darauf ansetzen solle, dagegen zu halten. Ministerin Stark-Watzinger antwortete auf den Vorschlag: "Ja, fände ich gut."
Sabine Döring formulierte, diese Sätze gingen "objektiv zu weit." Das ließe man gerade prüfen. In ihrem eigenen Ergebnisvermerk, den Döring ebenfalls in der E-Mail mitschickt, wies sie darauf hin, wie diese Aussage gemeint gewesen sei: Die Universitäten würden in dem offenen Brief der Lehrenden implizit als rechtsfreier Raum behandelt und das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt, das würde nun geprüft und rechtlich eingeordnet. Als ein Abteilungsleiter am Telefon von einer zuwendungsrechtlichen Prüfung gesprochen hatte, so erklärte es Sabine Döring in ihrem Ergebnisvermerk, hatte sie die sofortige Einstellung der Prüfungshandlungen angeordnet.
Wann hat die Ministerin etwas gewusst?
Ministerin Stark-Watzinger hat immer wieder betont, dass sie erst am 11. Juni von der E-Mail erfahren haben will, in der die förderrechtlichen Konsequenzen als Prüfauftrag formuliert waren. In der obigen Unterhaltung, in der Döring ankündigte, dass "Sätze in der Erklärung objektiv zu weit gehen," ist die Ministerin allerdings anwesend. Wurde über diesen Prüfauftrag und wie genau er aussehen sollte dann nicht mehr gesprochen? Das erscheint angesichts der Welle, die dieser Vorgang schon im Mai im Ministerium ausgelöst hat, zumindest zweifelhaft.
Eine Sprecherin des Bildungsministeriums weist das zurück: Es gebe für diesen Verdacht "keinen Mindestbestand an Beweistatsachen". Die Verdachtsäußerung sei "unzulässig". An anderer Stelle weist die Sprecherin darauf hin, dass es "keine Chat-Kommunikation vor dem 11. Juni 2024 zu einem Auftrag zur Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen (gibt), an der die Ministerin beteiligt war".
Entlassungsmail wird "abgestimmt"
Im Juni schließlich, nachdem Panorama über die E-Mail berichtet hatte, in der von der förderrechtlichen Prüfung die Rede ist, ging es um die E-Mail, die Sabine Döring an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schreiben soll, um die Verantwortung für diese Prüfung zu übernehmen.
Aus dem Chatverlauf geht hervor, dass der Inhalt dieser "Entschuldigungsmail" ziemlich eng mit Döring abgestimmt ist - beziehungsweise in zentralen Passagen so formuliert ist, wie der Leiter der Kommunikation vorschlägt. Es gab zunächst einen Entwurf für Döring, dann zwei Änderungsvorschläge und schließlich "eine letzte Überlegung." Auch die Ministerin meldete sich zu Wort und wollte sicherstellen, dass die E-Mail "bis 11 Uhr im Kasten der Mitarbeiter" ist, "bevor sie beunruhigt ins Wochenende gehen."
Das Ministerium schreibt zu dieser Passage, es sei unzutreffend, dass diese E-Mail vom 14. Juni 2024 in dem entscheidenden Punkt vom Leiter der Unterabteilung L2 formuliert und aufgezwungen gewesen sei. Eine Sprecherin verweist dabei auch auf das Verwaltungsgericht Minden, vor dem die Staatssekretärin a. D. Döring durchsetzen wollte, dass sie in der so genannten Fördergeldaffäre aussagen darf. Dabei ging es auch um die "Entschuldigungsmail". Das Gericht stelle in seinem Beschluss vom 6. September 2024 fest, dass die Antragstellerin - also Döring - einen "entsprechenden Einfluss auf die Gestaltung der E-Mail" gehabt habe. Das werde durch die Chatkommunikation zwischen Döring und dem Leiter der Unterabteilung 2 deutlich.
Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht entscheidende Formulierungen vom Ministerium durchgesetzt wurden. Der Leiter der Unterabteilung 2 schlug vor in seinem E-Mailentwurf zum Beispiel vor, Döring solle schreiben, sie habe die "rechtliche Prüfung des offenen Briefes telefonisch beauftragt". Die später geschasste Staatssekretärin änderte das in ihrer Version in "verfassungsrechtliche Prüfung". Das wurde vom Leiter der Unterabteilung 2 dann aber wieder revidiert in "rechtliche Prüfung".
Döring hat übrigens angekündigt, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden Beschwerde einzulegen.
Chatmitglieder sind aus dem BMBF oder von der FDP
Diese Nachrichten wurden in zwei unterschiedlichen Chatgruppen ausgetauscht. Der "BMBF-Kommunikation" und der "F-Runde BMBF." Mitglieder sind Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, besprochen werden offenbar nur Themen, die von einer gewissen dienstlichen Relevanz sind, und "private" Themen scheinen, wenn, dann nur sehr untergeordnet stattzufinden. Damit dürfte es für das Ministerium schwierig sein, die These aufrecht zu erhalten, dass es sich hier ausschließlich um "private" Kommunikation handelt.
Doch genau das tut die Sprecherin des Ministeriums in ihrer Stellungnahme: "Auch Amtsträger haben die Möglichkeit, sich außerhalb des Verwaltungshandelns oder eines Verwaltungsverfahrens persönlich über dienstliche Angelegenheiten auszutauschen. Dies kann in Gesprächen, telefonisch oder in einer digitalisierten Kommunikationswelt auch über SMS/Chats erfolgen. Solche Kommunikation wird nicht dadurch zur dienstlichen Angelegenheit, dass sie typischerweise vor allem ministeriumsinterne Angelegenheiten betrifft. Konkrete angebliche persönliche Kommunikation kommentieren wir nicht. Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass sie nicht im Widerspruch zur bisherigen Sachverhaltsdarstellung stehen würde."
Bisher ist es Ministerin Stark-Watzinger nicht gelungen, die Unklarheiten in diesem Fall auszuräumen. Im Gegenteil: Nach jedem öffentlichen Auftritt gab es weitere Fragen, obwohl Stark-Watzinger selbst immer wieder darauf bestand, Transparenz und Klarheit hergestellt zu haben. Ihr Schicksal könnte davon abhängen, was sie jetzt tut.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aktualisiert, weil sich eine Sprecherin des Ministeriums mit einer Stellungnahme zurückgemeldet hat; ihre Antworten sind an den betreffenden Stellen eingearbeitet.