Hilfe für Erdbebenopfer Kaum Visa für Syrer
Die Bundesregierung hat Erdbebenopfern aus der Türkei und Syrien erleichterte Visa-Verfahren versprochen. In der Praxis aber kommt dies fast ausschließlich Menschen aus der Türkei zugute. Für Syrer bleiben die Hürden hoch.
Wenn Außenministerin Annalena Baerbock gefragt wird, erklärt sie stolz, wie schnell es mit der erleichterten Visa-Vergabe für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien funktioniert habe. Und zumindest, was die formale Umsetzung durch die Regierung angeht, hat sie Recht. Am 13. Februar wurde das vereinfachte Visa-Verfahren beschlossen und am 20. Februar hat man die ersten 96 der sogenannten Schengen-Visa ausgestellt. Mittlerweile sei man bei rund 150 Visa pro Tag, heißt es aus dem Außenministerium. Tendenz steigend.
Am 21. Februar waren Außenministerin Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser im türkischen Erdbebengebiet. Seitdem fährt dort ein VW-Bus durch die besonders betroffenen Dörfer. Dort können sich Erdbebenopfer an den türkischen Dienstleister der Regierung wenden. Der verarbeitet die Fingerabdrücke und die Visa-Anträge der Menschen direkt vor Ort und übermittelt die Daten an deutsche Behörden.
Gültiger Pass und biometrisches Foto
Trotz des Versprechens eines unbürokratischen Verfahrens ist zum Beispiel weiterhin ein gültiger Pass und ein biometrisches Foto nötig. Im Bundesinnenministerium sieht man hier aber auch die Türkei in der Verantwortung. Denn die ermöglicht nur Staatsbürgern, die einen türkischen Pass haben, die Ausreise aus dem Erdbebengebiet.
Schon länger wird kritisiert, dass das Verfahren immer noch zu bürokratisch ist. Bundesinnenministerin Faeser hat allerdings wiederholt auch darauf verwiesen, dass sie für die Sicherheit verantwortlich sei und entsprechend Sicherheitsvorkehrungen treffen müsse. Immerhin 2300 erleichterte Schengen-Visa für drei Monate wurden bis Donnerstagmittag ausgestellt - aber nur für türkische Erdbebenopfer.
Für Syrer ist die Lage schwierig
Für syrische Erdbebenopfer ist es ungleich schwieriger, dass Erdbebengebiet überhaupt zu verlassen und ein Visum zu beantragen. Denn da Deutschland keine diplomatischen Beziehungen mit dem Assad-Regime pflegt, müssen die Menschen mühsam nach Jordanien, in den kurdischen Teil des Iraks, in die Türkei oder in den Libanon kommen, um überhaupt einen Visa-Antrag stellen zu können.
Hinzu kommt, dass es für die Syrer, die neben dem Erdbeben auch noch unter den Folgen des jahrelangen Kriegs leiden, das erleichterte 90-Tage-Visa nicht gibt. Auf Nachfrage begründet das Innenministerium das unter anderem mit einer fehlenden Rückkehrperspektive der doppelt hart getroffenen Syrer.
Unterschiedliche Visa
Das Visum sei eine "Nothilfemaßnahme", aber man muss nach 90 Tagen Deutschland wieder verlassen. Und da bei vielen Syrern eine "grundsätzliche Rückkehrmöglichkeit" nicht besteht, werden unterschiedliche Visa an Türken und Syrer vergeben.
Da das syrische Erdbebengebiet auch Bürgerkriegsgebiet ist, hätten viele Syrer möglicherweise einen höheren Schutzstatus als Geflüchtete. Das heißt, sie könnten vermutlich auch einen Asylantrag stellen und nicht nur einen Visa-Antrag für 90 Tage. In der Praxis heißt das, syrische Erdbebenopfer müssen in einem Nachbarland - im Rahmen des Familiennachzugs - ein Dauervisa für Deutschland beantragen.
"Zwei-Klassen-System"?
Auch hier gibt es nach Angaben des Bundesinnenministeriums Erleichterungen. Dennoch konnten bis Donnerstag erst 268 syrische Erdbebenopfer davon Gebrauch machen. Neben dem Familiennachzug verweist die Bundesregierung zudem auf ein humanitäres Aufnahmeprogramm, mit dem bis zu 3000 Syrer in diesem Jahr aufgenommen werden sollen. Dabei sollen Erdbebenopfer bevorzugt berücksichtigt werden.
Svenja Borgschulte von der deutsch-syrischen Nichtregierungsorganisation "Adopt a Revolution" kritisiert dennoch den Umgang der Bundesregierung mit den syrischen Erdbebenopfern. Sie spricht von "Diskriminierung" und einem "Zwei-Klassen-System", was die Visavergabe für Erdbebenopfern angeht.
Und die bisherigen Zahlen scheinen ihr Recht zu geben. Denn für syrische Erdbebenopfer ohne Hab und Gut und ohne Papiere sind die Visa-Hürden Richtung Deutschland nur schwer zu überwinden.