Pistorius ein Jahr im Amt "Ich musste nicht lange überlegen"
Seit einem Jahr ist Boris Pistorius Verteidigungsminister. Der SPD-Politiker scheint keine lange Einarbeitungszeit gebraucht zu haben: In Umfragen ist er seit Monaten der beliebteste Politiker.
Es hätte ein ruhiger Freitagabend in Berlin werden können. Doch dann platzt Mitte Januar vergangenen Jahres diese Nachricht ins nahende Wochenende: Christine Lambrecht offenbar zum Rücktritt entschlossen. Vorausgegangen war eine Serie von Pannen und Fehltritten der SPD-Politikerin.
In den Tagen darauf ist der Kanzler einmal mehr als Krisenmanager gefragt. Etliche Namen werden genannt, aber Boris Pistorius als Nachfolger hat zunächst kaum jemand auf dem Zettel. Er selbst sagt später, dass der Anruf von Olaf Scholz überraschend gekommen sei.
"Ich musste nicht lange überlegen", erinnert sich Pistorius. Von einer ehrenvollen Aufgabe spricht er, als die Personalentscheidung bekannt wird. Und davon, dass er sich "mit 150 Prozent in diese Aufgabe reinstürzen" werde.
Erste Schritte auf internationalem Parkett
Pistorius ist erst ein paar Stunden im Amt, als er den US-amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin empfängt. Einen Tag später geht es nach Ramstein in Rheinland-Pfalz, zum Treffen der Ukraine-Unterstützer. Es sind seine ersten Schritte auf internationalem Parkett.
Vor seiner Zeit in Berlin hat sich der politische Wirkungskreis von Pistorius im Wesentlichen auf Niedersachsen beschränkt. Nach sechseinhalb Jahren als Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück wird er 2013 niedersächsischer Innenminister. Zehn Jahre lang ist er in Hannover für innere Sicherheit zuständig. Und seit einem Jahr für die äußere Sicherheit Deutschlands.
In Berlin scheint es ihm von Anfang an zu gelingen, die eine zentrale Botschaft zu vermitteln, dass er für die Sache brenne. "Er hat alles richtig gemacht, als er ins Amt gekommen ist - mit seinen Reden, mit seinen Initiativen", sagt der Politikwissenschaftler Carlo Masala dem ARD-Hauptstadtstudio. "Er ist beliebt in der Truppe." Bei Standortbesuchen sucht Pistorius immer wieder den Kontakt zu Soldatinnen und Soldaten.
Waffenhilfe stellt Bundeswehr vor Herausforderungen
Zu seinem Kommunikationsstil gehört auch, dass er auf eine klare Sprache setzt. Nachdem sich die Bundesregierung zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine durchgerungen hat, reist er dorthin, wo die Leopard-2-Panzer herkommen - und für längere Zeit fehlen werden: in eine Kaserne im nordrhein-westfälischen Augustdorf.
"Es blutet ihnen natürlich das Herz, dass diese Panzer jetzt abgegeben werden müssen", sagt Pistorius bei einer Begegnung mit Soldatinnen und Soldaten. Doch die Bundeswehrkräfte gehen nach seinen Worten professionell mit der Situation um.
Ein Kümmerer will er sein, ein Ohr für die Truppe haben. Aus Sicht der Grünen-Abgeordneten Sara Nanni ist es Pistorius damit ernst. Für sie kommt es darauf an, wie ein Minister nach innen und außen kommuniziert und wie er sein Haus leitet. Und das mache Pistorius "sehr gut", so Nanni.
Auch die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann lobt den Ressortchef im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Sie sei sehr erleichtert, dass er das Amt übernommen hat. Pistorius habe erkennbar Freude an seinem Amt und packe die Dinge an.
Auch auf Nachfrage lässt sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses keine Kritik entlocken. "Sie suchen jetzt nach dem Haar in der Suppe." Es gebe aber keins, so Strack-Zimmermann.
Kritik aus der Union
Beugt sich die Opposition über die Suppe, findet sie durchaus ein Haar. "Die Bundeswehr ist weniger verteidigungsfähig als zu Beginn des Krieges in der Ukraine", sagt Florian Hahn, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion. "Und wir sehen, dass beispielsweise auch beim Thema Beschaffung nicht wirklich was vorangeht."
Pistorius spreche zwar die richtigen Dinge an, liefere aber nicht. Als Beispiel nennt Hahn die Pläne, bis zu 5.000 Bundeswehrkräfte auf Dauer in Litauen zu stationieren, an der NATO-Ostgrenze. Das Vorhaben steht, nicht aber die Finanzierung. Und noch ist offen, ob sich am Ende genügend Bundeswehrkräfte auf freiwilliger Basis dazu bewegen lassen, mit ihren Familien ins Baltikum zu ziehen.
Enttäuschend liefen für den SPD-Minister die Haushaltsverhandlungen. Pistorius hat ursprünglich zehn Milliarden Euro mehr für den regulären Verteidigungsetat gefordert. Am Ende musste er sich mit 1,7 Milliarden zufriedengeben - ein Betrag, der allein wegen gestiegener Löhne benötigt wird.
Zwei Drittel des "Sondervermögens" sind verplant
Erfreulicher ist aus Sicht von Pistorius der Blick auf die bisherige Beschaffungsbilanz. Vom 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr sind inzwischen zwei Drittel verplant, zum Beispiel für neue Schützenpanzer, ein modernes Luftverteidigungssystem sowie Transport- und Kampfhubschrauber. Und auch beim Tempo ist das Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben vorangekommen.
Die Verträge für Leopard-2-Panzer, die der Bundeswehr nach der Abgabe an die Ukraine zurzeit fehlen, seien in weniger als sechs Monaten unterschriftsreif gewesen. Normalerweise dauert so etwas laut Ministerium bis zu zwei Jahre.
Pistorius führt die Beliebtheitsliste an
Den Blick auf Meinungsumfragen muss der Minister erst recht nicht scheuen. Seit Februar vergangenen Jahres führt er die Beliebtheitsliste im ARD-Deutschlandtrend an. Darin wird er aktuell als einziges Mitglied des Ampel-Kabinetts überwiegend positiv bewertet, bei den anderen überwiegt die Unzufriedenheit. Der Kanzler findet sich abgeschlagen auf den hinteren Plätzen der Top-Ten-Liste wieder.
Schon wird in Berlin geraunt, Pistorius könnte Scholz ersetzen und so die Kanzlerschaft für die SPD retten. Sara Nanni vom grünen Koalitionspartner winkt ab. Eine "komische Debatte" sei das. "Ich hätte ihn gerne weiterhin im Verteidigungsministerium, weil es da sehr viele Baustellen gibt." Zumindest der letzte Punkt dürfte unumstritten sein.