Steinmeier am Volkstrauertag "Gedächtnis versagt vor Verbrechen"
Die Spitzen des Staates gedenken am heutigen Volkstrauertag der Kriegstoten und der Opfer von Gewaltherrschaft. Bundespräsident Steinmeier erinnerte an die Leidtragenden des deutschen Angriffskrieges in Ost- und Südosteuropa.
Am heutigen Volkstrauertag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu aufgerufen, sich an konkrete Orte von Gewalt und Krieg zu erinnern. Das Gedächtnis versage beispielsweise angesichts von Massenverbrechen an Zivilisten im Osten Europas, mahnte Steinmeier. Er erinnerte an die Opfer des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges in Ost- und Südosteuropa.
Bestimmte Orte sagen Deutschen nichts
Orte, die auf dem Vormarsch der Wehrmacht durch Polen, das Baltikum, Belarus und die Ukraine nach Russland lagen, sagten vielen Deutschen heute nichts, erklärte der Bundespräsident bei einer zentralen Gedenkstunde im Bundestag: "Unser Gedächtnis scheut, wenn es Auskunft über Krieg und Verbrechen im Osten und Südosten Europas geben soll."
Das Gedächtnis versage vor den Verbrechen an Zivilisten, Zwangsarbeitern und sowjetischen Kriegsgefangenen, sagte Steinmeier. Bereits in den ersten Monaten nach dem Überfall seien Hunderttausende ums Leben gekommen: "Verhungert, erschlagen, erschossen."
Am Volkstrauertag erinnern sich die Menschen in Deutschland an die Opfer der beiden Weltkriege sowie des Nationalsozialismus.
"Unbehagen vor militärischen Ritualen"
Auschwitz sei zum Inbegriff des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden geworden, erklärte der Bundespräsident. Doch über eine Karte, welche die zahllosen anderen Orte deutscher Verbrechen verzeichnet, verfüge das Gedächtnis nicht. Viele Deutsche empfänden Unbehagen vor militärischen Ritualen, sagte er.
"Für ein Land, dessen Name mit dem unendlichen Leid verbunden bleibt, das zwei Weltkriege über Europa gebracht haben, dessen Armee sich eines mörderischen Angriffskrieges schuldig gemacht hat, mag dieses Unbehagen verständlich sein", so Steinmeier. Aber: "Das macht es denen, die ihr Leben riskieren für unser Land, den Veteraninnen und Veteranen der Auslandseinsätze, erst recht den Familien der Gefallenen, wahrlich nicht leicht."
Was eine Gesellschaft verdränge und verschweige, "bleiben wir als Gesellschaft schuldig: den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, den Versehrten, den Gefallenen und ihren Familien".
Sprachlosigkeit überwinden
Verantwortung für die eigene Geschichte anzunehmen, dürfe nicht bedeuten, die Auseinandersetzung mit den Konflikten der Gegenwart zu scheuen: "Wir müssen die Sprachlosigkeit überwinden - auch die Sprachlosigkeit vieler Teile der Gesellschaft gegenüber unserer Armee."
Steinmeier hatte zuvor gemeinsam mit Vertretern von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht an einer Kranzniederlegung zum Volkstrauertag in der Neuen Wache teilgenommen, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.