
Umstrittene Anfrage zu NGOs Wissenschaftler und Organisationen kritisieren Union
Die Anfrage der Union zur Finanzierung von Organisationen und Initiativen schlägt weiter hohe Wellen. In gleich zwei offenen Briefen äußern sowohl die teils betroffenen Institutionen als auch Wissenschaftler ihre Sorgen.
Vergangene Woche stellte die Unionsfraktion in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung 551 kritische Fragen zu verschiedenen Nichtregierungsorganisationen - seitdem lässt die Kritik nicht nach.
Nun haben mehr als 1.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie "große Besorgnis" am Vorgehen der Unionsfraktion äußern. Die Anfrage widme sich explizit der Finanzierung und dem Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen aus der demokratischen Zivilgesellschaft, die sich politisch in der Öffentlichkeit engagieren. "Dabei ist im höchsten Maße beunruhigend, dass die Kleine Anfrage das Narrativ eines 'tiefen Staates' aufgreift", heißt es in dem Schreiben.
Damit werde suggeriert, dass der Arbeit der Organisationen ein Makel anhafte oder dass sie eine schädliche Wirkung hätten. Dabei seien sie eine "tragende Säule demokratischer Willensbildung", so die Verfasser.
Sie fördern politische Bildung, engagieren sich gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Radikalisierung, setzen sich für Umwelt- und Klimaschutz ein und verteidigen grundlegende Menschenrechte. Ihre Arbeit dient dem demokratischen Gemeinwohl sowie der Artikulation politischer Meinungen - auch in der Form von legitimem Protest - und ist gerade in Zeiten erstarkender autoritärer Strömungen von zentraler Bedeutung.
Unionsfraktion zweifelt an Gemeinnützigkeit
Die Unionsfraktion hatte sich einen Tag nach der Bundestagswahl in ihrer Kleine Anfrage an die Bundesregierung nach der Förderung gemeinnütziger Organisationen erkundigt, darunter Medienorganisationen wie Correctiv und das "Netzwerk Recherche", Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren wie die "Omas gegen Rechts" sowie Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder der BUND.
Die Fraktion stellt die Gemeinnützigkeit der Organisationen infrage und begründet dies mit den Protesten gegen die CDU, die Ende Januar eine Abstimmung über eine Verschärfung der Asylpolitik gemeinsam mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD ausgelöst hatte. Die Proteste seien teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt worden, heißt es in der Anfrage.
Wissenschaftler beklagen "konfrontativen Unterton"
Die 1.767 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreiben dazu, der Kontext und der Zeitpunkt der Anfrage legten den Schluss nahe, dass gegen die Organisationen vor allem deshalb "der Verdacht einer unzulässigen Beeinflussung der politischen Willensbildung erhoben wird", weil sie öffentliche Kritik gegenüber der Politik der Union geäußert hätten.
In Zeiten globaler Verwerfungen und verstärktem Misstrauen gegenüber der Demokratie, in denen die demokratische Zivilgesellschaft so wichtig wie nie ist, erkennen wir einen konfrontativen Unterton in der Kleinen Anfrage und deuten dies als ein alarmierendes Signal".
Kritik auch an der Rechtsauffassung der Union
Die Unterzeichnenden kritisieren auch die Rechtsauffassung der Unionsfraktion. Es sei "verfassungsrechtlich nicht haltbar", wenn die Union suggeriere, "dass staatlich geförderte Organisationen einer Neutralitätspflicht unterliegen, die sich aus der Neutralitätspflicht des Staates ableitet." Die Neutralitätspflicht des Staates beziehe sich lediglich auf das Handeln der Exekutive, nicht aber auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure.
Zum Schluss appellieren die Forschenden an die Unionsfraktion, ein Demokratiefördergesetz einführen und verweisen dabei auf den Untersuchungsausschuss zu den rassistischen NSU-Morden, der bereits 2013 ein Demokratiefördergesetz gefordert hatte. Damals hatte auch die Unionsfraktion zugestimmt. "Der Erosion demokratischer Kultur und dem Erstarken von Populismus und Rechtsextremismus kann nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam entgegengewirkt werden", schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Warnung vor Generalverdacht
Ein weiterer offener Brief an CDU und CSU kommt von mehr als 200 - teils selbst betroffenen - Organisationen und Einzelpersonen. Darin werfen sie der Union vor, ehrenamtliche Initiativen, gemeinnützige Vereine, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen unter Generalverdacht zu stellen.
"Als größte Fraktion im Deutschen Bundestag und voraussichtliche Regierungspartei tragen Sie eine besondere Verantwortung, unser demokratisches Fundament zu bewahren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern", heißt es darin.
Die Organisationen wie Amnesty International, "Gesicht zeigen!", "Omas gegen Rechts" sowie Gewerkschaften, Sozialverbände, kirchliche Organisationen und Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus schreiben:
Eine kritische und engagierte Bürgerschaft ist kein Störfaktor, sondern stärkt unser Land und ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie
Der an Unionsfraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt adressierte Brief äußert sich "schockiert über die Sichtweise auf bürgerschaftliche Organisationen".
"Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen sollten demokratische Parteien sich nicht an Versuchen beteiligen, zivilgesellschaftliches Engagement durch öffentliche Zweifel und potenzielle rechtliche Konsequenzen zu delegitimieren".
Merz verteidigt Anfrage der Union
Am Wochenende hatte Merz die parlamentarische Anfrage erneut verteidigt. Es sei nichts Ungewöhnliches, wenn aus dem Parlament nach dem Umgang mit Steuergeldern gefragt werde, sagte Merz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die parlamentarische Anfrage sei "nach den Demonstrationen in den letzten drei Wochen vor der Wahl notwendig".
Die Demonstrationen, zu denen einige der Organisationen aufgerufen hatten, seien "nicht einfach 'gegen rechts' gerichtet, sondern auch ganz dezidiert gegen uns", so Merz. "Sollten sich gemeinnützige, sogenannte Nichtregierungsorganisationen von der Regierung finanziell fördern lassen, dann ist das ja zunächst einmal ein Widerspruch in sich", betonte der CDU-Chef. "Und wenn die Demos einseitig gegen missliebige politische Parteien gerichtet sind, dann sind die Veranstalter auch keine neutralen Nichtregierungsorganisationen mehr."
Dass die Anfrage in der vergangenen Woche verschickt worden sei, habe nichts mit dem Beginn der Koalitionsverhandlungen zu tun. "Sie ist unabhängig vom Wahlergebnis sorgfältig erstellt worden."